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Fernando Meirelles: Der ewige Gärtner (USA 2005)

Von Ulrike Mattern

Eine retrospektive Liebesaffäre

Gegen alle Regeln kämpft die politische Aktivistin Tessa. Die angehende Juristin, beheimatet in London, stammt aus gutem Hause, ist aber verwaist. Sie liebt es kritische Fragen zu stellen, beißt sich an heiklen Themen fest und bringt Gesprächspartner mit ihrer Hartnäckigkeit zur Weißglut.

Als sie dem Diplomaten Justin beim von ihm oberflächlich hin geschluderten Vortrag mit engagierten Nachfragen zur moralischen Verantwortung der britischen Außenpolitik zusetzt, strömen die Zuhörer genervt aus dem Saal. Allein der Regierungsvertreter fühlt sich von der Streitlust seiner aparten Kontrahentin angezogen.

Das ist der Beginn einer stürmischen Affäre zwischen dem im Dienste seiner Majestät stehenden Justin Quayle (Ralph Fiennes), einem passionierten Hobbygärtner, und der mitreißenden Tessa Abbott (Rachel Weisz). Der Diplomat arbeitet in Nairobi, und Tessa bittet ihn, ganz moderne Frau, sie als seine Geliebte oder Gattin mitzunehmen.

So klassisch linear nacherzählt, entwickelt sich die Love Story weder in Buch noch Film. Das ist bei dem brasilianischen Regisseur auch keine Überraschung: Fernando Meirelles erhielt 2004 für seinen Spielfilm „City of God” eine Oscar-Nominierung. Darin schilderte er den Bandenkrieg in einem Armenviertel von Rio de Janeiro mit solch brachialem visuellem Tempo, das den Zuschauern Hören und Sehen verging.

In dem diese Woche startenden Politthriller „Der ewige Gärtner”, der auf dem gleichnamigen Roman von John le Carré beruht, befreit Drehbuchautor Jeffrey Caine die ineinander greifenden Handlungsstränge der spannenden Literaturvorlage, mit ihren raffinierten Rückblenden und Parallelmontagen, inneren Monologen und andeutungsreichen Dialogen, hinsichtlich des handelnden Personals und der Textur von bremsendem Ballast. Er kreiert einen gerafften, elliptischen Stil, der von Kamera und Schnitt rhythmisch verdichtet wird.

Man verrät nicht zu viel, wenn man offen legt, dass die Liebesgeschichte tragisch endet. Film (und Roman) setzen bei der Übermittlung einer schrecklichen Nachricht ein: Tessa wurde auf einer Überlandfahrt in Kenia ermordet. Der Witwer, dem eine verlogene Mordversion aufgetischt wird, macht sich entgegen seines besonnenen Naturells mit wachsender Sturheit auf die Suche nach der Wahrheit. Er durchlebt „eine retrospektive Liebesaffäre”, wie es Ralph Fiennes in einem Interview formulierte, und kommt gleichzeitig einer schmutzigen Intrige auf die Spur.

London, Kenia, Berlin: Über diese geographischen Etappen hinweg, die in entsprechender Schattierung ins Bild gesetzt werden – in Afrika in leuchtender, manchmal zu dick aufgetragener malerischer Kolorierung, in Europa in cooler, greller Überbelichtung –, entwirrt sich in der von Regisseur Meireilles bekannt sprunghaften, rasanten Schnittfolge nach und nach ein engmaschiges Komplott, in das sowohl Freunde und Kollegen aus Justins Umfeld als auch Vertreter der Pharmaindustrie verstrickt sind.

Gegen alle Regeln: Zeichneten sich Verfilmungen der Bücher von le Carré bislang durch konventionelle Machart aus, gelingt dem 50-jährigen Meirelles – einem ehemaligen Architekten, der sein Handwerk als Filmemacher mit der Produktion von Fernsehserien schulte und Werbespots sowie Musikvideos drehte – mit der aktuellen Adaption ein visueller Quantensprung. Dass alles Unrecht am Ende wie in der filmischen Fiktion medienwirksam gesühnt wird, mag man zwar nicht glauben, aber Hilfsorganisationen wie die BUKO Pharma-Kampagne und medico international nutzen den Filmstart für eine politische Kampagne: Sie rufen zu einem Richtungswechsel in der Pharmapolitik auf.

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John le Carré, literarischer Deckname von David John Moore Cornwell, veröffentlichte 2001 mit „Der ewige Gärtner” seinen 18. Roman (im List-Verlag erhältlich, 9 Euro). Dem 1931 in England geborenen, heute in Cornwall lebenden Bestseller-Autor gelang 1963 der Durchbruch mit dem Agenten-Thriller „Der Spion, der aus der Kälte kam”. 1965 wurde das Buch mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt. Weitere bekannte Adaptionen seiner Romane für Film und Fernsehen sind z.B. die George-Smiley-Serie (mit Alec Guinness), „Das Russland-Haus” (mit Sean Connery, Michelle Pfeiffer) und „Der Schneider von Panama” (mit Pierce Brosnan, Geoffrey Rush). Le Carré war von 1959 bis 1964 u.a. in Bonn und Hamburg im diplomatischen Dienst tätig. Zuletzt erschien von ihm 2004 auf Deutsch der Agenten-Krimi „Absolute Freunde”.

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