Die deutsche Fassung des Titels ist, wie so oft, irreführend: weder
ist Scaramouche galant noch ist er ein Marquis; genaugenommen hat er
überhaupt keine Identität außer jener sehr begrenzten,
befristeten, die ihm das Spiel auf der Bühne gewährt. Scaramouche,
der Hanswurst, ist eine Figur der Commedia dell'Arte, definiert durch zwei
oder drei Eigenschaften, eine Maske und ein Kostüm, und wenn Sidneys
Film, ebenso wie die Romanvorlage von Raffael Sabatini, nach ihm benannt
ist, mag dies ein Zeichen dafür sein, daß die Frage nach
Identitäten und Identitätsfiktionen zwar in seinem Zentrum steht,
jedoch nicht besonders ernst genommen und mit einer gewissen
Leichthändigkeit behandelt wird.
Die Frage "Wer ist Scaramouche?" ist demnach keine, das heißt: keine
angemessene, da der, der als Titelheld vorgestellt wird, de facto keinerlei
Substanz hat und sein Gesicht (eine Larve) ganz unterschiedlichen Trägern
leiht - dem Schauspieler mit den entstellten Zügen ebenso wie dem Abenteurer
Moreau, der, wie sollte es anders sein, die Maske als letzte Chance, sich
zu verbergen, entdeckt, als er auf der Flucht von den Häschern seines
Widersachers in die Enge getrieben wird. Natürlich hat dieser Schutz
seinen Preis, natürlich wird der Larventräger ohne weitere Umschweife
auf die Bühne expediert, und so beginnt die zweite Karriere von Moreau
/ Scaramouche als Wanderschauspieler und Held der Pariser Bühnen, die
er mit der Truppe des M. Binet erobert.
Es ist eine gefahrvolle Karriere, genauer: gefahrvoll immer dort, wo er seine
Bühnenpersona oder das Theater verläßt, das hier zuallererst
als Versteck figuriert. Entsprechend erscheint der unvermeidliche Moment,
in dem er aufgefordert wird, die Maske des Scaramouche abzulegen, als der
gefahrvollste und der des denkbar größten Suspense, der durch
panische Improvisation der ganzen Truppe immer weiter in die Länge gezogen
wird, bis die Szene buchstäblich kippt und die Figur mit der Larve durch
eine Klappe in der Versenkung verschwindet. Als man sie wiederfindet und
ihr Maske vom Gesicht reißt, steckt dahinter bereits ein anderer -
der Gesuchte indes befindet sich auf der Flucht, direkt in die nächste
Szene der Konfrontation, die sich wiederum als Versteckspiel gestaltet, denn
wenn Moreau auch fast nichts über sich selbst - seine Herkunft, seine
Familie - weiß, versteht er immerhin, sich seinen Gegenübern in
immer neuen Rollen zu präsentieren.
Moreau, der Kavalier. Moreau, der Rächer. Moreau, der Lebemann, der
einfühlsame Freund, der Verschwörer, der Politiker. So virtuos
er sich zwischen diesen personae bewegt, ist er doch nur zum Teil Herr eines
Geschehens, das durch verschiedene Konstellationen und Kräfte bestimmt
wird, darunter eine Anzahl von Gegensätzen, die seine Rollenwechsel
in Gang halten. Zwei politische Systeme (man befindet sich in den Anfängen
einer überaus phantasmagorisch gestalteten Französischen Revolution):
die Adligen, die Bürgerlichen; er selbst scheint weder den einen noch
den anderen zugehörig, stellt sich jedoch für kurze Zeit der
bürgerlichen Partei zur Verfügung. Zwei Brüder: den einen,
angenommenen, verliert er, den anderen, wirklichen, findet er erst ganz am
Ende, doch klärt das die Frage der Zugehörigkeiten nicht wirklich
und auch nicht die nach seiner Stellung in der Welt. Zwei Frauen: eine Adlige,
etwas unbedarft, eine Schauspielerin, durchaus kriegerisch; mit der letzteren
versteht er sich von allen Figuren am besten, ohne sich aber an sie binden
zu wollen oder sich ganz für ein Leben im Theater zu entscheiden.
Statt dessen setzt er das Spiel mit der Maske fort: immer, wenn es ihm
paßt, und vor allem dann, wenn es ihn seinem Widersacher, dem Marquis
de Mayne, näher bringt. Weilt der Marquis auf dem Lande, spielt die
Truppe in der nächstgelegenen Kleinstadt, reist der Marquis nach Paris,
folgt man ihm dorthin, und auch die letzte Begegnung zwischen den beiden
wird nicht dort stattfinden, wo Moreau sie Tag für Tag gesucht hat:
in der National-versammlung, sondern im Theater, wo er de Mayne von der
Bühne aus im Zuschauerraum erspäht. Was folgt, ist, nach allgemeinem
Einverständnis, das fulminanteste Fechtduell der Filmgeschichte - und
auch eines der längsten, das den Protagonisten zunächst direkt
von der Bühne in die Loge des Marquis führt (ein Seil, das vom
Schnürboden hängt, macht es möglich), und dann weiter über
Korridore, Treppen, Foyer durch die Reihen des Zuschauerraumes zurück
auf die Bühne, die in "Scaramouche" Schauplatz für mehr als eine
Entscheidung ist.
Vor dem Duell nimmt Moreau seine Maske ab: eine große und lange
verzögerte Geste, die ihr Komplementär zum einen in der frühen,
mißglückten Demaskierungsszene hat, zum anderen in den vielen,
ebenfalls mißglückten Versuchen, den Marquis zu stellen und jene
Stunde der Wahrheit einzuleiten, auf die Moreau seit ihrer ersten Begegnung
wartet. Die Stunde kommt, sie geht vorüber; die Wahrheit erfährt
er auch, wenngleich erst in einem kleinen Epilog, der nach dem Duell unter
dem Proszenium stattfindet. Wie alles andere, unterliegt hier das Spiel um
Identitäten, Rollen, Verkennungen dem Gesetz der Suspension, und wie
in Komödien üblich, wird es sich nur durch einen kleinen Akt der
Gewalt zum Abschluß bringen lassen: durch einen Auftritt, der von
außerhalb erfolgt, und durch eine Lösung, die sich nur insofern
antizipieren läßt, als sie sich als die denkbar unwahrscheinlichste
darstellt.
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