Die Türen, die ins Schloss fallen, das Rauschen der
Blätter in den Bäumen des Tiergartens, die Musik, die von der Party
hinaus dringt, in den Raum der Natur zwischen den Räumen eines Hauses.
Als Schlusspunkt der wütende Laut, mit dem eine Geldbörse in einen
Mülleimer geworfen wird, wieder im Tiergarten. Gespenster
ist ein Film der Geräusche, ein Film, den man über seine Tonspur
erzählen könnte.
Gespenster ist auch ein Film, den man über seine
Schauplätze erzählen könnte. Der Wald, die Natur, der Tiergarten.
Hier finden sich Toni und Nina, eine schicksalhafte Begegnung. Ein Schicksal
freilich, das einen Sinn fürs Lapidare hat. Sie erklären einander
nicht. Sie begegnen sich, sie geraten aneinander und bleiben beieinander,
bis sie sich wieder verlieren. Sie sind zwei Mädchen ohne Vergangenheit,
die Mädchen, die sich im Wald begegnen, als wäre es ein Märchen
der Brüder Grimm. Es gibt den Wald und es gibt die Stadt. Den Tiergarten
und den Potsdamer Platz.
Gespenster ist aber auch ein Film mit einer Geschichte. Falsch.
Mit zwei Geschichten, die einander sacht berühren, im Ton der
Erzählung, in den Figuren, am Ort des Geschehens. Die andere Geschichte
ist die einer Mutter, die ihre Tochter verloren hat, vor vielen Jahren, in
einem Supermarkt. In Nina glaubt sie sie nun wieder entdeckt zu haben, am
Potsdamer Platz. In die Geschichte, in der Nina und Toni, die einander nicht
kennen und einander nicht erklären, platzt die falsche Mutter, die
vielleicht auch die richtige Mutter ist.
Gespenster ist eine Liebesgeschichte. In den Geschichten, die
sie einander erzählen, erklären sich Nina und Toni ihre Liebe.
Aus der nichts folgt, die kein Fundament hat, kein anderes jedenfalls als
die Gegenwart, in der sie sich ereignet. Nina rettet Toni, Toni rettet Nina.
Die Geschichten, die sie sich erzählen, die Geschichte von einer Rettung
zum Beispiel, sind nicht wahr - ein Traum, eine Lüge - und sie sind
es doch. Die schönste Szene zeigt Nina und Toni nebeneinander, bei einem
Casting für einen Film (oder eine Fernsehsendung, egal), sie tragen
schon die Produktions-T-Shirts: Freundinnen. Toni erzählt
ihre Lügengeschichte, Nina erzählt den Traum, in dem Toni auftritt
als Königin. Die Kamera liebkost die Gesichter zweier wunderbarer
Schauspielerinnen, die Gesichter von Sabine Timoteo und Julia Hummer.
In dieser Liebkosungen, in weiteren dieser Liebkosungen ist
Gespenster ein großer Film. Im ganzen ist er das nicht.
So wundervoll die Tonspur ist, so sehr sie dazu einlädt, die Augen zu
schließen und diesen Film einfach nur zu hören, so klar die Bilder
sind, so wunderbar Christian Petzold (wie immer dramaturgisch beraten von
Harun Farocki) seine Motive gegeneinander balanciert, so großartig
die Schauspielerinnen sind und so wenig man die filmische Intelligenz dieses
Regisseurs übersehen kann: Es funktioniert im ganzen nicht.
Gespenster hat das Zeug zu einem Meisterwerk, aber das ist er
nicht.
Vielleicht hat es mit dem zu tun, was Christian Petzold in der Pressekonferenz
erzählt. Eine Szene, in der einmal die Siegessäule im Hintergrund
zu sehen war, hat er sofort in den Müllkorb geworfen. Dem Zufall, der
ein Klischee auf die Leinwand befördern könnte, fällt Petzold
programmatisch in den Arm. Auf den Millimeter genau will er bestimmen, was
zu sehen, auch, was dazu zu denken ist. Das Bild, das er von seinen Figuren
im Kopf hat, ist so präzise, dass er genau weiß, welche Zufälle
die richtigen und die falschen sind. Toni ist die Soldatin, die nur in der
Gegenwart lebt.
Von dieser Idee lässt er nicht. Nichts, das dieser Idee womöglich
nicht entspricht, hat Raum in seiner Geschichte. Den Gespenstern, deren
Geschichten er erzählt, nimmt er so die Freiheit, anderes zu bedeuten,
den Figuren, anderes zu tun, als er für sie vorgesehen hat. Christian
Petzold weiß alles ganz genau, vielleicht zu genau. Vielleicht darf
man aber auch als Autor und Regisseur nicht alles wissen, vielleicht muss
man den falschen Zufall zulassen und Bilder, die abweichen von denen, die
man im Kopf hat. Erst dann erwacht eine Geschichte, erwachen auch Untote
zum Leben.
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