Agnes De Mille, der Tänzerin im hohen Alter, fällt zur Frage, warum
sie nicht aufhöre zu schaffen, zu choreographieren, nur ein einziges
Wort ein: Stubbornness aus Sturheit. Und der Zuschauer,
der einen Film von Frederick Wiseman sieht, denkt an die Sturheit, die dessen
Kamera Film für Film durch die Institutionen des amerikanischen Lebens
führt, und die ihn in dieser Etappe im American Ballet Theater vor den
langen Weg stellt, den eine Bewegung machen muss von ihrem Ursprung, dem
Entspringen aus einem alten unbeweglichen Körper, bis zu ihrer szenischen
Perfektion.
Agnes De Mille, die im Rollstuhl sitzt und nur noch ihre Arme bewegen kann,
erzählt ,wie die Bewegungen ihrer Choreographien sie befallen, wie sie
aus ihrem Körper entspringen. In einer einzigen kurzen Einstellung glaubt
man, bei diesem Schaffen von Bewegungen durch einen invaliden Körper
zusehen zu dürfen: eine kurze Einstellung wie ein verbotener Blick hinter
eine halb geschlossene Tür. Ein alter Mann erprobt flüchtig drei
Tanzschritte vor einem Spiegel ein fast grotesker Anblick. Mehr nicht,
doch genug, um den Anfangspunkt zu zeichnen, auf dem der ganze Arbeitsprozess
beruht, dem wir beiwohnen.
Von Proberaum zu Proberaum wird verfolgt, wie Menschen, die einmal Tänzer
waren und es nicht mehr sind, denjenigen zuschauen, die es noch sind, oder
es werden wollen, junge Körper in ihrer Blüte, und wie sie diese
zu ihrer Verfügung stehende Körper modellieren. Die Bewegung in
ihrer Perfektion ist das Ziel. Erfundene Bewegungen werden auf Körper
übertragen, die sie zur ihrer Vollendung bringen werden.
Und um diese Übertragung zu vollbringen, muss der lange, schwierige,
unmögliche und notwendige Umweg der Sprache gegangen werden. Wie sagt
man eine Bewegung, wie sagt man die Kurve eines sich schwingenden Arms? Stottern,
unbeendete Sätze, Stammeln
Und so erstaunlich es dem
Außenstehenden auch erscheint, man versteht sich. Es wird korrigiert,
adjustiert
Die Körper tanzen, wiederholen, suchen ihre Bewegungen
erst stumm, von kommentierenden Wörtern begleitet, später
setzt die Musik ein.
Und irgendwann ist es soweit. Jetzt kann es zum zweiten Teil des Films kommen,
zur Vorstellung. Frederick Wiseman führt uns nun nach Athen und Kopenhagen.
Wir folgen den entspannten Körpern am Strand und im Tivoli Park. Wir
folgen ihrer Konditionierung: beim Proben, beim Aufwärmen, beim Schminken
und Bekleiden, bis sie für die Performance bereit sind. Dann geht der
Vorhang auf, und die Gesten, die der schwache Körper eines alten Mannes
in Manhattan geträumt hat, werden hier, auf dieser entfernten Bühne,
zu den Leidenschaften eines Romeos und einer Julia.
zur Jump Cut Startseite |