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Steven Spielberg: Krieg der Welten (USA 2005)

Kritik von Christoph Nuehlen 

"Krieg der Welten", Herbert George Wells Geschichte einer außerirdischen Invasion, ist mehr als ein Klassiker der Science-Fiction. Der Roman legte den Grundstein für ein ganzes Genre. "Krieg der Welten" ist ein Mythos. Der Mythos der Bedrohung von außen, der sich ideal in verschiedene politische Strategien der vergangenen 100 Jahre einpassen ließ. Seit seinem Erscheinen 1898 hat der Roman Hunderte von Nachfolgern und Nachahmern, in Form von Büchern, Filmen, Radio- und Fernsehproduktionen sowie eines Musicals, gefunden, die alle dem gleichen, simplen Schema folgen. Fremde Wesen von grausamer Gestalt und roboterhafter Kälte greifen die Erde an, um sie zu unterwerfen. Bis sie schließlich durch einen kühnen Helden, das tapfere Militär oder einen blinden Zufall zurückgeschlagen werden, richten sie unermessliche Zerstörung an.

Da die Bedrohung jedoch bleibt, muss man sich mittels staatlicher Anordnungen, stetem Misstrauen gegenüber allem Fremden, durch konsequente Aufrüstung und andere "Sicherheitsmaßnahmen", auf die mögliche Wiederkehr "des Bösen" vorbereiten. Das Schema lässt sich leicht übertragen, etwa auf Juden, Kommunisten, Ausländer oder Terroristen. Diese Übertragungsmechanismen sind Teil der Rezeptionsgeschichte und bilden eine Kontinuität bei der Wiederverwendung von "Krieg der Welten". "Der Roman scheint immer dann wieder zum Vorschein zu kommen, wenn die Angst vor einer wirklichen Invasion da ist", erläutert H.G. Wells Enkel, Dr. Martin Wells. "Als der Roman erschien, waren die Briten sehr nervös über die Handlungen des Kaisers."

Orson Welles Hörspielfassung, die der Sage nach eine Massenpanik auslöste, weil große Teile der Bevölkerung sie für echt hielten, wurde 1938 am Vorabend des zweiten Weltkriegs ausgestrahlt. Und eine Verfilmung aus dem Jahr 1953 nahm eindeutig Bezug auf die vermeintlich drohende Gefahr durch Kommunisten, während der Zeit des Kalten Krieges. Auch für Steven Spielberg, bislang eher bekannt für freundlichere Gäste aus dem Weltall, hat die Geschichte "gerade heute eine große Bedeutung". Die von ihm inszenierte optische und akustische Materialschlacht ruft Erinnerungen an die Ereignisse des 11. September wach. Der Film ist visuell sehr poetisch. Auf raffinierte Weise stilisiert, gelingt es ihm, einen Eindruck von Realismus und Authentizität zu suggerieren, der eine fieberhaft-chaotische, Angst einflößende Stimmung schafft. Die Ausleuchtung erzeugt eine beeindruckende Farbpalette, die leicht bläulich beginnt und im Verlauf der Handlung immer stärker von Rot dominiert wird. Ein von den Außerirdischen mitgebrachtes, rotes Klettergewächs breitet sich auf der Erdoberfläche aus und, das von den Aliens wieder ausgespieene Menschenblut, überzieht die Landschaft bald mit einem scharlachfarbenen Film. In ihrer symbolischen Bedeutung ist Blau einerseits ein Hinweis auf Hoffnung und Beständigkeit, andererseits ist es auch die Farbe der Trauer, des Unheils und des Bösen. Das Omen findet Bestätigung im Rot, das für Blut, Kampf und Tod steht und die Signalbedeutung "Gefahr" hat. In Altägypten war "rot machen" gleichbedeutend mit "töten". In der Bibel ist es die Farbe der Sünde und Sühne.

Auf der Handlungsebene setzt Spielberg auf Reduktion. Es ist ein sehr einfacher Plot. Eine Geschichte über das Überleben, über einen Vater, der versucht, seine Kinder zu beschützen. Tom Cruise spielt den geschiedenen Dockarbeiter Ray Ferrier. Kurz nachdem seine Ex-Frau (Miranda Otto) und ihr neuer Ehemann seinen Teenager-Sohn Robbie (Justin Chatwin) und seine junge Tochter Rachel (Dakota Fanning) für ein Besuchswochenende bei Ray abgeliefert haben, taucht eine gewaltige, dreibeinige Kriegsmaschine auf und legt alles in Schutt und Asche. Die Menschen werden von der Invasion völlig überrumpelt. Wo sie sich auch hinwenden, nirgendwo gibt es Schutz. Ray versucht verzweifelt, seine Kinder in Sicherheit zu bringen. Die ausschließliche Konzentration auf diese drei Hauptcharaktere, ihre Probleme, ihre Beschränkungen, das Fehlen jeglicher Information, lässt das Geschehen für das Publikum zu einer sehr persönlichen Erfahrung werden. Dieses Stilmittel, den Bericht in der Ich-Form, übernimmt der Film von seiner Vorlage. Darüber hinaus entfernt sich die Handlung jedoch weit von der des Romans. Die Geschehnisse werden vom viktorianischen London ins zeitgenössische New Jersey verlegt. Verschiedene Charaktere des Romans, wie der Wissenschaftler Oglivy und der Kurat, mit dem sich Wells Protagonist einen sehr engen Raum teilen muss, werden in einer Person zusammengefasst. Die Geschichte bewegt sich von einer urbanen Kreuzung, an Highways und Flüssen entlang, mit Flüchtlingen, die in die weiten Landschaften strömen. Die Reise geht durch eine trostlose Landschaft, in der die Charaktere auf das Einfachste reduziert sind. Sie folgen der Straße, folgen dem Fluss, nehmen die einfachsten Wege, um irgendwohin zu gelangen.

