Das italienische Kino ist am stärksten, wenn es die Familie
fokussiert. Rocco und seine Brüder (1960) von Luchino
Visconti, 1900 (1976) von Bernardo Bertolucci oder Die
Familie (1987) von Ettore Scola eröffnen beispielsweise durch
die private Linse die Perspektive auf Zeitgeschichte. Sie haben ein Gespür
für Lokalkolorit, ziehen uns durch Zwischenmenschliches in ihren Bann.
Geben wir es ruhig zu, wir lieben die sorgfältig ausgestatteten, weit
ausholenden, am besten über Jahrzehnte gespannte Epen. Wir fühlen
mit den Protagonisten, identifizieren uns mit ihnen, reiben uns an ihren
Lebenswegen. Wir sind eingebettet in den wärmenden Beziehungs-Reigen.
Wer vierzig Lenze italienischer Geschichte am Beispiel einer römischen
Familie erzählt, so wie Regisseur Marco Tullio Giordano in Die
besten Jahre, lässt uns am Kinosessel kleben. Er verlangt Sitzfleisch:
Über sechs Stunden zieht sich der Film, kino- und konditionsgerecht
in zwei je dreistündige Episoden geteilt. Eigentlich als Serie
nur für den kleinen Fernsehbildschirm konzipiert, gelangte
er aufs Filmfestival in Cannes und sprang von dort, geadelt durch einen Preis,
auf die große Leinwand. Dort eröffnet er bild- und songgewaltig
mit The House of the Rising Sun von The Animals.
Von Sommer 1966 in Rom bis Frühling 2003 in Norwegen zieht sich der
unaufgeregte Erzählfluss. In seinem Zentrum navigieren die Brüder
Nicola (Lo Cascio) und Matteo (Boni). Der eine studiert Medizin, wird Psychiater,
der andere gibt die Literatur auf, geht zur Polizei. Giordano öffnet
parallel zu den privaten Biografien historische Zeitfenster:
Fußballweltmeisterschaften, Antipsychiatrie, Überschwemmung in
Florenz, Studentenbewegung in Turin, Terrorismus, Mafia-Morde. In diesem
Passepartout bewegen sich die Figuren, ohne an Individualität
einzubüßen. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins im ersten
Teil schwächt im zweiten ein sentimentaler Zwang zum Happy End. Einen
starken, fast betäubenden Eindruck hinterlässt der Film allemal.
Eine
Liste
der Aufführungskinos
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