Das unheimliche Auge des Kinos: Ein Blick, der weder ("objektiv")
die Figur/die Welt beobachtet noch ("subjektiv") Beobachtung der Figur zu
sein scheint. Ein Blick, der die Aufmerksamkeit auf sein eigenes Blicken
richtet, nicht als Reflexion, sondern als körperlose Anwesenheit. Mitten
in "Schläfer" ereignet sich ein solcher Blick, eine Bewegung von einer
Straßenseite zur anderen. Sie ist, im Grunde, zurechenbar, auf ein
Subjekt, das blickt; zugleich aber scheint sie sich völlig von ihm
gelöst zu haben. (Die Tatsache, dass es eine der wenigen Stellen mit
extradiegetischer Musik ist, unterstreicht das noch.) Mit einem Schlag wird
die Welt damit unheimlich: Was ist das für eine Welt, die gesehen wird
von einem Blick ohne Subjekt? Ist es nicht eine verlassene, verlorene, von
uns als Beobachter nicht mehr anzueignende Welt? Und was ist, wenn dieser
Blick dann eindringt, oder eingedrungen sein wird, in unsere Welt? Wie sieht
sie dann aus? Können wir unseren Augen dann noch trauen?
Nüchtern beobachtet in seiner ersten Einstellung der Film eine
alltägliche Szene im Park. Er sagt uns lange nicht, worauf wir achten,
worauf wir unseren Blick richten sollen. Dann schon. Eine ältere Frau,
ein junger Mann, in ihrem Gespräch wird, kaum verkürzend gesagt,
nichts anderes eingerichtet als, eben: ein Blick. Der junge Mann wird als
Spitzel angeworben, er soll seinen arabischen Kollegen beobachten. Ist das
Paar, dem unser Interesse - nun also - gilt, ausgemacht, löst sich die
Kamera aus ihrer Statik und heftet sich in einer Plansequenz an die Fersen
der beiden, folgt ihnen eine ganze Weile durch den Park, lässt sie erst
wieder los in eine neue Einstellung, als der Blick, so könnte man sagen,
justiert ist, eingerichtet: als Tendenz zur misstrauischen, argwöhnenden
Lektüre alltäglicher Szenen.
Als wäre es ein Kommentar zu Gus van Sants "Elephant" folgt die Kamera
dann dem jungen Mann, Johannes, durch die Gänge der Universität,
an der er seine virologischen Forschungen beginnen wird. Es geht, versteht
sich, in der Virologie-Forschung um das Eindringen von Fremdkörpern
und die Abwehr der Eindringlinge. Ein Eindringling ist einer, der nicht da
hingehört, wo er ist. Ein "Schläfer" ist ein Eindringling, der
als solcher kaum auszumachen ist, einer, der sich als Eindringling erst
verrät, wenn es zu spät ist. Jeder kann ein Schläfer sein.
Der Blick auf einen Jeden lässt sich so einrichten, dass seine Handlungen
zu Hinweisen werden. In "Elephant" folgt die Kamera zwei jungen Männern
so lange, bis sie sich als Eindringlinge erweisen, als Schläfer, die
zu Mördern werden. Die Insistenz der Verfolgung ist etwas wie das Warten
auf eine Offenbarung. In "Elephant" ereignet sich diese Offenbarung. In
"Schläfer" sind die Verhältnisse verwickelter.
Oder weniger rein. "Schläfer" gibt sich als Experimentalanordnung, wagt
es dann aber nicht, auf verunreinigende Realismen zu verzichten. Es ist eine
Großmutter zu viel im Spiel und eine Frau, die zwischen die Männer
gerät. Das aber ist ein anderes "Zwischen" als das "Zwischen" des Verdachts,
der alles Geschehen ins Licht einer potenziellen doppelten Lektüre stellt.
Was harmlos scheint, kann fatal sein. Und was ist ein eindeutiges Zeichen?
Wie bei "Elephant" stellt sich diese Frage prominent angesichts von
Ego-Shooter-Spielen. Wie literal oder metaphorisch habe ich zu nehmen, was
einer hier tut? Wie lese ich diesen subjektiven Blick, das Gewehr in der
Hand, bereit und mehr als bereit, zu töten, was sich in den Weg stellt?
Irritierenderweise vergisst der Film diese Fragen aber, einer ungleich banaleren
Eifersuchtsgeschichte wegen. (Genauer gesagt sind es sogar zwei
Eifersuchtsgeschichten, eine berufliche und eine private.) Statt bei der
Blickanalyse zu bleiben, wird "Schläfer" zum Psychogramm. Die Ambivalenz
und Unheimlichkeit des Verdachts übersetzt und entmischt er in den Zugriff
der Staatsmacht einer-, die moralische Verfehlung anderseits. Mit dieser
Wiederherstellung der Blickordnung, diese doppelten Vereindeutigung verrät
der Film die Unheimlichkeit seiner so gekonnt eingerichteten
Ausgangskonstellation.
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