Der Instinkt, mein jungfräulicher Instinkt, er ist es, der
mir den Weg zeigen wird!
Gombrowicz: Erinnerungen aus der Zeit der Unreife
Schon im Vorspann, eine zarte singende Stimme: eine schöne, junge Frau,
die wir in der ersten Einstellung entdecken. Sie singt, sie hat Tränen
in den Augen. So sehr, dass sie ihr Gesang unterbrechen muss.
Am Klavier begleitet singt eine junge Frau. Tränen in ihren Augen, sie
muss vor Rührung ihren Gesang unterbrechen. Sie wird von einer Schar
junger Mädchen beobachtet, deren Blicke für den Zuschauer
unentscheidbar zwischen Konzentration, Spott und Feindseligkeit schwanken.
Unter ihnen wird von Hand zu Hand ein Bild gereicht. In den Bemerkungen der
Zuhörer geht es um die tiefen Zungenküsse, nach denen sich die
Sängerin sehnt.
La niña santa: das heilige Mädchen. Wer soll das nun sein?
Die weinende Sängerin nicht. Aus der Schar junger Mädchen tritt
Amalia hervor, Tochter der Verwalterin des Hotels, in dem der ganze Film
während der Dauer eines Ärztekongresses spielt. Amalia und ihre
engste Freundin José verbringen ereignisarme Tage zwischen
Religionsunterricht, Swimmingpool, der Wäscherei des Hotels und einem
Schaufenster, vor dem jeden Tag ein Ondes Martenot spielender junger Mann
eine neugierige Menschenmenge versammelt.
Es ist ein bisschen so, als wären die Schwestern von Sofia Coppolas
The Virgin suicides in ein von Gombrowicz geprägtes
polnisch-katholisches Argentinien geraten. Wobei die jungen Mädchen
hier keine Schwestern sind, und es eben darum geht, Schwestern zu werden,
in der Ambivalenz zwischen Verwandtschaftsgrad und religiösem Orden
(eine Ambivalenz, die Coppolas Film nicht fremd ist, hatte doch der
Schwesternbund der Virgin suicides in seiner Mythisierung durch
die beobachtenden Jungen durchaus auch die Dimensionen eines mystischen Bundes).
Erste Station, also, der Religionsunterricht, in dem über die Frage
der Berufung debattiert werden soll. Die Schülerinnen sollen zu diesem
Thema Zitate aus Büchern sammeln, doch bringen sie, sehr zur Verzweiflung
der jungen Lehrerin, immer nur Kolportagen mit. Die Geschichten, die sie
erzählen, ähneln sich: es geht um Unfall- oder Katastrophenopfer,
die als alleinige Überlebenden zu ihrer Berufung finden Geschichten
eines auf Opfertum beruhenden Weges zum Heiligen.
In den in der Langeweile brütenden Gemütern der jungen Mädchen
vermengt sich dieser hysterische Katechismus mit den Verstörungen der
aufkeimenden Sexualität. Die Begierden kristallisieren sich im Film
an zwei Orten: der Swimmingpool als klassischer Ort der begehrenden Blicke
und die Menschenmenge vor den Ondes Martenot Ort der flüchtigen
Berührungen. Hier sind die Blicke alle unschuldig in die eine selbe
Richtung gerichtet, auf das Schaufenster, während Dr Jano, einer der
am Kongress teilnehmenden Ärzten, sich in die Menschenmenge einmischt
und deren Enge ausnützt, um unauffällig sein Geschlecht gegen den
Hintern eines jungen Mädchens zu halten. Eine flüchtige Erregung,
dann geht er wieder.
Amalia wird zu einem seiner Opfer und glaubt in diesem Akt einer potentiellen
Entjungferung und in der Person Janos den Weg zu ihrer Berufung gefunden
zu haben. Sie folgt ihrem Instinkt, von dem wir nicht wissen, ob sie selber
weiß, wohin er sie führen soll. Wir verfolgen ihre Annäherungs-
und Erkundungsversuche bis das leise Unbehagen der Beziehungen durch
die Einmischung der Freundin José zur Explosion gesteigert wird und
die fiktive Entjungferung, als Vergewaltigung ausgegeben, in einem Skandal
dem Kongress, und vermutlich Janos Karriere, ein Ende bereiten soll. Doch
davon werden wir nichts sehen.
Der Film endet im Swimmingpool. José bietet sich an, für Amalia
eine Schwester zu werden. Beide schwimmen nebeneinander und beschreiben
Diagonalen im Pool, während in den Räumen des Hotels, die sie verlassen
haben, eine ganze Welt zusammenbricht. Sie bleiben exakt parallel im
Rückenschwimmen: Schwestern eines aquatischen Ordens, die dem Salz der
Tränen die nicht ganz klaren Gewässer eines Swimmingpools vorgezogen
haben.
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