In seinem Debüt "Napoleon Dynamite" beherrscht Jared Hess
die Kunst, das Selbsterlebte an einen Punkt zu treiben, an dem es auch für
den, der es nicht kennt, als Wahrheit über etwas auch dem, der es erlebt
hat, Fremdes erfahrbar wird. Eine Verwandlung, eine Ausstülpung des
Autobiografischen als Erstellung einer Welt, die nur aufgrund ihrer
Künstlichkeit verbindlich wird.
Die Kraft der Pointen des Films liegt in der Performanz ihres Vollzugs, der
jeden Nachvollzug kunstvoll auf Distanz hält. Der Film setzt seine Pointen
mit einem Schnitt exakt im Moment ihres punctum, justament da, wo
im ungeplanten Sprung über die Kante die Großmutter vom Motorrad
sich löst. Suspension für einen Moment, der Schnitt hinein in den
fast nur mathematisch zu fassenden, gar nicht als Pointe zu erfahrenden
Augenblick. Das Lachen bleibt, sich ankündigend, aus.
Es ist dieser Schnitt, den man zu nehmen lernt, wie er kommt: kühl,
ausdruckslos, eine Geste, die sich niemals selbst kommentiert, ja, die noch
ihren Gesten-Charakter minimiert. Ein Zucken, aber bewegungslos. Die Kraft
der Komik von "Napoleon Dynamite" liegt in diesem Schnitt, zwischen Non und
Sequitur. Zwischen der einen Szene und der nächsten eröffnet sich
im Bruchteil einer Schrecksekunde ein Nichts an Witz. Aus diesem Nichts beziehen
die endende und die beginnende Szene ihre Kraft: des Absturzes, des Anbruchs.
Der Sturz, der Bruch, ihr Trägermedium als ausdrucksloser Shifter und
Modulator des Nichts: das Gesicht des Helden, sein offener Mund, die Dauerwelle,
ein Sprechen, das nicht ferngesteuert wirkt, sondern ganz so, als gebe es
auch hinter diesem Sprechen gerade nichts: keine Persönlichkeit und
keine Gefühle, keine Intention, nicht einmal einen Wunsch. Napoleon
Dynamite ist wunschlos, von Glück keine Rede, auch von Unglück
nicht. (Oder anders: Noch Napoleons Wünsche sind wunschlos.)
Daraus entsteht eine Welt. Der Vorwurf der Denunziation findet an keiner
Stelle dieser Welt einen Anhalt. Die Position des Betrachters als Urteil
über die Haltung des Films zu dieser Welt bleibt dieser selbst
äußerlich. Ihre Künstlichkeit nimmt in der Verkörperung
durch Napoleon und seinesgleichen (Pedro, Kip, Rico) die Wirklichkeit als
erfahrbar fremde auf, aber schluckt jeden Blick, der mehr will als nur sehen.
(Fassungslos, könnte man sagen, aus jeder Fassung immer wieder gerissen
von Schnitt zu Schnitt. Die skalpierten Pointen wirken, gerade weil sie noch
den Akzent auf ihrer Akzentlosigkeit verweigern. Sie sind immer schon vorbei,
wenn ihre Wirkung einsetzt, oder anderes gesagt: dieses Vorbeisein verwandelt
die Wirkung, die sie haben, zur Nachwirkung, der keine Wirkung vorausging.)
Das Ending dann, Happy gewiss, auf das alles ohne im Zulaufen ersichtliche
Notwendigkeit zugelaufen sein wird, ist die reine Entäußerung
in zwei Gesten: Das Treffen des Balls an der Schnur im rechten Moment, ein
Nichts an Kairos. Und der Rückzug der Kamera, eine Art Abwicklung,
Rückzug noch vom Rest an Repräsentation. Die Figur hat sich
aufgelöst und ist nun nicht länger denkbar in der Welt, die sie
konstituierte. Weil dieser Figur etwas geschehen ist, das sie verändern
muss, implodiert diese ganze Welt. Es könnte das, was aus dem
Inneren der vom Film zuvor entworfenen Welt undenkbar - Leben heißt,
nun beginnen. (Nach dem Abspann die Annäherung an die Form der Parodie,
der sich das meiste zuvor noch entzog. Ein Rückfall, wenn auch ein
brillanter.)
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