Von Thomas Kapielski gibt es die schöne Geschichte, wie
er in einem Studentenjob einst tagelang um ein vielfaches beschleunigte Pornos
auf Belichtungs- und Materialfehler hin sichtete. Am Ende des Tages wankte
er aus seiner Kabine und staunte, mit welcher Langsamkeit sich die Welt um
ihn herum bewegte. Ich habe soeben, scheint mir, das umgekehrte Erlebnis
gehabt. Mehr als zwei Stunden lang habe ich in James Bennings 13
Lakes (dazu dann morgen mehr, nach 10 Skies) starre
Einstellungen von dreizehn Seen beobachtet, in denen das geringste Ereignis
(ein Vogel im Vorbeiflug) innerhalb ausgedehnten Nicht-Geschehens Sensation
machte. Direkt im Anschluss gab es im Berlinale-Palast André
Techinés Wettbewerbsbeitrag Les temps qui changent, und
das ist ein Film, in dem viel, sehr viel geschieht und nicht das mindeste
davon rührt einen ein bisschen, interessiert einen ein bisschen, hat
einem auch nur irgendwas zu sagen. Welch eine beschleunigte Welt der
Nichtigkeiten. Und wissen Sie was: Es lag in Wahrheit auch nicht an James
Benning. Techinés Film ist einfach belanglos, ganz und gar belanglos.
Catherine Deneuve und Gérard Depardieu. Ein Mann, der seine erste
Liebe nie vergisst, dreißig Jahre lang nicht, bis er auftaucht, in
Tanger, wo sie jetzt lebt. Er beaufsichtigt ein riesiges Bauvorhaben, sie
hat einen Job, den sie sich so nicht erträumt hat, beim
französischsprachigen Radio. Sie hat einen Mann, der Arzt ist und den
sie sich so auch nicht erträumt hat. Sie hat einen Sohn, der Männer
liebt und mit einer Frau zusammen ist, die ständig Beruhigungsmittel
schluckt. In Tanger, wo er seine Mutter nun besucht, hat er einen Geliebten,
der eine Villa beaufsichtigt, die von Hunden bewacht wird. Ein Hund wird
den Sohn der Geliebten ins Bein beißen und es wird nichts zu bedeuten
haben. Gérard Depardieu wird von einer Erdlawine begraben werden,
aber dass sich dabei etwas entscheidet, behauptet so recht nicht einmal der
Film. Die Freundin des Sohnes hat eine Zwillingsschwester, die bei McDonalds
arbeitet und verschleiert ist und sich nicht für Männer interessiert.
Ihre Schwester will sie nicht sehen, sie hat nicht die Kraft, sagt sie. All
diese Figuren und ihre Geschichten hat Les temps qui changent
zu bieten und er weiß nichts damit anzufangen, als sie immer wieder
nur anzufangen und zu keinem interessanten Fortgang, raffinierten Variationen
oder gar einem vernünftigen Ende zu bringen. Zwischendurch sitzen
Flüchtlinge im Wald, zwischendurch gibt es eine kleine Verbrecherjagd
in der Stadt. Wir sind in Nordafrika, Sie verstehen.
Man nimmt der Figur, die Gérard Depardieu spielt, die Leidenschaft
nicht ab, die dazu gehört, dreißig Jahre lang der einen Frau treu
zu bleiben, die zu lieben man nicht aufhören kann. Und es ist nicht
seine Schuld, es ist die Schuld eines Drehbuchs, das sich diese Geschichte
selbst nicht glaubt. So bleibt Depardieu immer in der Nähe der Witzfigur,
als die sich die stets ein wenig zu geistreichen Autoren einen wie ihn nur
denken können, und stapft wie ein Elefant im Porzellanladen durch Nordafrika
und das Leben der von ihm heimgesuchten einstigen Geliebten. Pascal Bonitzer,
einer der Drehbuch-Co-Autoren, ist ein Experte für geistreiche, wenn
auch etwas seichte Komödien über neurotische, Frauen
verschleißende Pariser Intellektuelle. Niemand könnte ihm ferner
liegen als Antoine Lavaut, die von Depardieu gespielte Figur. Die Pein, die
ihn treibt, bleibt Behauptung, aufgeschminkt wie die blutige Nase, die er
sich im Zusammenprall mit einer Glastür holt.
Und wie es oft geht, wenn einem zur eigentlichen Geschichte nichts
einfällt: Man lässt sich weitere Geschichten einfallen, zu denen
einem auch nichts einfällt, aber man kriegt die Zeit herum. So kommen
die übrigen Figuren ins Bild, leblos, ziellos, keiner Notwendigkeit
geschuldet, es wäre genauso gut, es gäbe sie nicht, vielmehr: es
wäre besser, keiner hätte sie sich je ausgedacht. Was für
eine Verschwendung der Schauspielerlegenden Deneuve und Depardieu, die hier
erstmals gemeinsam in einem Film auftreten. Aber immerhin hat es ja für
den Wettbewerb der Berlinale gereicht, dessen Auswahlgremien unter Dieter
Kosslicks Leitung auf kunstferne Schlüsselreize (Stars! Politik!)
längst so zuverlässig reagieren wie der Pawlowsche Hund auf das
Einschalten des Lichts.
zur Jump Cut Startseite |