Der letzte Satz - der, mit dem sich der Erzähler aus dem Film verabschiedet
- lautet: Und dann habe ich ihr alles über mein Essen mit André
erzählt. Was er ihr (seiner Freundin) erzählt hat, sagt er
nicht, jedoch erzählt es ein wenig über Louis Malles Film Mein
Essen mit André, dass auch die Zuschauer nicht wirklich zu sagen
wissen, was es sein könnte.
Wird er ihr erzählen, was André erzählt hat? (Eine ganze
Menge.) Wird er ihr erzählen, was er selbst dazu sagte? (Nicht viel.)
Was er sich dazu gedacht hat? (Man sieht es ihm nicht an.) Was sie gegessen
haben? (Sie achten beide nicht darauf.) Wie es zu dem Essen kam? (Er macht
dazu ein paar Anmerkungen, während er sich auf dem Weg zu seiner Verabredung
befindet.) Was er von der ganzen Veranstaltung (Essen, Reden) hält,
und wozu sie seiner Meinung nach gut gewesen ist? Man weiß es nicht,
aber man könnte versucht sein, danach zu fragen, denn in diesem Film,
der zeigt, wie einer spricht und einer zuhört, ist es eher der zweite,
für den man sich zu interessieren beginnt; der zweite und die Frage,
ob und warum dem, was da erzählt wird, überhaupt viel Aufmerksamkeit
geschenkt werden sollte.
Immerhin nimmt das Erzählen hier Zeit in Anspruch. Viel Zeit, das
heißt: etwa 110 Minuten, von denen vielleicht zehn für die
einleitenden und abschließenden Anmerkungen des Zuhörers Wallace
(Wallace Shawn) reserviert sind, der sich an einem kalten Tag im New York
der frühen 80er aufgemacht hat, um André (André Gregory)
in einem Restaurant der oberen Preisklasse zum Abendessen zu treffen. 110
Minuten mit Wallace, dem Bühnenautor und Schauspieler, der hin und wieder
eine Frage stellt, und mit André, dem Theatermacher, der redet, redet,
redet, über Grotowski-Workshops und den Versuch, mit einem japanischen
Mönch ein Theaterprojekt zu erarbeiten, über ein seltsames Happening
zu Halloween, über Aussteigerkolonien in Schottland, über Reisen
auf drei oder vier Kontinenten, über Bekanntschaften, spirituelle Energien,
Weinkrämpfe, seine Ehe, seine Kinder, seine Wohnung in New York, das
Leben, die Kunst, das Theater. Dazwischen werden Bestellungen aufgenommen,
Gerichte serviert, Teller abgeräumt, wird Espresso getrunken und eine
Rechnung bezahlt. Kameraeinstellungen wechseln einander ab, Gesichter werden
in die Großaufnahme gezoomt, Augen aufgerissen, Augenbrauen
zusammengezogen, Handbewegungen vollführt, bis man sich am Ende voneinander
verabschiedet und André erklärt, es sei schön, endlich wieder
einmal miteinander gesprochen zu haben. Tatsächlich passiert hier alles
Mögliche: ausreichend viel, um einem bestimmten Bedarf an Handlung,
Gesten, Mimik und Bewegungen Genüge zu tun. Minimalismus sieht anders
aus, und Reduktion bedeutet nicht notwendig, mit gewissen Konventionen filmischen
Erzählens zu brechen.
Ein Spielfilm, fast wie andere, sein Plot der Ablauf einer asymmetrisch
organisierten Begegnung. Einer spricht und einer nickt; einer hat Geld, der
andere nicht, und einer wählt aus der französischen Speisekarte
aus, die dem anderen erst übersetzt werden muss. Es sind Dinge wie diese,
die an Mein Essen mit André auffallen, ohne dass ganz klar
wird, ob und wie weit sie nach Auffassung des Regisseurs und seiner Autoren
/ Darsteller wichtig zu nehmen sind. Der, der das Essen bezahlen wird, ist
auch der, der das Wort führt; natürlich macht das einen Unterschied,
aber was sind die Implikationen? Andere Auffälligkeiten: Fast alle
Geschichten des gesprächigen André handeln vom Schweigen, von
Schweigsamkeit, Stille oder, wie in jener Erzählung vom wundersamen
Theaterworkshop, der mehr oder weniger bewussten Ausschaltung verbaler
Kommunikation. Nicht sprechen, nicht sprechen können, still sein, still
sein müssen oder wollen ist konstitutiver Bestandteil der Szenarien,
um die die Rede kreist, mal obsessiv, mal beiläufig, ohne dass diese
Relation je explizit thematisiert würde.
In seinen Reden um Unmittelbarkeit wird André immer wieder beim Theater
ankommen: dem Theater, das er kennen gelernt hat, um sich zwischenzeitlich
von ihm zu verabschieden, und dem Theater, zu dem er vielleicht
zurückkehren möchte, da er sich immer noch etwas davon verspricht.
Theater, sagt André, scheine ihm bisweilen überflüssig,
da doch das Leben Theater genug sei: alles markiert, alles verstellt, jeder
einzelne ein Gefangener seiner Masken und alle zusammen rettungslos an die
Gesetze des Rollenspiels verloren. (Man erstaunt etwas über solche
Erklärungen, wie überhaupt über manche Ideen, die in Mein
Essen mit André vorgetragen werden, emphatisch, ernsthaft, ohne
den geringsten Hinweis darauf, dass diesen beiden Akteure sowie dem, was
ihnen in den Mund gelegt wird, anders als mit Sympathie begegnet werden sollte.)
Scheinhaftigkeit also, das Theater nurmehr deren Zuspitzung; auf der anderen
Seite indes all jene Geschichten, in denen Theaterarbeit fast wie eine Chance
auf Erlösung erscheint und Befreiung aus den Zusammenhängen der
Verstellung einzig innerhalb des Theaters möglich. Unter anderem, nicht
zuletzt, pflegt Malles Film auch den Diskurs von Präsenz versus
Repräsentation, Spontaneität versus Skript, Vollzug versus Nachahmung:
Gegensatzpaare, die in der Geschichte der Theatertheorien ihren festen Platz
haben und hier noch einmal in Gebrauch genommen worden sind.
In der Geschichte der Theaterfilme stellt Mein Essen mit André
eine Ausnahme dar, insofern er das Theater nicht in seinen unmittelbaren
Produktionszusammenhängen präsentiert; keine Ausnahme, insofern
die Frage nach der Beziehung zwischen allem, was Theater heißt, und
allem, was sich außerhalb davon befindet, auch die lange Rede am
Restauranttisch beherrscht. Das Theater ist diesem Film Kontext und Milieu,
es ist Gegenstand des Gesprächs, seine Vergangenheit (Andrés
Erinnerungen) und seine Zukunft (Andrés Hoffnung). Zwölf Jahre
später, in den Proben zu Vanya on 42nd Street (USA: 1994), wird
die Begegnung zwischen Theaterregisseur und Theaterautor/-schauspieler ihre
Fortsetzung finden.
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