In der Reduktion liegt zweifellos eine Stärke des Films, denn im Gegensatz zu Roland Emmerichs Plagiat ID-4, vermeidet Spielberg die aus der Romanvorlage entstandenen Klischees. Keine Zerstörung berühmter Sehenswürdigkeiten, keine Szenen mit Generälen, die um eine große Landkarte herumstehen und darauf Schiffe mit großen Stöcken verschieben, keine Fernsehteams, die die Zerstörung filmen und kein Held, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Vorbildung dazu prädestiniert ist, die Welt zu retten. Man muss Spielberg zugute halten, dass er die grundlegenden Elemente der menschlichen Natur im Konflikt mit einem außerordentlichen, übernatürlichen Ereignis, in ihrer gesamten, schonungslosen Bandbreite, darstellt. Ray Ferrier ist weit entfernt von den noblen oder diabolischen Charakteren, die Cruise für gewöhnlich portraitiert. Er ist nicht heroisch, sondern flüchtet. Sein einziges Ziel ist, sich und seine Familie mit allen Mitteln zu schützen, und zu diesen Mitteln zählt auch unterlassene Hilfeleistung, ja sogar Mord!

Leider bleibt aber auch diesmal der philosophische Kern des Romans auf der Strecke. Hier zeigt sich die Kehrseite des Reduktionismus. Wells doppelbödiges Erzählen, seine Zweifel an den Fähigkeiten der Menschheit, aus einer solchen Auseinandersetzung nicht als Barbaren hervorzugehen, seine humanistischen Appelle, all dies fällt unter den Tisch. Wells schuf das Bild des Menschen als Opfer oder gar Nahrung anderer Lebewesen nicht zum Selbstzweck des Horrors, sondern hob es auf ein soziales Niveau. Selbst die äußere Erscheinung der Aliens und ihr Verhalten ist Parabel: "Sie waren Köpfe, nichts als Köpfe" heißt es im Roman. Ihre menschenverachtende Kälte, und auch ihr Untergang, werden als logische Konsequenz der Unterdrückung der emotionalen Seite des Menschseins durch einen verselbständigten Geist angesehen. Der Autor selbst zieht aus der glücklich überstandenen Invasion die Lehre, "gegenüber den dem Menschen und seiner Herrschaft ausgelieferten Tieren Barmherzigkeit walten zu lassen, auf dass es nicht uns dereinst, als Ungeziefer unter dem Tritt einer anderen ‚Herrenrasse', ebenso ergehe wie jenen. [..] Und bevor wir sie (die Aliens) zu hart beurteilen, müssen wir uns erinnern, mit welcher schonungslosen und grausamen Vernichtung unsere eigene Gattung nicht nur gegen Tiere, sondern gegen unsere eigenen eingeborenen Rassen gewütet hat."

Das Zeitalter der sich explosionsartig ausbreitenden optischen Medien und ihrer uneingeschränkten Reproduzierbarkeit konnte er freilich nicht voraussehen. Ebenso wenig die damit einhergehende massive politische Indoktrination durch Bilder. Doch Opferdasein, Versklavung oder Ausrottung scheinen bildkräftig genug, um von den visuellen Medien ausgeschlachtet zu werden. Szenen der Unterdrückung des Menschen bis zu seiner Verspeisung durch den "Weißen Hai" sind zu Vorreitern der optischen Trivialkunst geworden, und die technischen Möglichkeiten, mit denen in den letzten Jahren Science-Fiction Filme produziert wurden, haben das bei Wells Angedeutete auf der Breitwand zelebriert. Eine Reflexion darüber, was dort wirklich passiert, wurde dabei oftmals verschüttet und durch neue Bilder aus den Köpfen herausgefegt. Ursprünglich war der Stoff als Parabel auf die Kolonialpolitik des Empire angelegt und vertauschte hierzu die Rollen von Eroberern und Opfern zu Ungunsten der Briten. Doch statt daraus nun folgerichtig eine Anklage wider den amerikanischen Imperialismus zu machen, verkündet Spielbergs Version eine Durchhaltebotschaft, die die puritanischen Familienwerte instrumentalisiert und ein reaktionäres Zusammenstehen gegenüber dem Fremdartigen propagiert.

Vielleicht inspiriert dieses, zugegebenermaßen durchaus spannende Popkornkino dazu, den Text wieder einmal im Original zu lesen. Die Frage, ob es, ohne die von Wells postulierte Harmonie und die Haltung milder Vergebung, möglich sein wird, die ideologisch verblendeten und versteinerten Machtfiguren, die seine Außerirdischen letztendlich symbolisieren, zu überstehen, kann indes weder Film noch Buch sondern nur der Mensch entscheiden.

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