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J.J. Abrams: Mission Impossible: 3 (USA 2006)

Von Ekkehard Knörer 

"Er vermittelt und vermittelt und vermittelt", heißt es einmal über den Schurken des Films, Owen Davian. Das Böse in "Mission Impossible: 3" ist - programmatisch - die Vermittlung, also das Medium. Ästhetisch gesehen ist das im Kontext des Hollywood-Films aber kaum durchzuziehen. Medien vermitteln am besten, indem sie unauffällig bleiben; was darüber hinaus geht, ist Manier und behindert den Transport und Tausch, von Botschaften oder McGuffins. Das Hollywood-Kino, als funktionales, verbirgt seine Mittel und setzt, in einem sehr genauen Gegenzug, beim Erzählen von Geschichten auf Personalisierung. Hypomedial in der Form, hypermedial in der Figurenzeichnung: das ist, streng vereinfacht, die Formel des klassischen US-Action-Kinos, an das "Mission Impossible 3" ziemlich entspannt anschließt. (Es ist keine universale Formel für das Kommerzkino. Bollywood, als Kino des Genusses, Hongkong, als Kino einer anderen, weil radikaleren Folgenlosigkeit seiner Szenen und Bilder funktionieren ganz anders. Wie wenig es zusammenpasst, lässt sich an John Woos "Mission Impossible 2" ermessen.)

Auch ist Philip Seymour Hoffman das Gegenteil eines funktionalen Schauspielers; er verschwindet nicht hinter den Rollen, die er spielt, sondern er führt das Verschwinden vor, als Kunst. Das ist eine raffinierte Form von Manier, eine Manier nämlich, zu der der Schein der Mühelosigkeit gehört: reine Virtuosität. Von der Vermittlung als sich unsichtbar machender Medialität ist das um den entscheidenden Faktor der Präsenz entfernt: Keine Sekunde lang glaubt man, Tom Cruise könne sich als Philip Seymour Hoffman maskieren. Der Gedanke ist nachgerade lächerlich. Sobald er es ist, und nicht mehr Cruise, ist Hoffman als Hoffman präsent, über jede Unverwechselbarkeit von Individuen hinaus. Es ist, als gewönne die Schurkenfigur in ihrer Fähigkeit zur Verdopplung noch einmal Charisma; es ist, als könne "Mission: Impossible 3" noch seine buchstäbliche Metapher von der Maskenhaftigkeit der Person, von ihrer Ersetzbarkeit, nur auf den Schurken zurechnen und seine Schurkenhaftigkeit. Das Individuum als präsente Verkörperung des Bösen veschwindet nicht und verschwindet nicht und verschwindet nicht.

Von transzendentaler Gleichgültigkeit sind für dieses Hollywood-Action-Kino dagegen Raum und Zeit. Sie streben dem Zustand genereller Austausch- und Formbarkeit, einem bloßen "alias" serieller Ersetzbarkeiten zu: Berlin Deutschland, Rom Italien, Shanghai China, Brücke USA. Als Virtuose eines solchen "Alias", des fliegenden Wechsels von Orten, einer schwunghaften Bild- und Raumagentur, hat sich J.J. Abrams mit der Fernsehserie "Alias", die Kino sein wollte und nun, am anderen Objekt, als andere Serie auch geworden ist, bewiesen. So folgen hier die Bilder aufeinander, ohne aneinander - oder im Gedächtnis oder an Orten - zu haften.

Schön schwingt Tom Cruise von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer, um dann - inszeniert ist das fast desorientierend - über Licht und Glas zu gleiten, fast schwere- und materielos, im freien Fall. Es ist, in Wahrheit, kein freier Fall und auch kein Wunder, sondern mathematisches Kalkül: Er hat's zuvor auf dem Fenster, das transparent ist zur Welt (deren "Materialität" so selbst als transparent vorgeführt wird; der Wolkenkratzer-Kalculus) aufgezeichnet sowohl als auch berechnet. Wunderbare Mise-en-abime dieses Problems von Materie und Formel - als Gleichung ergibt es schwerelose Action -: Als Spiegel, verkehrt herum, hängt in Stellvertretung der Rest-Materialität einer Lebenswelt die Wäsche neben den Häusern auf dem Glas. Und dies Glas selbst ist zugleich durchsichtiges Medium und Fläche, auf der die Berechnung genau des Verhältnisses von Materie und Schwerelosigkeit eingetragen, eingeschrieben wird. Das ganze Paradox des Action-Spektakels in einem komplexen Bild!

