Ich liebe es, Gesichter zu filmen. Alles ist in den
Gesichtern, gesteht Clint Eastwood im Interview, und, seinem Bekenntnis
folgend, kann man sich in Million Dollar Baby damit begnügen,
die Spiele des Lichts und des Schattens auf Morgan Freemans, Hillary Swanks
und Eastwoods eigenem Gesicht zu verfolgen; schon einzig darin hat man es
mit einem Meisterwerk zu tun. Als Dokument über die Schauspieler des
Films: Studie über die Lichteinfälle auf junge oder alternde Haut,
über das Verschwinden dieser Häute im Schatten einer Augenhöhle
oder einer Schläfe. Aber vor allem in der Art, wie diese drei Gesichter,
die sich nie ganz dem Schatten entziehen, in Beziehung zueinander gesetzt
werden. Gesichter im Sinne von Lévinas: das, was sich dem Bild, das
man sich vom Anderen macht, immer entzieht, was dieses Bild zerstört
das was sich zugleich gibt und entzieht.
Alle Protagonisten des Films geben den Eindruck, immer schon da gewesen zu
sein. Man sieht sie nicht ankommen, sie erscheinen im Licht, werden im Licht
offenbart. Das gilt natürlich für das Personal des Hit Pits,
der Trainingshalle, wo sich der Trainer Frankie (Eastwood), die Boxer und
der Hausmeister Scrap (Freeman) täglich einfinden. Doch selbst Maggie
(Swank), die junge Boxerin, die in Frankies Leben hineinplatzt, ist
gewissermaßen schon da: man sieht sie nicht kommen, nur erscheinen,
aus dem Schatten geholt. Und selbst wenn sie in Frankies Leben noch keinen
Platz hat, so steht doch fest, dass aus uns unbekannten Gründen Frankie
in ihrem Leben schon längst einen festen Platz eingenommen hat.
Zunächst geht es also darum: das In-Beziehung-Setzen dieser zwei Gesichter.
Maggie will von Frankie trainiert werden. Für ihn kommt das nicht in
Frage. Er hat noch nie Frauen trainiert. Maggie ist hartnäckig. Sie
nistet sich in Frankies Trainingshalle, dem Hit Pit, regelrecht ein.
Frankie meidet sie und weicht ihren Blicken aus. Sie beharrt, kämpft
linkisch mit ihrem Punchingball weiter und kämpft gleichzeitig, um
angenommen zu werden in Frankies Blick, kämpft um einen Dialog mit ihm,
der sich jedem Dialog, jedem Schuss/Gegenschuss entzieht. Durch ihre
hartnäckige Präsenz erzwingt sie sich seine Blicke, zuerst kurze
Blicke zwischendurch oder durch die Fensterscheiben seines Kabuffs. Bis er
nachgibt, Stück für Stück, und akzeptiert, Maggie zu trainieren.
Selbst das tut er zunächst mit abweichenden Blicken und unter der Bedingung,
dass Maggie ihm nie eine Frage stellen soll. Im Schuss/Gegenschuss selber
entzieht er sich noch dem Dialog, weicht aus und verfängt sich doch
mehr und mehr in einer Beziehung zu Maggie, die er partout vermeiden wollte.
Diesem Ausweichen verwandt verläuft die Nebenintrige mit dem Boxer,
den Frankie immer nur noch ein paar Kämpfe boxen lassen will, bevor
er für die Championship bereit wäre ein anderes Ausweichen:
vor dem Kampf. Scrap, der Hausmeister und Erzähler, für den Frankie
früher den Manager gespielt hat, beschreibt im Off das Boxen als
unnatürlichen Sport: wo es darum geht, dem Schmerz entgegenzutreten,
sich und sein Gesicht zu exponieren, zu riskieren. Und gerade in Scraps Gesicht
und seinem fehlenden Auge wird Frankie täglich mit einer Schuld
konfrontiert, die ihm dieses Risiko nicht mehr annehmbar erscheinen lässt
denn das Gesicht ist zu wertvoll, um so exponiert zu werden. Was Frankies
Ausweichen (sowohl das Ausweichen vor dem Kampf als auch das Ausweichen vor
Maggies Blicken) begründet, ist diese Schuld, deren Risiko jede Liebe
beinhaltet dieses Risiko, dass er nicht mehr eingehen will.
Maggie wird ihre Kämpfe gewinnen und ihren Kampf um Frankie, der Schritt
für Schritt nachgibt in allem, der ihr mit Schmerz nachgibt und ihr
die großen Kämpfe zugesteht, die sie sich wünscht (In der
Szene, in der er ihr das Stattfinden dieses Kampfes ankündigt, bleiben
seine Augen im Schatten verloren man meint, sie sind gar nicht da,
zwei schwarze Löcher nur sind übrig geblieben). Und es wird ein
langer Kampf gewesen sein, den Maggie geführt hat, um zu einem gelassenem
Dialog mit ihm zu kommen, um zu den komplexen ruhigen Rhythmen zu kommen,
die wie ein Höhepunkt des Films das Paradies dieser Beziehung in einer
bemerkenswerten Szene bezeichnen.
Doch kommen wir erst zurück zu den Geschehnissen dieses Tages. Maggie
hat schon viele Kämpfe hinter sich, sie ist erfolgreich. Sie fährt
mit Frankie zu ihrer Mutter und Schwester, denen sie vom verdienten Geld
ein Haus gekauft hat. Der Empfang entspricht nicht ihren Erwartungen. Die
Mutter hätte lieber Geld bekommen als ein Haus. Und vor dem Abschied
fällt dann noch dieser Satz: weißt Du, die Nachbarn lachen, wenn
sie von dir als Boxerin hören. Peinliches Lächeln der Schwester.
Dieser beiläufige Satz als im ganzen Film einziger Blick von außen,
von einer anderen Welt, in der das Boxen nicht im Mittelpunkt steht.
Nächste Einstellung: Maggie sitzt im Auto während Frankie die Scheiben
putzt. Man sieht beide Gesichter durch die bläuliche Autoscheibe:
verklärte Gesichter, wie gewaschen von ihren Schatten. Gesichter, die
wissen, wo sie sind; wo sie, jetzt, zu zweit sind.
Und auf der Rückfahrt dann, dieses rhythmische Meisterwerk. Es ist nachts.
Erst gemeinsam in einer Einstellung, dann im Schuss/Gegenschuss erzählen
Maggie und Frankie von sich. Den Rhythmen der Dialoge und der Schnitte
überlagert sich der komplexe Rhythmus der Gegenlichter auf beiden
Gesichtern, die im Erscheinen und Verschwinden zu einer filmischen Gelassenheit
gefunden haben, die ihresgleichen sucht. Die gesprochenen Wörter sind
zweitrangig: es sind die Gesichter selber, die zueinander sprechen
ein Glück von kurzer Dauer
Im nächsten Kampf kommt es dann zum Unfall, zur Katastrophe. Maggie
bleibt nur noch ihr Gesicht und ein gelähmter Körper: das Gesicht
als einziges Lebendiges noch, jedoch eingefroren im starren, unbewegten Licht
eines Krankenhauszimmers.
Frankie ist das Risiko eingegangen und hat verloren. Wir begleiten ihn in
die Kirche, in die Konfrontation mit seiner Schuld und seiner Ohnmacht. Er
hat kein Gesicht mehr, vor seiner faltigen Schläfe, über seinen
faltigen Hals bleibt nur noch ein schwarzes Nichts.
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