Drei Geschwister, chinesische Provinz, siebziger Jahre. Von
diesen Äußerlichkeiten aus arbeitet Peacock, das
Regiedebüt des Kameramanns Gu Changwei nach einem hervorragenden Drehbuch
von Li Qiang, so entschieden wie sorgfältig nach Innen. Er erzählt
die Geschichte einer Familie, so einfach kann man es sagen, so einfach geschieht
es. Im ersten Teil konzentriert er sich auf die Tochter, aus der Großes
werden könnte. Sie sprengt die Grenzen, die das Elternhaus, das Dorf,
die Konventionen ihr setzen. Eines Tages landet neben ihr ein Fallschirmspringer
auf der Wiese, der weiße Schirm senkt sich auf sie, sie befreit sich
und will als Fallschirmspringerin zum Militär. Das Vorhaben scheitert,
keine große Geschichte, aber es wird die Geschichte ihres Lebens.
Der eine ihrer beiden Brüder ist fett, er ist geistig zurückgeblieben,
er wird von allen gehänselt. Sein Bruder, seine Schwester schämen
sich für ihn. Eines Nachts, der Film erzählt auch das mit dem ihm
eigenen Understatement, wollen sie ihn vergiften. Die Mutter bemerkt es und
am nächsten Morgen vergiftet sie vor den Augen der Beinahe-Mörder
eine Gans. Sie stirbt, die Kamera verweilt auf dem Tableau, zeigt, wie das
Tier sich windet, aber im rechten Moment, noch bevor sie tot ist, wird
abgeblendet.
Das ist die große Kunst von Peacock: Das Gefühl für
das Abblenden im rechten Moment, für das Zeigen im rechten Maß,
für das Schweigen da, wo es angebracht ist. Nicht einmal hascht dieser
Film nach einem Effekt, nicht einmal glaubt er, etwas explizieren zu
müssen, das sich auch implizit zeigen lässt. Er ist nüchtern
bis ans Herz und doch nicht kalt. Er hat Mitleid mit den Leidenden und sucht
nicht ein bisschen nach einer Versöhnung, die immer nur falsch sein
müsste. Der Kameramann Gu Changwei entwirft als Regisseur und mit Hilfe
seines Kameramanns Yang Shu Bilder, die nicht aus sich heraus beeindrucken
wollen, sondern einfach präzise sind, die zeigen, ohne den Zuschauer
zu irgendetwas zu nötigen. Nicht zu Tränen, nicht zu Mitgefühl,
nicht zum Hass auf die Borniertheit der ganz normalen Unmenschen, die man
hier sieht.
Allen lässt der Film Gerechtigkeit widerfahren. Die Eltern, die der
Tochter und dem jüngeren Sohn das Leben zur Hölle machen, lieben
den behinderten Sohn bedingungslos. Und umgekehrt: Die Tochter, die in dem
ihr gewidmeten Kapitel das Mitsehnen und Mitgefühl auf sich zieht, scheut
vor dem Mordversuch an dem Bruder, den sie sonst immer zu verteidigen sucht,
nicht zurück. Erzählt wird die Geschichte vom kleinen Bruder, der
sich in einem sparsam eingesetzten Voiceover-Ich aus dem Off erinnert. Fast
ist die Stimme wichtiger als das, was er sagt. Diese Stimme ist, wie der
Film Peacock, auf eine sanfte, aber tiefe Traue gestimmt. Er
erzählt von der Vergangenheit ohne den leisesten Anflug von Nostalgie.
Es ist ein Film, der seine Größe niemandem aufnötigt, und
umso nobler ist er. An keiner Stelle erweitert er die Möglichkeiten
des Kinos, das ist wahr. Aber er besitzt eine Sicherheit im Ton, im Rhythmus,
im Maß der einesetzten filmischen Mittel, die ihn im Umfeld des
diesjährigen Wettbewerbs doch zu einem Ereignis macht.
Und noch etwas: Bei aller Bewunderung für den einen Ton, auf den Julia
Hummer und Sabine Timoteo ihre Figuren in Christian Petzolds
Gespenster zu stimmen verstehen. Die Leistung von Zhang Jingchu
in der Rolle der Schwester (alle Figuren bleiben namenlos) überragt
alles, was ich an nuancierter Ausdrucksfähigkeit in der letzten Woche
gesehen habe. Sie macht, wie der ganze Film, gar nicht so viel. Wie aber
fast unvermerkt die Verwandlung von der lebenslustigen jungen Frau zur etwas
verhärmten Geschiedenen in ihrem Gesicht, in ihrer Körperhaltung
sich abspielt, das ist von jener Überzeugungskraft, die im
Unspektakulären liegt und eben darum gerne übersehen wird.
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