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Bernardo Bertolucci: Die Träumer (I/F 2003)

Von Ekkehard Knörer

Die Träumer erzählt als Verfilmung eines Romans von der Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln. Das Kino nämlich ist zu. André Malraux, Kultusminister Frankreichs, hat Henri Langlois, den legendären Gründer der Cinemathèque, entlassen. Streik der Cineasten, Jean-Pierre Léaud verteilt Flugblätter, in schwarz-weißer Fernsehvergangenheit und, faltig, alt und ungebrochen, in den nachgestellten Szenen des Films von Bertolucci. Eine Auszeit, die mythisches Ausmaß erhält wie das Kino selbst, das zurückkehrt, immer wieder, auch in den Wochen der verschlossenen Pforte, verschränkt ins Leben, das das Kino wiederholt, als Farce, aus der Ernst wird. Ein Leben in der Wiederholung, das eingeholt wird vom wirklichen Leben, als das die Revolte figuriert. Das eine ins andere gestöpselt und bedeutungsvoll gegen- und ineinander arrangiert: mehr als man ertragen will. Es hätte die Geschichte des seltsamen Dreierbunds bei weitem genügt, die im Kern des Films liegt.

Es erzählt, schon darin liegt ein Akt der Distanzierung, der die Bilder, die Ereignisse in Richtung Klischee drängt, ein Kalifornier, Matthew (aus San Diego, nicht aus LA), ein Kinonarr, der das Geschwisterpaar Theo und Isabel im Windschatten des Aufstands gegen den Langlois-Rausschmiss kennenlernt. Ein Vater, der ein bedeutender Dichter ist und in Sachen prätentiösen Geredes allemal mithalten kann mit den kinemato-philosophischen Flausen, die seine Kinder und ihr neuer Freund im Kopf haben. Dann aber fahren die Eltern nach Trouville, in die Ferien, die Wohnung wird zur Bühne, in der man im Zitat und in der Übersteigerung filmischer Vorbilder ein Melodram um Inzest, Sex und Liebesverstrickungen zu inszenieren beginnt. Nicht immer ist klar, wer dabei Regie führt (Matthew jedenfalls, die Unschuld aus Kalifornien, ist es nicht). Das kinematografisch gespeiste Unbewusste vielleicht, das sich selbst als souverän begreifen möchte und doch immer wieder vom Gesetz des Vaters eingeholt zu werden droht. Das Geschwisterpaar, in siamesischer Liebe vereint, holt sich, so könnte man das sehen, mit Matthew einen schwachen amerikanischen Vater ins Haus, der zum Bruch des Gesetzes nur eingeladen zu werden braucht und verführt. Der selbst befangen ist im Glauben an die direkt von der Leinwand herunterprojizierte und -imaginierte Fülle unbegrenzter Möglichkeiten des Films. Das Zitat als Ratespiel, das als Transformator dient: Vom Kino ins Leben. Theo, der den Film nicht erkennt, wird von Isabel gezwungen und lässt sich gerne zwingen, vor dem Bild Marlene Dietrichs zu masturbieren. (Schon hier die Frage, die sich immer wieder stellt: Ist das jetzt ein intelligentes Emblem, das der Film sich hier erfindet oder ist das nicht schon too much? Je länger ich zusah, je öfter ich mir die Frage stellte, desto deutlicher schien mir das ganze selbst zu selbstverliebt und in dieser zu nichts führenden Selbstverliebtheit abgeschmackt. Die reflexive Oberfläche, die der Film präsentiert, ist das Werk eines schlauen Potemkin, dahinter aber liegt, fürchte ich, nichts weiter.)

Theo zwingt dann Isabel und Matthew zum Sex. Missbrauch des fremden, schwachen Vaters aus Amerika für inzestuöse Spielchen. Das Entsetzen aber bleibt, in Bertoluccis Inszenierung, aus, und zwar mit Stil. Wenngleich das Nebeneinander von Sex auf dem Küchenboden und dem Aufschlagen der Eier der doch auch unfreiwilligen Lächerlichkeit nicht entbehrt. Zum von der Rückkehr des Vaters ausgelösten Suizidus interruptus fällt Bertolucci freilich fast nichts mehr ein; der Film hastet zu einem Finale, bei dem in allgorischer Weise ein Stein ins Zimmer fliegt. Die Barrikaden brennen, Theo erinnert sich seiner politischen Ader und Isabel fällt die Entscheidung leicht zwischen ihrem ersten Liebhaber und der Liebe ihres Lebens. Ein mit viel Schwung und kaum weniger Prätention ins Leere inszenierter Film.

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