Im Februar war die Überraschung groß, als ein Film aus
Bosnien-Herzegowina den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann. Im
roten Abendkleid stand die junge Regisseurin Jasmila Zbanic auf der Bühne,
nahm die Auszeichnung entgegen und nutzte diese öffentliche Plattform,
um darauf aufmerksam zu machen, dass die Kriegsverbrecher noch in Freiheit
weilen.
Zum Filmstart von Grbavica ist die 1974 in Sarajevo geborene
Regisseurin wieder nach Deutschland gereist. Sie berichtet über ihre
Annäherung an ein aus den Schlagzeilen getilgtes Thema. 14 Jahre nach
den Nachrichten über Massenvergewaltigungen an bosnischen Frauen
interessiert sich keiner mehr für die Opfer dieses Krieges. Als
es passiert war, wussten alle davon. Aber heute ist es vergessen. Man kehrte
es unter den Teppich. Diese Frauen sind nicht mehr angesagt, meint
die Regisseurin. Das änderte sich mit ihrem Film, und der
überraschende Gewinn des Goldenen Bären potenzierte seine Kraft.
Die Regisseurin beschäftigt sich in dokumentarischen Filmen seit Jahren
mit dem Alltag von Menschen in der Nachkriegszeit. Ein Kurzfilm
(Birthday) dreht sich um zwei Mädchen, eines stammt aus
Bosnien, eines aus Kroatien. Die Dokumentation Red Rubber
porträtiert bosnische Mütter, die ihre Kinder suchen. Im März
dieses Jahres gründete Zbanic mit anderen die Initiative Für
die Würde der Überlebenden, und gemeinsam reichte man eine
Petition ein, die eine Kriegsopferrente für die geschädigten Frauen
fordert.
Was motiviert die 32-Jährige, selbst Mutter eines Kindes, diesem einen
roten Faden so intensiv zu folgen? Ich bin von diesem Thema besessen.
Denn ich beobachte, dass der Krieg für die Leute nicht vorbei ist. Er
ist unsichtbar in ihren Köpfen. Warum hat sie sich denn gerade
in diesem Fall, und zwar zum ersten Mal in ihrer Karriere, für die Form
der Fiktion entschieden? Ich wollte diesen Film nicht als
Dokumentation drehen. Es hätte die Frauen erneut traumatisiert, vor
einer Kamera zu stehen.
Grbavica, der bei uns diese Woche unter dem Titel Esmas
Geheimnis anläuft, erzählt von der allein erziehenden Mutter
Esma. Ihre Tochter Sara, ein Mädchen im Teenageralter, nimmt an, dass
ihr Vater als Kriegsheld gefallen ist. Ihre Mutter kellnert nachts in einem
Animierschuppen, tags schneidert sie Kleider und nimmt an den Treffen einer
Frauengruppe teil. Um nicht die volle Summe für die Klassenfahrt der
Tochter aufzubringen, was ihr schwer fällt, müsste Esma der Schule
eine Bestätigung vorlegen, dass ihr Mann ein Schechid war,
so die Bezeichnung für Helden des Krieges. Sara könnte mitfahren
und hätte einen Beweis, den sie ihren Freunden unter die Nase reiben
möchte.
Es ist bedauerlich, dass der deutsche Verleih, im Bestreben, dem Publikum
einen Zungenbrecher zu ersparen, mit der Wahl des Titels ausplaudert, dass
Esma ein Geheimnis hat. Der Film unterlässt solche plumpen Hinweise;
er entwickelt aus sich heraus, im bedächtigen Rhythmus seiner Bildsprache
die Geschichte von Esma und Sara. Grbavica ist der Stadtteil, in dem Mutter
und Tochter leben, und zugleich der Ort, der von großem, menschlichem
Leid geprägt ist (Zbanic).
Dieser Film erinnert an das Schicksal der Frauen, sagte Dr. Monika
Hauser, die 1993 in Bosnien das Frauentherapiezentrum Medica Zenica
gründete, bei einer Vorführung des Films am Wochenende in Berlin.
Bewusstsein schaffen, erinnern und heilen es ist ein langer Prozess,
den die Frauen durchlaufen. Doch sie sind einen Schritt vorangekommen, das
konnte die Regisseurin an jenem Morgen in Berlin berichten: Die Kampagne
für eine Kriegsopferrente war erfolgreich.
Weitere Informationen unter:
http://www.medicamondiale.org/projekte/bosnien/ |