Dies ist ein Film der Auftritte, vieler Auftritte, von denen zwei aus der
Luft erfolgen und alle anderen konventionell, das heißt: durch Türen.
Bühnentüren, Toilettentüren, Wohnungstüren, Türen
ins Schlafzimmer und Türen in den Zuschauerraum, Türen mit Ordonnanzen
davor, Türen, hinter denen ein totes Double wartet, gepolsterte Türen,
vergitterte Türen, bewachte, belagerte und solche, über denen man
noch schnell das Schild ausgewechselt hat. Mehr als einmal fliegt eine Tür
unerwartet auf, ein andermal ist sie verschlossen, was (beinahe) eine Katastrophe
bedeutet, denn der unbehinderte Wechsel zwischen zwei Räumen, zwei Seiten,
zwei Welten ist ein sine qua non dieser Geschichte: das, was sie in
Gang hält, aber auch das, was Rettung verspricht, Auswege, die immer
von einem Zimmer in das angrenzende führen.
Türen also, Türen überall, im Theater wie außerhalb,
und weil sie auch außerhalb so zahlreich sind und für ganz
unterschiedliche Auftritte genutzt werden, beginnt die klassische Topographie
von Theater und Umfeld, Bühne und Hinterbühne, Szene und Kulisse,
von Zuschauerraum, Foyer, Garderobe, Bühneneingang, etc. sehr bald sich
aufzulösen, genauer: sie wird von einer Bewegung erfaßt, in der
jeder Raum ohne große Vorbereitung zum Auftrittsort werden kann und
alle Räume ihre Funktion verändern, je nachdem, wie es die Situation
gerade erfordert. Auftritte, Rückzüge, Vorstöße: die
Welt dringt ins Theater ein, das Theater probt den Ausfall nach draußen,
all dies vor der Kulisse der soeben erfolgten Okkupation Warschaus, die in
einer der ersten Szenen auf der Bühne vorweggenommen wurde.
Hitler kommt durch die Tür, Bronski geht durch die Tür; durch eine
Tür im Zuschauerraum wird der Schauspieler das Theater verlassen, um
in einer Straßenszene die Wirkung seiner Maskerade zu
überprüfen, und wie in einer Gegenbewegung tritt später auf
demselben Weg der Ministerialbeamte ein, der dem Ensemble die Absetzung des
eben einstudierten Stücks verkündet. Was auf der einen Seite geschieht,
bereitet sich auf der anderen vor, was auf der einen vorgeht, läßt
die Welt jenseits der Tür nicht unberührt, und welche von beiden
der anderen jeweils voraus ist, kann kaum eindeutig entschieden werden. Es
gilt art imitates life: die Uniformen, Abzeichen, Befehle, mit denen
das Theater arbeitet, sind der Wirklichkeit des Terrors entlehnt, aber es
gilt auch life imitates art, denn bisweilen antizipiert man im Register
des theatralen Inszenierungen, was sich nur zu bald in Wirklichkeit ereignen
wird. Erst kommt Hitler durch Kulissentür, dann erscheint er mit seinem
Troß in Warschau; erst lockt man den infamen Professor Siletski unter
dem Vorwand einer Terminverschiebung aus dem Hotel, dann tritt diese Verschiebung
tatsächlich ein; erst lacht der Schauspieler Tura in der Verkleidung
als Gestapochef Ehrhardt über ein Bonmot, um ein paar Sekunden Zeit
zu gewinnen, wenig später wird der echte Gestapochef dasselbe Bonmot
mit Bgeisterung kommentieren.
Die Darsteller, die hier zwischen den Welten agieren, kennen die Gewohnheiten
derer, die sie nachahmen, noch ehe sie ihnen begegnet sind. Eine Replik,
ein Dialog werden zum ersten Mal auf der Bühne vorgebracht und dann
ein paar weitere Male andernorts, fast als hätte diese Geschichte nur
eine begrenzte Menge Text zu ihrer Verfügung oder als sei sie geschrieben,
um eine Handvoll Sentenzen zirkulieren zu lassen, quer durch eine Reihe von
Situationen, von denen kaum eine unverfänglich ist und manche so
konstruiert, daß nicht zu sehen ist, wie ihnen mit heiler Haut zu entkommen
wäre.
Zirkulation, Umlauf. Auch: Wiederverwertung, Recycling, Repetition. Alles,
fast alles, wird hier mehr-fach zum Einsatz kommen, die Uniformen, die für
eine abgesetzte Inszenierung genäht wurden, ebenso wie das Kleid der
Hauptdarstellerin, für das Stück eigentlich zu schön, aber
für ein Rendez-vous mit den Vertretern der Besatzungsmacht bestens zu
gebrauchen. Nicht anders die Verwendung der Sprache: Grünberg, der
jüdische Schauspieler, spricht seinen Shylock-Monolog dreimal und mit
jedem Mal ist seine Situation verzweifelter geworden, dreimal wird derselbe
Hitler-Witz erzählt, zweimal ein Gestapo-Offizier mit seinem Spitznamen
bekannt gemacht, dreimal die Frage nach dem hervorragenden Schauspieler Jozef
Tura gestellt, viermal die Zeile "Sein oder Nichtsein" als Codewort zwischen
zwei Verliebten gebraucht, drei- oder viermal erklärt, eine Replik oder
eine Handlung sei ganz gewiß geeignet, "einen Lacher" zu geben.
Repetitiv auch die Ereignisse. Peinlichkeiten wiederholen sich, zum Beispiel,
wenn Ravic, erster Charakterspieler, auf die Idee verfällt, seinen Auftritt
etwas auszudehnen, oder wenn der Gestapomann Ehrhardt gegen die Regeln des
NS-politisch Korrekten verstößt, ohne dies auch nur im geringsten
zu beabsichtigen. (Auch das geschieht viermal; beim vierten Mal entscheidet
er schließlich, seinem Hang zur Wiederholung gewaltsam ein Ende zu
setzen.) Die Begegnung zwischen Spion und Gestapo-Offizier findet zweimal
statt, und beide Male ist einer von beiden falsch; zweimal wird ein falscher
Bart abgerissen, dreimal ein falscher angeklebt, zweimal ein Treffen am Flugplatz
vereinbart, dreimal in letzter Minute umdisponiert, dreimal verläßt
ein Zuschauer gleich nach Beginn des Hamlet-Monologs den Saal, und es ist
dieser letzte Abgang, mit dem die Geschichte an ihr vorläufiges Ende
kommen wird, der zugleich den Auftakt zu etwas Neuem darstellt.
Wiederholung, schrieb Frieda Grafe, sei bei Lubitsch "nicht zwanghafter
Mechanismus, sondern graziöse Drehung". Der Theaterfilm, der Sein
oder Nichtsein ist, vollführt von solchen Drehungen im Abschied
noch eine letzte.
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