Dem Moment der Transparenz - und nicht der Einschreibung - entspricht der Spektakel-Charakter der Action: Knall auf Fall explodieren die Objekte, die Intensitätslogik des Spektakels ist aber eine des Gleitens auf straff gespannten, aber kurzen Spannungskurven. Das Mitfiebern der Spannung schießt durch den Körper als Strom; es haftet ausdrücklich nichts, vorbei ist vorbei. Die Dinge hängen aneinander, aber fast wie berührungslos, ein Gleiten über Glas und Licht, das man kaum fühlt. Dem man immer nur hinterher ist - es gibt keine Gleichzeitigkeit der Erfüllung. Das Sehen eines solchen Films ist wie das Gleiten auf dem Eis; möglich nur dank eines unsichtbaren Films: Wasser auf Eis, ein Hauch von Wärme. (Und dieser unsichtbare Film: Wäre er nicht genau das richtige Verhältnis von Hypo- und Hypermedialität? Die Vermittlung von Formel und Materialität als unsichtbares Drittes? Ein Gleiten, das bei aller rasanten Beweglichkeit die Materie ahnen lässt? Figuren, die dem bloßen Gleiten, der reinen Intensität einen Widerstand entgegensetzen, ein Haften? Und umgekehrt die Gefahr, stecken zu bleiben, ins Stocken zu geraten, wenn das eine oder das andere überdosiert wird: ein dummer Dialog über eine verschwundene Katze; ein Tick zu lange aufgeschoben die Spannung auf der Toilette im Vatikan...)

Als Komplement der dem Wolkenkratzer-Kalculus gehorchenden Actionszenen also Reibungsenergie anderer Art. Als fürs Gelingen dieses Kinos notwendige Ergänzung der Ästhetik des Gleitens. Dafür klebt also an den Helden der Mut und an den Schurken die Raserei - als Exzess. Der Schurke und der Held, de jure des Plots nicht mehr als Vermittler und Unterbrecher, geraten de facto aneinander in exzessiver Leidenschaft. Der Hass des Schurken auf den Mann, der ihn erwischt, geht über die seltsam neutrale Lust, oder die Lust am Neutralen, die dem Tausch und dem Medium innewohnt, weit hinaus.

Mit Tauschaktionen, die behindert werden, ist das nicht zu erklären. Die Ehefrau, als Dritte zwischen den beiden, ist so das tatsächliche Neutrum; schieres Haftmittel, Reibungsfläche für Leidenschaften; so schön wie leer, der eigentliche McGuffin des Films, der mit seinem scheinbaren McGuffin, der ziellos durch die Actionsequenzen kullernden "Hasenpfote", demonstrativ lässig umgeht. (Der Symmetrie halber gibt es ein zweites Neutrum, als Komplement des Schurken - der freilich gewinnt an der Gesichtslosigkeit seines Compagnons das Profil, das er ohnehin hat.) Gerade weil es Tom Cruise an Charisma gebricht, braucht es die Frau. Das Ehefrau-Kalkül: Wir haften an der Figur, weil sie selbst haftet. Mit diesen Bindungskräften hantiert der Film (wie er das macht, das kann man etwas plump finden); die Doppel-Persona Cruise/Ehefrau macht den Helden, an dem uns liegt.

Die Frau selbst hat nicht das mindeste bisschen Individualität (die Frau als Krankenschwester: nichts als Klischee), sie ist durch und durch funktional. Darum müssen wir uns auch nicht wundern, dass sie am Ende schießen kann wie ihr zeitweilig toter Mann. Sie vertritt seine Stelle, weil sie in diesem Moment niemand anders ist als er. Wie jede Auflösung enttäuscht auch diese qua Auflösung. So einfach, so plump war das alles in Wirklichkeit? Unser Fiebern, unser Haften an den Figuren nichts als ein Wolkenkratzer- und Ehefrauen-Kalkül? (Die Enttäuschung ist freilich nur die halbe Wahrheit: die andere ist der Film, an dem wir haften, so lange er dauert. In der Lösung lösen wir uns. Vorbei ist vorbei. So einfach, so schön ist das alles in Wirklichkeit.)

(25.5.2006)

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