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Angela Schanelec: Mein langsames Leben (D 2001)

Von Ekkehard Knörer 

Bereits in der ersten Einstellung ist Angela Schanelecs Film Mein langsames Leben ganz bei sich. Zwei Freundinnen im Café, im Dialog über Dinge des Lebens, Zukunft, Erwartungen, auch Alltägliches. Die eine fährt den Sommer über nach Rom, die andere bleibt in Berlin. Valerie, die bleiben wird, folgt der Film, an ihr reiht er in loser Bekanntschaftsverknüpfung die Figuren und Beziehungskonstellationen auf, von denen er erzählt. Wie er sie aber erzählt, das wird bereits aus diesem ersten Einstellungsbild ersichtlich. Schanelec entwirft einen Film als Serie von (wunderschön lichten, klaren, unauffällig komponierten) Quasi-Fotografien, die grammatikalische Grundstruktur ist das Standbild - jeder Schnitt, jede Kamerafahrt wird so zum Moment des Außergewöhnlichen. Die Kamera bleibt starr, über Minuten hinweg, die Bewegungen der Figuren sind minimal, fast könnte man sagen, die Kamera ist solidarisch eher mit den unbewegten Hintergründen als mit den Vordergründen der talking heads. Mehr als einmal verharrt die Kamera noch lange Sekunden auf dem von den Figuren verlassenen Schauplatz, lässt Bild und Ton, der so ins Off wandert, auseinander treten.

Das zurückgenommene, oftmals fast unlesbare Spiel der Darsteller passt dazu bestens. Die Kamera soll nicht ablenken, einerseits: von den Dialogen, den Gesichtern, der - allerdings kaum je manieristischen - Mise-en-Scène von Mensch/Stadt/Umgebung. Die Kamera will, wie der ganze Film, andererseits, aber auch keinem zu nahe rücken, sondern aus ruhiger Distanz beobachten. Am weitesten geht Schanelec dabei in einer Einstellung, die Valerie mit ihrem sterbenden Vater - gerade nicht zeigt: eine nur semitransparente Glasscheibe lässt nicht mehr als die Umrisse des Mannes erkennen. Und verblüfft konstatiert man, dass diese starren Einstellungen auf starre Tableaus tatsächlich jeder emotionalen Manipulation vorbeugen. Nicht der Anteilnahme: man interessiert sich, möchte mehr wissen, bewegt sich in einem Denkspielraum, für den die Bilder und auch die Dialoge Platz lassen. Auch Schanelecs Dialogkunst ist faszinierend: sie balanciert stets auf einem schmalen Grat zwischen Beiläufigkeit, die nicht Banalität, und Verschweigen, das nicht Verrätselung ist. Auch hier bleibt die Halbdistanz gewahrt zwischen Entdecken und Verbergen. Und obgleich es, und sei es in Andeutungen, Geschichten gibt, Entwicklungen, vergehende Zeit, verzichtet der Film doch auf alles Zu-Ende-Erklären, auf Deutungen und Urteile.

Einen Schritt weiter noch in der Zurückhaltung gegenüber den Figuren geht der Film in seiner großartigsten Einstellung. Narrativ geht es darum, dass Marie, eine der Hauptpersonen, ihrem Bruder erzählt, dass ihr Mann Alexander sie seit einem Jahr betrügt, der dramatische Höhepunkt des ganzen Films. Die Einstellung, die einige Minuten dauert, besteht aus einer sehr langsamen Kamerafahrt aus einiger Entfernung: man sieht die Figuren, aber mehr noch sieht man die Bäume, an denen die Kamera in ihrer parallelen Bewegung zum Spaziergang der Personen, zu denen sich später weitere gesellen, vorübergleitet. Das Verhältnis von Kamera als Beobachter und Figuren als Beobachteten ist dramatisch gelockert durch das Auseinanderfallen von Kamera- und Figurenbewegung in jeweilige Eigentempi: die Kamera behält ihre gleichmäßige Geschwindigkeit bei - was dazu führt, dass die Figuren gelegentlich aus dem Bild-Rahmen geraten, zurückfallen und dann wieder ins Bild zurückkehren. Sekundenlang gibt es nichts als den Dialog, aber auch sonst nur die Schemen in der Entfernung, die zusätzlich noch in einer eigenen Bewegung der Annäherung und des Abstands choreografiert sind.

Auch die Erzählung der vielen Einzelgeschichten folgt ihren eigenen, mit der Kameragrammatik, dem Spiel, den Dialogen abgestimmten Gesetzen. Es gibt keine durchgehende Handlung, sondern immer nur scharf begrenze Ausschnitte. Die Auslassungen sind mit Händen greifbar, ohne dass man den Eindruck bekommt, es würde ein Spiel mit einem getrieben. Man kann sich in vielem an Rohmer erinnert fühlen, aber der entscheidende Unterschied besteht eben darin, dass bei ihm die Geschichten stets Experimente sind, Versuchsanordnungen, Proben aufs Exempel von Sprichwörtern, Thesen. Bei Schanelec wird dagegen nie eine Erzählinstanz spürbar, die die Fäden zieht, Lust an Zufällen hat, mit Figuren anderes im Sinn hätte, als sie nur zu zeigen. Umgekehrt fällt Mein langsames Leben aber auch nicht in Episoden, in beliebig Unzusammenhängendes auseinander: man kann gewiss sein, dass einmal aufgegriffene Motive zu einem (und sei es) vorläufigen Abschluss geführt werden, dass auch die arabesken Seitentriebe der Figurenverknüpfung etwas zum Gesamtbild beitragen. In dieser wie in jeder anderen Beziehung ist Mein langsames Leben ein überaus kunstvoller Film, ein Meisterwerk, wie das deutsche Kino lange keines hervorgebracht hat.

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