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Raymond Depardon: Profils paysans: Le quotidien (Frankreich 2005)

Kritik von Ekkehard Knörer 

Eine Frau gerät ins Bild, zufällig, weil Raymond Depardon gerade eine alte Bäuerin filmt. Sie fragt: "Werde ich gefilmt?" "Ja", sagt die alte Bäuerin. "Warum?" lautet die Gegenfrage. "Weil Sie da sind", so die schlichte Antwort. Noch sind sie da, noch geraten sie ins Bild, noch kann Depardon sie festhalten. Es sind Szenen wie diese, die das gezielte Suchen des Regisseurs kommentieren, als die Utopie des Dokumentaristen. Die Dinge filmen, wie sie sind, in dem Moment, in dem sie geschehen und vergehen. „Profils paysans: le quotidien“ ist der zweite Teil eines auf zehn Jahre angelegten Langzeitprojekts, das das bäuerliche Leben in der französischen Provinz zum Gegenstand hat, aber auch die Zeit.

Es beginnt mit dem Bild eines Toten. Ein alter Mann steht in einer Tür, die Stimme des Regisseurs berichtet von seinem Tod. Der alte Mann war ein Bauer, er stand, erfahren wir, im Zentrum des ersten Teils. Eine Langzeitbeobachtung hat mit dem Tod zu rechnen. Er ist verschwunden, es gibt Bilder von seiner Beerdigung, es gibt Bilder seiner Witwe, sie ist 87 Jahre alt, auch sie wird verschwinden, nach einem Treppensturz kommt sie ins Krankenhaus, dann ins Altersheim, nüchtern berichtet es der Erzähler. Der Erzähler freilich erzählt nicht. Er notiert, er gibt sachliche, karge Informationen, nicht oft, dennoch stellt sich über diese Stimme, die nicht erzählt, sondern erläutert, ein Bezug her, zu den Menschen, die auf dieselbe Stimme des Regisseurs, der nie ins Bild kommt, reagieren.

Er befragt sie. Er hat diesen Menschen von sich erzählt, mit ihnen gesprochen, das ist im Film nicht zu erfahren, aber man spürt es. Sie würden sich einem Unbekannten nicht öffnen. Und sie würden sich einem Aufdringlichen, einem Eindringling nicht öffnen. Die Kamera, die meist starr bleibt, drängt sich nicht auf, sie stellt vielmehr einfach den Raum zur Verfügung, sie bereitet ihn wie man einen Sitz, ein Bett bereitet, in dem die Gesichter, die Körper der Männer und Frauen, für die Depardon sich interessiert, ihren Platz finden. Sie öffnen sich zögerlich, sie entziehen sich auch. Über manches wollen sie nicht sprechen. Dass ihr Leben, ihr Beruf, wie sie es gelebt haben, wie sie ihn ausgeübt haben, keine Zukunft hat, das wissen sie. Sie werden darüber nicht sentimental. Es ist ein harter Job, es ist schwer, eine Frau zu finden, sagt einer, der noch jung ist. Die Jungen, die die alten Höfe kaufen, die an die Tradition anknüpfen, tun es nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit, die zur Tradition gehört. Sie kommen von anderswo, sie entscheiden sich für ein Leben, für das andere kaum mehr Verständnis haben.

Raymond Depardon interessiert sich. Er sucht in der Nähe, die er zu manchen der Leute offenkundig findet, noch die Distanz, die für den Respekt unabdingbar ist. Er hat den Anstand, sich nicht in falscher Weise gemein zu machen. Er zeigt, was ist, weil es ist. Einmal geht von rechts nach links ein Mann durchs Bild, die Kamera hält das fest. Er sagt hallo, Depardon sagt hallo. Mehr nicht. Warum wird er gefilmt? Weil er da ist. „Profils paysans: le quotidien“ ist ein unspektakulärer Film und sehr viel mehr als das: ein Manifest des Unspektakulären, das alle Gier nach dem Spektakel durch seine Einfachheit beschämt.

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