»Things to remember: ...«
In Zeiten wo Videototalüberwachung keine Orwellsche Utopie mehr
ist, lebt der Mensch in ein veröffentlichtes Leben, wird Privatheit
zunehmend zu einer Frage des toten Winkels. Doch nicht nur die Struktur von
Gesellschaft und individueller Lebenspraxis wird durch eine derartige Verwendung
des Mediums beeinflusst das Medium selbst macht eine Transformation
durch: Das Videobild verliert den Duktus der Artifizalität, wird zum
Beweis für die An- und Abwesenheit des Gefilmten. Was nicht im Bild
ist kann trotz der grundsätzlichen Manipulierbarkeit des Mediums
nicht als beweisbar gelten. Zwar wird Sehen und Wissen dadurch immer
noch nicht gleich gesetzt, aber das Nichtsehen wird auf jeden
Fall zu einem wichtigen Faktor des Nicht-wissen-könnens.
Der Protagonist Sean Veil des britischen Kriminalfilms Freeze Frame
unterwirft sich selbst einer freiwilligen Videoüberwachung.
Grund dafür ist, dass er den Mordverdacht, unter dem er seit 10 Jahren
steht, dadurch entkräften will, dass er über Filmaufnahmen von
sich selbst verfügt, die jederzeit beweisen, wann er an
welchem Ort gewesen ist falls ein Verbrechen geschieht, mit dem er in Verbindung
gebracht wird. Grund für ein solches Vorgehen hat Sean genug: Ihm sind
der Polizei-Detektiv Mountjoy und der Profiler Paul Sager auf den Fersen.
Der eine will einen Fall, in dem eine ganze Familie nachts erschossen wurde,
endlich abschließen und Sean als Hauptverdächtigen hinter Gitter
bringen, der andere will seine Theorie über die psychischen Abgründe
des Massenmörders verifizieren. Da er seine Überlegungen auf dem
Fall Seans aufgebaut hat, benötigt auch er eine Verurteilung des
Verdächtigten. In dieses Misstrauensverhältnis schaltet sich nun
eine weitere Partei, die Journalistin Catie Carter, ein. Sie glaubt Sean,
dass er mit den Morden nichts zu tun hat, denn sie kennt den wahren Täter.
Nun versucht sie das Zutrauen des mittlerweile paranoiden Sean zu gewinnen.
Doch dieser misstraut seiner Umwelt offenbar nicht zu Unrecht, wie die sich
dann entwickelnden und einander überstürzenden Ereignisse darlegen.
Als es zu einem neuen Mord kommt, gerät Sean sofort unter Verdacht
doch er kann nicht beweisen, dass er unschuldig ist, denn genau die
Videoaufnahmen der Tatzeit sind aus einem Archiv entwedet worden.
Freeze Frame ist ein äußerst kalter Film. Einen derartig
unsympatischen Helden, wie den introviertierten, angsterfüllten und
paranoiden Sean Veil hat man selten zu Gesicht und als Identifikationsfigur
angeboten bekommen. Fast schwarz-weiß sind die Bilder des Films, immer
wieder unterbrochen von den Videoaufnahmen Seans. Timecode und
Schrifteinblendungen überlagern fast alle Sequenzen, die zumeist in
Seans bunkerartiger Wohnung spielen. Der Plot, den Autor und Regisseur John
Simpson in dieses Ambiente verlegt, steht in der Tradition klassischer britischer
Kriminalgeschichten: Gezielt werden Verdachtsmomente gestreut, wieder verworfen,
der Zuschauer auf eine Spur gestoßen, die sich dann jedoch als falsch
herausstellt. Das Ende birgt dann eine so große Anzahl an Plot-Twists,
dass der unaufmerksame Zuschauer damit fast schon überfordert werden
könnte.
Und trotz dieses fast schon Zuviels an Erzählung, sind es
vor allem die Bilder und die Vorstellung der notwendigen Selbstentlastung
des Verdächtigten durch Totalüberwachung, die den Eindruck des
Films bestimmen. Die Vorstellung, das eigene Leben bis ins privateste Detail
zum Gegenstand eines Videoarchivs zu machen, das jederzeit veröffentlicht
werden können muss, um einen Verdacht von sich zu lenken, ist eine
erschreckend Utopie. Die Evidenz, die die selbst gefilmten Bilder in
Freeze Frame bekommen die Polizei erkennt sie als
zweifelsfreie Belege für Schuld und Unschuld an verdoppeln sich
in der Rezeptionssituation des Films. Auch wir wollen glauben was wir sehen
und zweifeln an dem, was sich in den Aufzeichnungslücken zugetragen
haben soll und uns später mündlich (oder durch von Sean
gefälschten Bändern) überliefert wird. Die Erinnerungslücke
vor allem im Showdown bleibt uns so lange ein Verdachtsmoment,
bis Sean doch noch eine Aufzeichnung findet, die uns zeigt, wie es
wirklich war. So müssen wir am Ende schließlich erkennen,
dass wir die Praxis der Totalüberwachung zwar entsetzlich finden, ihr
im Zweifelsfall jedoch zustimmen, um die lückenlose Wahrheit zu erfahren.
Das ist das eigentlich schrecklich an der Utopie von Freeze Frame.
Frezze Frame
(GB/Irland 2004)
Regie: John Simpson
Länge: 99 Minuten
Verleih: Universal
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