Eine retrospektive Liebesaffäre
Gegen alle Regeln kämpft die politische Aktivistin Tessa. Die angehende
Juristin, beheimatet in London, stammt aus gutem Hause, ist aber verwaist.
Sie liebt es kritische Fragen zu stellen, beißt sich an heiklen Themen
fest und bringt Gesprächspartner mit ihrer Hartnäckigkeit zur
Weißglut.
Als sie dem Diplomaten Justin beim von ihm oberflächlich hin geschluderten
Vortrag mit engagierten Nachfragen zur moralischen Verantwortung der britischen
Außenpolitik zusetzt, strömen die Zuhörer genervt aus dem
Saal. Allein der Regierungsvertreter fühlt sich von der Streitlust seiner
aparten Kontrahentin angezogen.
Das ist der Beginn einer stürmischen Affäre zwischen dem im Dienste
seiner Majestät stehenden Justin Quayle (Ralph Fiennes), einem passionierten
Hobbygärtner, und der mitreißenden Tessa Abbott (Rachel Weisz).
Der Diplomat arbeitet in Nairobi, und Tessa bittet ihn, ganz moderne Frau,
sie als seine Geliebte oder Gattin mitzunehmen.
So klassisch linear nacherzählt, entwickelt sich die Love Story weder
in Buch noch Film. Das ist bei dem brasilianischen Regisseur auch keine
Überraschung: Fernando Meirelles erhielt 2004 für seinen Spielfilm
City of God eine Oscar-Nominierung. Darin schilderte er den
Bandenkrieg in einem Armenviertel von Rio de Janeiro mit solch brachialem
visuellem Tempo, das den Zuschauern Hören und Sehen verging.
In dem diese Woche startenden Politthriller Der ewige Gärtner,
der auf dem gleichnamigen Roman von John le Carré beruht, befreit
Drehbuchautor Jeffrey Caine die ineinander greifenden Handlungsstränge
der spannenden Literaturvorlage, mit ihren raffinierten Rückblenden
und Parallelmontagen, inneren Monologen und andeutungsreichen Dialogen,
hinsichtlich des handelnden Personals und der Textur von bremsendem Ballast.
Er kreiert einen gerafften, elliptischen Stil, der von Kamera und Schnitt
rhythmisch verdichtet wird.
Man verrät nicht zu viel, wenn man offen legt, dass die Liebesgeschichte
tragisch endet. Film (und Roman) setzen bei der Übermittlung einer
schrecklichen Nachricht ein: Tessa wurde auf einer Überlandfahrt in
Kenia ermordet. Der Witwer, dem eine verlogene Mordversion aufgetischt wird,
macht sich entgegen seines besonnenen Naturells mit wachsender Sturheit auf
die Suche nach der Wahrheit. Er durchlebt eine retrospektive
Liebesaffäre, wie es Ralph Fiennes in einem Interview formulierte,
und kommt gleichzeitig einer schmutzigen Intrige auf die Spur.
London, Kenia, Berlin: Über diese geographischen Etappen hinweg, die
in entsprechender Schattierung ins Bild gesetzt werden in Afrika in
leuchtender, manchmal zu dick aufgetragener malerischer Kolorierung, in Europa
in cooler, greller Überbelichtung , entwirrt sich in der von Regisseur
Meireilles bekannt sprunghaften, rasanten Schnittfolge nach und nach ein
engmaschiges Komplott, in das sowohl Freunde und Kollegen aus Justins Umfeld
als auch Vertreter der Pharmaindustrie verstrickt sind.
Gegen alle Regeln: Zeichneten sich Verfilmungen der Bücher von le
Carré bislang durch konventionelle Machart aus, gelingt dem
50-jährigen Meirelles einem ehemaligen Architekten, der sein
Handwerk als Filmemacher mit der Produktion von Fernsehserien schulte und
Werbespots sowie Musikvideos drehte mit der aktuellen Adaption ein
visueller Quantensprung. Dass alles Unrecht am Ende wie in der filmischen
Fiktion medienwirksam gesühnt wird, mag man zwar nicht glauben, aber
Hilfsorganisationen wie die BUKO Pharma-Kampagne und medico international
nutzen den Filmstart für eine politische Kampagne: Sie rufen zu einem
Richtungswechsel in der Pharmapolitik auf.
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John le Carré, literarischer Deckname von David John Moore Cornwell,
veröffentlichte 2001 mit Der ewige Gärtner seinen 18.
Roman (im List-Verlag erhältlich, 9 Euro). Dem 1931 in England geborenen,
heute in Cornwall lebenden Bestseller-Autor gelang 1963 der Durchbruch mit
dem Agenten-Thriller Der Spion, der aus der Kälte kam. 1965
wurde das Buch mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt. Weitere bekannte
Adaptionen seiner Romane für Film und Fernsehen sind z.B. die
George-Smiley-Serie (mit Alec Guinness), Das Russland-Haus (mit
Sean Connery, Michelle Pfeiffer) und Der Schneider von Panama
(mit Pierce Brosnan, Geoffrey Rush). Le Carré war von 1959 bis 1964
u.a. in Bonn und Hamburg im diplomatischen Dienst tätig. Zuletzt erschien
von ihm 2004 auf Deutsch der Agenten-Krimi Absolute Freunde.
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