Kekexili, der geografische Ort, ist das letzte Reservat der
tibetischen Antilope. "Kekexili", der Film, erzählt vom Kampf eines
Trüppchens Aufrechter gegen das massenhafte Abschlachten der Antilopen.
Der Pelz bringt Geld, das die Bauern der höchst unwirtlichen Gegend
nicht haben. Kekexili liegt mehr als 5000 Meter über dem Meeresspiegel,
kein Baum, kein Strauch, nur Sand und Wind und Schnee und Eis. Es ist kalt,
die Flüsse sind matschig zugefroren, und wenn das Auto stehenbleibt,
irgendwo im Nirgendwo, kann das den Tod bedeuten. "Kekexili" ist ein Film
über Kekexili.
Ein Reporter aus der Großstadt will eine Geschichte über Kekexili
schreiben und den Kampf Ritais und seiner vom Gesetz nur halb gedeckten,
von keinerlei institutionellem Halt gestützten Truppe. Die Antilope,
könnte man sagen, ist nicht mehr als ein vorgeschobener Grund für
das Abenteuer, das diese Männer in der Ödnis der Hocheebene suchen.
Es ist ein Abenteuer der Entbehrung, des Kampfes am Rand des Überlebens,
ein Kampf um die Stützen, die ständig wegzubrechen drohen: um
Freundschaft, die mit dem Tod der Freunde endet, um Liebe, die flüchtig
bleibt. Noch die Rettung der Antilope ist durch den zum Überleben
nötigen Verkauf ihres Fells kompromittiert. Und manchmal ist es auch
nur der Kampf um den Atem, der in der dünnen Luft auszubleiben droht.
Ein Kampf um den Grund, auf dem man steht, und der sich doch einfach so auftun
kann, um einen zu verschlucken. Diese eine Szene, in der ein Mann im Sand
versinkt, ist die eindrücklichste des Films, der ihre Furchtbarkeit
nicht ausbeutet, sondern einfach zeigt. Erst kämpft der Mann um sein
Leben, dann gibt er es auf, ergibt er sich in sein Schicksal und wird vom
Erdboden verschluckt. Es bleiben seine Fußspuren im Sand, sie enden
im Nichts, es bleibt nichts als ein menschenleeres Bild.
"Kekexili" ist ein Film über die Menschenleere und die Menschen, die
die Leere ertragen. Einer hält seit drei Jahren Wacht, in einer kleinen
Hütte im Nichts, den Freunden winkt er lange nach, wenn sie nach einem
kurzen Besuch wieder verschwinden. Ein Film auch über
Größenverhältnisse. Immer wieder erscheinen die Menschen
auf der Breitleinwand an den Rand gerückt, wenn nicht gedrückt,
ein kleiner Flecken Leben und Bewegung in weiter, die Leinwand füllender
Natur. Die Musik, die das unterstreicht, müsste nicht sein. Der Widerspruch
von Groß und Klein, Bewegt und Unbewegt, Frist und Dauer wird einmal
als Bild von der Erhabenheit formuliert. Die Männer vor dem
sternenübersäten Horizont, mehr Licht fast als Dunkelheit am Himmel.
Von diesem Anblick schneidet der Regisseur auf Großaufnahmen der Gesichter
der Männer, die da stehen, vor dem Horizont. Verhältnisbilder.
"Kekexili" ist ein konsequenter Film, der dem Betrachter das Furchterregende
weder erspart noch spekulativ um die Ohren haut. Dass es kein ganz großer
Film ist, liegt dann wohl daran, dass er an den entscheidenden Stellen den
Rahmen des Buchstäblichen nicht sprengt. Regisseur Lu Chuan ist kein
Werner Herzog. Er begegnet dem Wahnsinn mit einer gewissen
geschäftsmäßigen Nüchternheit. Er glüht nicht für
das, was er zeigt. Dazu passt, dass er zuletzt den Rahmen wieder schließt
mit ein paar Zeilen im Nachspann, die erzählen, was weiter geschah.
Damit bekommt das Maßlose wieder ein Maß, wird zur Vorgeschichte
einer geglückten Naturreservatsgründung. Die Bilder, die "Kekexili"
findet, scheinen nach dem Mythos zu verlangen. An dessen Stelle stehen am
Ende nur die nüchternen Fakten. Vielleicht ist es falsch, sich den Mythos
zu wünschen, wenn man auch Tatsachen haben kann. Aber vielleicht liegt
eines der Potenziale zur Größe des Kinos eben doch im Wahnsinn
seiner mythopoetischen Kraft.Es ist bisher der eine Film, den man unbedingt
gesehen haben sollte.
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