Nachdem er Shakespeares Komödie "Twelfth Night" (1988), Shakespeares
"Henry V" (1989) und Shakespeares "Much Ado About Nothing" (1993) verfilmt
hatte und bevor er sich der Verfilmung von Shakespeares "Hamlet" (1996) und
Shakespeares "Love Labour's Lost" (2003) zuwandte, drehte Kenneth Branagh
den Film "In the Bleak Midwinter", der davon handelt, wie sich sich eine
Gruppe Schau-spieler um die Weihnachtszeit zusammenfindet, um ein Drama von
- na? - auf die Bühne zu bringen.
Doing Shakespeare: Für den Filmregisseur Branagh ist das Routine geworden,
eine Art Berufsbe-zeichnung außerdem. Branagh, ehemaliges Mitglied
der Royal Shakespeare Company, ist seit dem Erfolg von "Henry V" für
Shakespearefilme zuständig wie andere für Tischlerarbeiten oder
Belüftungs-anlagen. Die Besetzungen unter anderer Regie eingerechnet
(Jago in Oliver Parkers "Othello" von 1996, Richard III in einer neueren
Hörspielfassung), hat er inzwischen knapp ein Dutzend Stücke durch
und arbeitet seit eineinhalb Jahrzehnten daran, im Genre der Dramenadaption
einen mal als "spielfreudig", mal als "kraftvoll" bezeichneten Darstellungsstil
zu promoten. Nirgendwo hat sein Theaterkonservatismus - diese spezifische
Mischung aus Lautstärke, sportlicher Mimik, einem gut ausgebildeten
Sinn für die Hierarchie zwischen Haupt- und Nebenrollen und einer fast
kindlichen Freude an möglichst aufwendiger Dekoration - deutlicher Ausdruck
gefunden als in "Hamlet" (1996), einem weiteren
Ich-will-ihn-selbst-spielen-Projekt. Und so ist fast das erste, was an "Bleak
Midwinter" auffällt, die Tatsache, daß er in diesem Fall auf die
Hauptrolle verzichtet, obwohl es um dasselbe Stück geht wie in dem ein
Jahr später entstandenen Ausstattungsfilm.
Verzicht auf die Rolle: o.k., Verzicht auf Hamlet keinesfalls und auch nicht
darauf, den Protagonisten Joe (Michael Maloney) zugleich als Regisseur und
Hauptdarsteller agieren zu lassen und seiner Truppe jenen Stil nahezulegen,
der die Verfilmungen von "Twelfth Night" bis "Love Labour's Lost" geprägt
hat. Shakespeare macht man so, jedenfalls bei Branagh, weshalb auf der
improvisierten Bühne viel gestampft, gebrüllt und geflüstert
wird. Zwischen den Proben setzt sich das Flüstern und Schreien fort,
denn die sechs Personen (plus Stage Designer, plus Stage Hand), mit denen
sich der Regisseur umgeben hat, suchen allesamt nichts geringeres als den
Sinn des Lebens. Entsprechend zahlreich die existentiellen Bekenntnisse und
intensiven Gespräche; existentiell auch die Ängste, von denen die
Truppe heimgesucht wird, sowie die Auseinandersetzungen, die dem
glücklichen Ende vorausgehen.
Warum - noch - leben? Warum - noch - Theater spielen? Für die Schauspieler
in "Bleak Midwinter" sind diese Fragen aufs engste verbunden, was auch bedeutet,
daß das eine nur vermittels des anderen geklärt werden kann und
wiedergewonnener Glaube an das Theater gleichbedeutend ist mit wiedergewonnenem
Glauben an die Welt. (Branagh, noch nie ein Freund von Subtilitäten,
siedelt den Großteil der Handlung in der alten KIRCHE des kleinen Ortes
HOPE an, wo das Spiel um ZWEIFEL und ERLÖSUNG am WEIHNACHTSABEND zum
Abschluß kommt.) Auf die durchaus legitime, immer interessante Frage,
wer zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen noch Verwendung für
das Theater haben könnte, gibt der Film die entwaffnende Antwort: Die
Theater-macher brauchen es. Ihnen ist das Theater Heimstatt und Schauplatz
der Selbstfindung, und wo Gefahr besteht, daß niemand mehr ihre
Vorstellungen besucht (eine ganze Weile lang scheint der Film darauf
zuzusteuern), lassen sie das Stück eben auf eigene Kosten laufen, weil
ihnen die Proben so gut tun und sich alle inzwischen so gern haben.
Auf verquere Weise hat diese Idee ihren Charme. Und man könnte den Film
beinahe dafür mögen. Was daran hindert, sind nicht so sehr die
1001 Klischees über Theaterschauspieler, -arbeit und -proben, die hier
versammelt werden, sondern die Brutalität, mit der hier der Entschluß
umgesetzt wird, ein echtes feelgood movie zu produzieren. Angelegt als
Rückkehr zum Wesentlichen, als Hommage und Liebhaberprojekt zwischen
zwei Filmen mit großem Budget, verwandelt sich "In the Bleak Midwinter"
unter der Hand in ein kleines Monster der Vorabenddramaturgie: Hamlet als
Heuler für diejenigen, von denen Branagh annimmt, daß sie schon
lange nicht mehr ins Theater gehen.
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