Sich in Bewegung setzen. Blick durch die Windschutzscheibe eines Autos,
die Fahrt hinaus aus der Stadt aufs Land. Ins Freie. Bewegung als Dauer.
Unklar ist, wohin es geht. Der Anfang einer Geschichte als Öffnung,
als schierer Beginn. Bilder von thailändischen Dörfern, auf der
Tonspur preist die Thunfischverkäuferin, um deren Auto es sich handelt,
ihren Thunfisch. Dann sitzt sie auf dem Boden, im Schatten, aus dem Off bittet
jemand, der Dokumentarist, der Regisseur, um eine Geschichte. Sie erzählt
eine furchtbare Geschichte. Ihr Vater, der sie verkaufte. Eine andere Geschichte,
sie muss nicht wahr sein, bittet der Regisseur. Sie überlegt, beginnt,
eine andere Geschichte zu erzählen.
Die Geschichte setzt sich in Bewegung. Ein behinderter Junge und seine
Lehrerin namens Dogfahr. Wir sehen Bilder. Die Thunfischverkäuferin,
der Junge, die Lehrerin, deren Geschichte sie zu erzählen begonnen hat.
Die Bilder der Fiktion aber gleichen denen der Dokumentation. Dasselbe
Schwarz-Weiß auf 16 Millimetern, dieselbe Uninszeniertheit der Szene.
Als wäre das eine aus dem anderen entsprungen, was es ist. Als gäbe
es, im besten Fall, eine hauchdünne Membran zwischen dokumentierter
Erfindung der Fiktion und den Bildern, die der Fiktion hinterherinszeniert
werden. Und das alles ist erst der Beginn. Es geht weiter, dokumentarisch,
über die Dörfer. Weerasethakul spielt die Geschichte weiter, an
andere Menschen, übergibt sie ihnen, lässt sie weiter fabulieren
(es ist das surrealistische Spiel, das wir von Kindergeburtstagen kennen;
einer schreibt einen Satz, den nur einer liest und fortsetzt mit einem Satz,
den nur einer liest und fortsetzt...). Die Lehrerin Dogfahr stirbt und verdoppelt
sich. Ein mysteriöses Objekt fällt aus ihrem Rock, mittags. Der
Junge ist ein Alien. Eine Gruppe von Dorfbewohnern inszeniert, an Ort und
Stelle, die Fortsetzung der Geschichte, mit Musik. Großer Applaus.
Zwei taubstumme Mädchen schicken die Lehrerin, den Jungen, einen weiteren
Jungen und ein Nachbarn (das Personal vermehrt sich, im Lauf der Geschichte,
um den es sich ganz buchstäblich handelt) zurück nach Bangkok.
Zurück, denn: von hier brach der Film auf. Im Radio läuft ein abstruser
Aufruf zur Verbrüderung mit Amerika, die Phantasie, die mit den
Mädchen durchgeht, mit der Geschichte, mit dem Erzählen.
Mysteriöses Objekt, mittags.)
Zwischendurch fällt auch die Fiktion aus dem Rahmen. Der Regisseur
kommt ins Bild, die Schauspieler, selbst Laien, verlassen ihre Rollen, die
Kamera läuft weiter. Die Fortsetzung, eine Handvoll Schüler. Eine
wüste Mär vom behinderten Jungen, der als Alien zurückkehrt
und Rache nimmt. Dann wird er aufgefressen. Metamorphosen, Thai version.
Eine andere Geschichte beginnt, vom Urwald, vom Tiger. Keine Bilder mehr
dafür. Das Dokument lässt seine Fiktion hinter sich, verharrt statt
dessen bei den Schülern. Der Abspann läuft, der Film aber endet
noch nicht. (In Blissfully
Yours läuft der Film schon lange, ist in Bewegung, von der Stadt
aufs Land, als der Vorspann, mit dem schon nicht mehr zu rechnen war, einsetzt.)
Die Kinder spielen Fußball, auf dem Sportplatz vor der Schule. Neben
dem Sportplatz das Wasser, aus dem der Ball schwimmend gerettet werden muss.
Das beobachtet die Kamera. Einfach so. Jenseits aller Geschichten, das schiere,
das reine Dokument. Letzte Bilder. Es könnte immer so weiter gehen,
Geschichten erzählend und nicht. Dann das Ende, als Setzung, den letzten
Bildern, die nirgends hinauswollen, ist es nicht anzumerken. The End. To
be continued.
Die DVD gibt's bei
Facets
(USA)
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