Die 15-jährige Meme und der ein wenig ältere Jere(mias)
führen eine Liebesbeziehung die erste ihres Lebens. Sie sind
füreinander da, unterstützten einander in Streitsituationen und
führen eine leidenschaftliche sexuelle Beziehung. Meme und Jere sind
Geschwister. Sie leben im Haus der Eltern in Rio de Janeiro, wo vor allem
die Mutter die bürgerliche Moral bestimmt. Als der große Bruder
Ezequiel mit seiner Verlobten aus Spanien anreist, entdeckt er die heimliche
Beziehung seiner kleinen Geschwister, verprügelt Jere und schwört
diesen darauf ein, die Mutter nichts erfahren zu lassen. Doch bald darauf
erwischt auch diese ihre Kinder in flagranti und das mühsam
konstruierte Bild der heilen Familie bricht zusammen.
Schon gleich zu Beginn macht die Kamera dem Zuschauer klar, dass es in
Geminis um einen anatomischen Blick geht: In
Detailaufnahmen bekommen wir zu sehen wie einer Person Blut abgenommen wird.
Solche Einstellungsgrößen begegnen dem Betrachter im Verlauf des
Film immer wieder dann jedoch, um eine soziale Anatomie zu konstruieren:
Es geht um die Brüchigkeit der bürgerlichen Kleinfamilie. Während
vordergründig alles mit der Hochzeit des erwachsenen Sohnes
beschäftigt ist, entwickelt sich im Hintergrund, im Verborgenen eine
leidenschaftliche Katastrophe.
Die Kamera ist in den brenzligen Situationen immer dabei: Ihre voyeuristische
Position demaskiert sie dabei stets auffällig: Sie schaut über
Schultern, durch Kondenswasser-vernebelte Scheiben, hinter Säulen und
Mauervorsprüngen hervor, um einen Blick auf die verbotene Liebe
erhaschen zu können. Die übrigen familiären Szenen werden
indes ohne optische Auffälligkeit wie eine jener Telenovelas
vorgeführt, die sich die Mutter abends im Fernsehen anschaut. Der heimliche
Blick indes, der zwar nicht subjektiv inszeniert ist, aber ebenso suchend
und entdeckend durch die Räume des Hauses fährt, um den Ursprung
knarrender Betten und lasziven Stöhnens zu finden, ist es, der die
Hauptattraktion des Films darstellt.
Es ist schwer, Geminis nicht die Exploitation seines Sujets
einer tabuisierten sexuellen Beziehung minderjähriger Geschwister
zu unterstellen. Viel zu sehr erfüllt der Kamerablick den
Wunsch der Filmzuschauer, zu sehen. Dass er sich dabei selbst
als voyeuristisch entbirgt, mutet wie eine Ausrede an. Nun wäre aber,
bevor man Geminis pornografische Tendenzen unterstellt, zu fragen:
Wie soll es denn anders gezeigt werden? Ist es zulässig, die
Geschwisterliebe nur anzudeuten und in den Diskurs zu verbannen? Wird man
den psychologischen Implikationen des Tabubruchs gerecht, wenn man
pietätvoll verschweigt, anstatt zu zeigen? Schließlich: Können
die jugendlichen Figuren überhaupt an Plastizität gewinnen, kann
ihre Motivation überhaupt klar werden, wenn man ihre Liebe und ihre
Leidenschaft nicht nachvollziehbar in den Blick rückt?
Geminis gibt keine Antwort auf diese Fragen er entscheidet
sich dafür zu zeigen. Er dokumentiert das Geschehen um einen Kontrast
zum Alltag auch im Bild zu verdeutlichen. Die Bilder von Oberfläche
und Tiefe ergänzen und kommentieren einander. Sicherlich hätte
auch ein Weniger an Sexszenen gereicht, um das Thema plastisch
zu transportieren (übrigens wäre auch ein Mehr
möglich gewesen, wenn der Film ein transgressives Moment, wie etwa bei
Katherine Braillat zu finden, hätte ausloten wollen). Das Drama jedenfalls
wird nachvollziehbar. Die Identifikation des Zuschauers mit dem Pärchen
wirft diesen auf seine eigenen moralischen Vorstellungen zurück. Indem
Geminis so ist, wie er ist, hat er die Möglichkeit nachzuwirken.
Wenn er dies erreicht, hat er schon (s)einen Sinn.
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