Einen Ozufilm drehen, vierzig Jahre nach Ozus Tod, im Auftrag
von Shochiku, Ozus Studio, als Hou Hsiao-hsien, einer der respektiertesten
Autorenfilmer der Welt, ohne einen Ozufilm zu drehen, der in Wahrheit ein
Houfilm wäre, oder einen Houfilm, der in Wahrheit ein Ozufilm wäre,
der nur einen Knicks zu Ozu macht oder sich Ozu anverwandelt, einen Houfilm
in Japan, der mit Ozu-Motiven spielt, eine Ozu-Geschichte, die als Houfilm
erzählt ist, aber als Ozufilm kadriert, mit einem Ozuvater, halb verstummt,
einer Ozutochter ganz von heute, also von diesem verstummten Vater kaum mehr
beeinflussbar, wie soll das denn glücken.
Es glückt nicht recht, leider. Natürlich ist "Café
Lumière" ein Film, den man gerne sieht, in dessen langen, ruhigen,
dem Leben als Film eine Form, aber keine strenge, keine scharfe Form gebenden
Einstellungen man sich wohl, wenn nicht aufgehoben fühlen kann. Aber
dem Houfilm, den das ausmacht, die Stille, die Form, das Zusehen beim
Sich-Ereignen, dem kommt hier der Ozufilm dann doch in die Quere. Anders
gesagt: Er zieht sich da einen Mantel an, der ein Ozu-Mantel ist und für
Hou zu eng ist (während er natürlich dem Ozufilm sitzt wie angegossen
und weder gegen Hou noch gegen Ozu ist damit etwas gesagt). Wenn es in
"Café Lumière" den Betrachter manchmal kneift, dann hat das
mit dem Ozu-Mantel zu tun, in den sich der Houfilm nicht fügen will,
oder mit den Ozu-Erwartungen, die Hou schürt, ohne sie erfüllen
zu wollen oder zu können. Ozu ist ein Melancholiker und ein Humorist,
wenngleich er zu den verblüffendsten Sublimierungen und Subtilisierungen
und Verdünnungen dieser Neigungen fähig ist - so dass man meinen
könnte, er sei ein Beobachter und Meister des Nebenbei, wie Hou es ist.
Das aber täuscht und in "Café Lumière" ist zu sehen, dass
zwischen beiden doch ein Abgrund klafft und sie sich nur von Gipfel zu Gipfel
nahe scheinen.
Das erste Bild: ein Bahndamm, eine Bahn. Kein Ozufilm ohne Bahn und sei es
als Rattern im Hintergrund. Hier ist die Bahn ein Zitat, das Hou zur running
hommage erweitert, indem er eine Figur einführt, die es sich zum
Hobby gemacht hat, Bahngeräusche aufzunehmen, eine Figur, die vor allem
dieser Idee geschuldet scheint, die haben zu sollen Hou aus Hommagegründen
glaubt. Die nächste Einstellung: eine junge Frau (die Tochter des Ozuvaters,
wie sich später zeigt) in einem ozuartig gestaffelten Bild,
Seitenbegrenzungen begrenzen als gestufter Rahmen das Bild von innen wie
bei Ozu. Die Kamera sitzt recht tief, wie für den Ozu-Spätstil
typisch. Die Tochter hängt Wäsche auf, die dann im Wind hängen
wie in einem Ozufilm. Ein unglücklicher Beginn, denn man fühlt
sich geradezu aufgefordert, weiter nach Ozu-Zeichen und -Zitaten zu suchen.
Der Film startet sozusagen auf dem falschen Fuß und man kommt nicht
mehr recht raus aus dem Gefühl, in einem doppelt falschen Film zu sitzen,
einem Ozufilm, der ein Houfilm ist und einem Houfilm, der ein Ozufilm ist.
Hou erfindet als Plotknoten eine kleine Allegorie seiner Unternehmung: Seine
Heldin ist schwanger von einem Taiwanesen, den sie nicht heiraten will, wogegen
der Vater etwas hat, aber schweigend, insistent schweigend, und dann auch
einmal Sake trinkend aus der Flasche, die die Tochter von der Nachbarin hat
wie in einer Szene von Hous "Tokio Story", wenngleich da gerade nur die Mutter
bei der Tochter zu Besuch ist. Ausagiert aber - wie es ganz unweigerlich
bei Ozu der Fall wäre - wird der Konflikt im Grunde nicht, Hou folgt
seiner Heldin durch Tokio, Bahn fahrend, beobachtend, einem Komponisten
nachforschend, der auch Fotograf war, einmal hört sie mit dem
Buchhändler Musik des Komponisten, dem Buchhändler, der daneben
eben auch noch die ins obsessiv Bahnverrückte übersteigerte Ozu-Hommage
ist. Diese Szene ist sehr schön, das Understatement, mit dem die beiden
einander näher kommen. Ihr und ihm durch Tokio zu folgen, gehend, dem
Komponisten nachforschend, Bahn fahrend, all das ist schön, man kann
sich in Hous langen, ruhigen nebenbei beobachtenden Einstellungen aufgehoben
fühlen. Aber ohne Ozu, muss man leider sagen, wäre es noch
schöner, weil Interferenzen in Form von Anspielungen, Hommagen, Story-
und Kadrierungszitaten dem Houfilm fremd bleiben und äußerlich
und was man lernen kann, ist eben vor allem, dass der Ozufilm dem Houfilm
weniger nahe ist, als man zunächst denken könnte.
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