Ich erzähle ohne Realität
vorzutäuschen, sagt Caveh Zahedi über seinen Film I
am a Sex Addict. Das ist schon deshalb eine provokative Aussage, weil
er gleichzeitig betont, dass dieser wie alle seine Filme autobiografisch
geprägt ist und somit durchaus (s)eine Realität referenziert. Weiterhin
steht der Aussage entgegen, dass Zahedi in seinem Film selbst die Hauptrolle
spielt eine Figuren namens Caveh Zahedi, die
im Verlauf des Films mit anderen Personen der biografischen
Realität des Regisseurs in Interaktion tritt. Welche Art von
Realität meint er also, täusche der Film nicht vor?
I am a Sex Addict wirft einen Blick auf eine sexuelle Manie:
Der männliche Protagonist, der sich selbst als liberal in jeder Hinsicht
skizziert, verfällt nach und nach einem, wie er es nennt prostitute
fetish. Er ist von dem Gedanken besessen, mit Prositutierten Sex zu
haben könnte viele seiner Probleme lösen besonders aber,
ihm bei seiner sexuellen Selbstfindung helfen. Mit dieser Annahme
stößt er nicht nur seine Freundinnen und Ehefrau(en) vor den Kopf,
sondern diffamiert auch seine eigene Einstellung als Feminist. Seine komplette
Sicht auf die Wirklichkeit wird nach und nach von dem Gedanken überformt,
sich mit Prostituierten einzulassen. Das geht schließlich soweit, dass
er meint, selbst gewalttätige erotische Fantasien an ihnen ausleben
zu müssen und sich darüber wundert, dass die Hure, bei der
er diese verwirklichen will, nichts dagegen einzwenden hat.
Zahedis Film bedient sich verschiedener Mittel der Authentisierung, um die
biografische Nähe des Sujets zu unterstreichen. Auffällig ist,
dass es gerade solche Mittel sind, die den Film als gemacht
ausweisen, die die Realität hinter den Bilder verbürgen sollen:
beständige Kommentare des Protagonisten zu den jeweiligen Szenen
teilweise mit einem Anhalten der Handlung und einem Blick in die Kamera
verbunden, theatreske Verfremdungen von Orten (wie etwa einem Drehort in
San Francisco, der allein durch Suggestion und einen mit Baskenmütze
vorbeigehenden Baguette-Träger zu Paris gemacht wird) und
schließlich sogar der Einsatz von Zeichentrick, Schwarzfilm, Audiomedien,
die Momente, welche Zahedi aus verschiedenen Gründen nicht filmen konnte
oder wollte, paraphrasieren sollen.
Die nicht vorgetäuschte Realität, von der Zahedi spricht,
ist also einerseits ganz auf der Oberfläche seines Hybrids aus Dokumentar-
und Spielfilm zu finden. Doch verweist diese Oberfläche ja eben durch
ihre Ästhetiken der Authentisierung einmal mehr auf den
realistischen Background der Geschichte. Diese ist es andererseits,
die sich der Erfahrungswelt und damit einem sozialen und psychologischen
Verständnis von Realität des Zuschauers entzieht: Die Sucht, die
Obsession, die Verzweiflung, die aus der manischen Suche des Protagonisten
nach sexueller Erfüllung entsteht, entzieht sich jeder Wirklichkeit
bürgerlicher Sexualmoral. Zahedi sieht und beschreibt sich selbst
folgerichtig als einen Avantgardisten die Machart seines Films dupliziert
diesen Gestus.
I am a Sex Addict ist so in zweierlei Hinsicht eine Lebenslüge:
Zum einen, weil der mittlerweile geheilte Sex-Addict Zahedi das,
was er in seinem Film zeigt, als biografische Verfehlung darstellt, eben
als die Lebenslüge, durch diese Art der Sexualität zur eigenen
Identität zu finden. Andererseits ist er eine Lebenslüge, weil
Zahedi durch seinen Film natürlich nachträglich Verständnis
vom Zuschauer einfordert. Dieser bekommt eine geraffte und ästhetisch
überformte (allein ein Bild-Vergleich der realen und der fiktiven Frauen
aus Zahedis Leben/Film offenbart dies!) Version der Dinge, wie sie sich in
Jahren abgespielt haben, in Minuten präsentiert. Nachträglich mit
Sinn und Kohärenz versehen, die sich aus der Analyse der eigenen Biografie
ergeben. Weil der Film sehr selbstreflexiv ist, wie Zahedi anmerkt,
kann er doch wieder Realität für sich verbuchen eine
Metaerzählung über Filmbiografien, die mit viel Ironie auf ihre
prinzipielle Unerzählbarkeit hinweist.
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