Eine Frau gerät ins Bild, zufällig, weil Raymond
Depardon gerade eine alte Bäuerin filmt. Sie fragt: "Werde ich gefilmt?"
"Ja", sagt die alte Bäuerin. "Warum?" lautet die Gegenfrage. "Weil Sie
da sind", so die schlichte Antwort. Noch sind sie da, noch geraten sie ins
Bild, noch kann Depardon sie festhalten. Es sind Szenen wie diese, die das
gezielte Suchen des Regisseurs kommentieren, als die Utopie des Dokumentaristen.
Die Dinge filmen, wie sie sind, in dem Moment, in dem sie geschehen und vergehen.
Profils paysans: le quotidien ist der zweite Teil eines auf zehn
Jahre angelegten Langzeitprojekts, das das bäuerliche Leben in der
französischen Provinz zum Gegenstand hat, aber auch die Zeit.
Es beginnt mit dem Bild eines Toten. Ein alter Mann steht in einer Tür,
die Stimme des Regisseurs berichtet von seinem Tod. Der alte Mann war ein
Bauer, er stand, erfahren wir, im Zentrum des ersten Teils. Eine
Langzeitbeobachtung hat mit dem Tod zu rechnen. Er ist verschwunden, es gibt
Bilder von seiner Beerdigung, es gibt Bilder seiner Witwe, sie ist 87 Jahre
alt, auch sie wird verschwinden, nach einem Treppensturz kommt sie ins
Krankenhaus, dann ins Altersheim, nüchtern berichtet es der Erzähler.
Der Erzähler freilich erzählt nicht. Er notiert, er gibt sachliche,
karge Informationen, nicht oft, dennoch stellt sich über diese Stimme,
die nicht erzählt, sondern erläutert, ein Bezug her, zu den Menschen,
die auf dieselbe Stimme des Regisseurs, der nie ins Bild kommt, reagieren.
Er befragt sie. Er hat diesen Menschen von sich erzählt, mit ihnen
gesprochen, das ist im Film nicht zu erfahren, aber man spürt es. Sie
würden sich einem Unbekannten nicht öffnen. Und sie würden
sich einem Aufdringlichen, einem Eindringling nicht öffnen. Die Kamera,
die meist starr bleibt, drängt sich nicht auf, sie stellt vielmehr einfach
den Raum zur Verfügung, sie bereitet ihn wie man einen Sitz, ein Bett
bereitet, in dem die Gesichter, die Körper der Männer und Frauen,
für die Depardon sich interessiert, ihren Platz finden. Sie öffnen
sich zögerlich, sie entziehen sich auch. Über manches wollen sie
nicht sprechen. Dass ihr Leben, ihr Beruf, wie sie es gelebt haben, wie sie
ihn ausgeübt haben, keine Zukunft hat, das wissen sie. Sie werden
darüber nicht sentimental. Es ist ein harter Job, es ist schwer, eine
Frau zu finden, sagt einer, der noch jung ist. Die Jungen, die die alten
Höfe kaufen, die an die Tradition anknüpfen, tun es nicht mehr
mit der Selbstverständlichkeit, die zur Tradition gehört. Sie kommen
von anderswo, sie entscheiden sich für ein Leben, für das andere
kaum mehr Verständnis haben.
Raymond Depardon interessiert sich. Er sucht in der Nähe, die er zu
manchen der Leute offenkundig findet, noch die Distanz, die für den
Respekt unabdingbar ist. Er hat den Anstand, sich nicht in falscher Weise
gemein zu machen. Er zeigt, was ist, weil es ist. Einmal geht von rechts
nach links ein Mann durchs Bild, die Kamera hält das fest. Er sagt hallo,
Depardon sagt hallo. Mehr nicht. Warum wird er gefilmt? Weil er da ist.
Profils paysans: le quotidien ist ein unspektakulärer Film
und sehr viel mehr als das: ein Manifest des Unspektakulären, das alle
Gier nach dem Spektakel durch seine Einfachheit beschämt.
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