Jump Cut Kritik

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Jonnie To: Breaking News (Hongkong 2004)

Eine Kritik von Ekkehard Knörer

 

Eröffnung mit einem Bravourstück. Ein Sich-Sammeln von Spannungen und Bewegungen, Hinweisen auf einen Plot, vor allem aber das Schleichen der Kamera: Sie bewegt sich mit der langsamen Eleganz einer großen, schweren Schlange eine Straße entlang, eine Hauswand hinauf, sie erhebt sich in die Luft, nähert sich einem Fenster, der Rahmen entzieht sich in der Vorwärtsbewegung des Schlangenkopfes dem Blick, wir sind nun (von außen) im Zimmer, eine Tür links geht auf, eine weitere im Hintergrund, plötzlich ist der Raum recht voll, aber dieser Aufenthalt des Blicks im Zimmer bleibt provisorisch, der Körper dieses Blicks ist außerhalb, draußen, unten, auf der Straße. Die Kamera, die sich erhebt und schleicht, fliegt nicht, das ist anders als in den Anfangseinstellungen von Hitchcocks "Psycho", in denen die Kamera erst einen Überblick gibt, über eine ganze Stadt, dann sich bewegt, zoomend, auf ein Gebäude, ein Stockwerk, ein Fenster. Die flüssige Bewegung von außen nach innen, eine fliegende Bewegung, wird, kaum merklich, mit einem sanften Schnitt, der freilich, wäre die Kamera bei Hitchcock nicht etwas, das fliegt (und keine Schlange), bei aller Sanftheit den Kopf vom Rumpf trennte, diese Bewegung wird also über die Unterbrechung eines kaum merklichen Schnitts hinweg fortgesetzt in das Zimmer hinein. Phänomenologisch aber ist das ein Unterschied ums Ganze, ein fliegender, ein schleichender Blick, ein körperloser Blick und einer mit dem bei aller Eleganz der Bewegung schweren Körper der großen, vorsichtigen, und doch mutigen Schlange. In Gus van Sants Remake, übrigens, bleibt dieser Schnitt aus, die Kamera fliegt übergangslos von draußen nach drinnen, eine technisch ganz unmögliche Bewegung, ein Trick, ein ganz anderes Gefühl, ein digitales Fliegen, eines, das uns in einen ganz anderen Raum versetzt als den, den wir als den unseren kennen, in eine ganz andere Bewegung als die, die uns aus dem Raum, in dem wir leben, aber auch dem, den wir uns als möglichen Raum der Bewegung der Kamera im Kino als zweite Haut eines Sich-Orientierens im Raum erworben haben. (Überhaupt müsste man über die Bewegung der Kamera bei Gus van Sant nachdenken.) Johnnie Tos Schlange behält alles im Blick, der sie ist. Sie verlässt den Raum (bei Hitchcock lässt der Blick sich nieder), sie kehrt zurück auf die Straße, sie beobachtet, von hinten, zwei Beobachter, Polizisten, die auf die Verbrecher warten, die nun von zwei Verkehrspolizisten aufgehalten werden, ein Stocken in der Fortsetzung der Geschichte, ein Sich-Zusammendrängen, Anspannen, auf das im Hongkong-Kino nur eine Entladung folgen kann, die rasch erfolgt, in einer Schießerei. Wie gefeit gegen alle Kugeln, die nun den Raum durchschneiden, bewegt sich der Kopf, der Körper der Schlange – es ist eine lange Plansequenz, immer weiter, immer noch, eine einzige schleichende Bewegung – durch diese Straße, einmal mit einer rasanten Blickwendung, als könne das Sehen der Kinetik der Kugel folgen. Dieser Herumreißen bleibt jedoch singulär, darin liegt, nicht zuletzt, vielleicht der Kern von Johnnie Tos Ästhetik der Entschleunigung, die ihr Maximum gewiss in "The Mission" erreicht hat, die in "Fulltime Killer" die Gestalt der Operatisierung annahm und hier, in diesem weit weniger interessanten Film, vor allem in der Setzung von Differenzen ihr Spiel findet. Differenzen zwischen dem Tempo des Geschehens und dem Tempo der Darstellung. Wie eine Schlange, der die mögliche Blitzschnelligkeit des Zustoßens geradezu in der aufreizenden Langsamkeit des Schleichens, im Lauern ihres abwartenden Schlängelns abzumerken ist, wie ein Schnellen, das sich als Schleichen verkleidet und darin von jeder wirklichen Behäbigkeit wesensmäßig unterschieden bleibt, wie eine Schlange folgt der Erzähler Johnnie To hier dem Ereignen, auch dem Sich-Überschlagen des Ereignens, Differenzen setzend auch im Soundtrack, der sehr relaxt bleibt wie die Heldin mit ihren starren Gesichtszügen am Regiepult, die selbst Kamera wird (oder immer noch Kamera bleibt und distanzierter Blick) da, wo sie eigentlich mittendrin ist im Geschehen, aufs Leben bedroht. Starr bleiben ihre Züge, kalt, lauernd, ein schleichendes Schnellen, der Blick, der Kopf, das Züngeln einer Schlange.

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