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Banjong Pisanthanakun, Parkpoom Wongpoom: Shutter (Thailand 2004)

Kritik von Stefan Höltgen 

Narratologisch sind sich die so genannten „J-Horror“-Filme oft recht ähnlich: Da wird eine Geistergeschichte erzählt, in deren Verlauf die Protagonisten, um das Geheimnis des Spunks zu lüften, in die Vergangenheit reisen müssen. Dort findet sich dann zumeist ein Trauma, das die Ursache für den Spuk der ruhelosen Seelen ist. Diese den Erzählprinzipien der Gothic Novel sehr verwandte Struktur findet sich nicht nur in den Ju-on- und Ringu-Filmen sondern auch in vielen anderen asiatischen Gruselstoffen – besonders markant etwa im 2003 erschienenen „The Eye“ der thailändischen Pang-Brüder. Ein diesem Film sehr ähnliches Werk mit dem Titel „Shutter“ kommt jetzt ins Kino. Und vieles von dem, was „The Eye“ falsch macht, ist in dem neueren Film exzellent umgesetzt.

Erzählt wird die Geschichte des jungen Fotografen Tun, der eines Abends nach einer Party auf dem Heimweg eine junge Frau überfährt. Als er am nächsten Tag den Unfallort aufsucht, erfährt er, dass dort gar keine Person zu Schaden gekommen ist. Auf Fotografien, die Tun in der folgenden Zeit aufnimmt, finden sich nun immer häufiger merkwürdige Lichterscheinungen und transparente Körper. In der Wohnung Tuns beginnt es zu spuken und spätestens als seine ehemaligen Kommilitonen beginnen, sich scheinbar grundlos das Leben zu nehmen, in dem sie von Hochhäusern springen, glaubt Tun, dass eine unheimliche Macht ihre Finger im Spiel hat. Zusammen mit seiner Freundin Jane findet er heraus, dass es sich bei dem Mädchen, das beide nun immer häufiger in der Wohnung und auf den Fotografien sehen, um Natre handelt, eine ehemalige Mitstudentin Tuns, die seine Freundin war, für die er sich wegen ihrer Exzentrik aber bei seinen Kommilitonen geschämt hat. Tun und Jane suchen die junge Frau und finden außerhalb Bangkoks die Wohnung der Mutter. Diese lebt zusammen mit dem Leichnahm Natres, den sie nach ihrem Suizid vor Jahren nicht beerdigt hat. Tun und Jane überreden die Frau, eine zeremonielle Verbrennung Natres durchzuführen, um ihrem Geist Ruhe zu geben. Doch auch danach hat der Spuk noch kein Ende.

Trotz ihrer Komplexität ist die Geschichte, die „Shutter“ erzählt, wesentlich einfacher strukturiert und die Motivationen von Protagonisten (und Geistern) wesentlich nachvollziehbarer als bei dem vom Plot her sehr ähnlichen „The Eye“. Grund dafür ist die Konzentration des Films auf eine Hand voll wesentlicher Leitmotive, zu denen vor allem das Thema der Geisterfotografie gehört. Die schemenhaften Umrisse auf den Fotografien Tuns finden ihre Entsprechung im sehr intelligenten Einsatz der Tiefenschärfen des Kameramanns Niramon Ross. Immer wieder sind die Figuren im Hintergrund wie Geisterbilder zu sehen und von den „echten“ Geistern im Bild kaum zu unterscheiden. Eine große Anzahl der somatischen Schocks (die im übrigen durch einen sehr düsteren Soundtrack unterstüzt und forciert werden) beruht auf diesen Schärfeunterschieden. Die Fotografie – und darauf rekurriert auch der Titel des Films – wird hier nicht nur als Beweis der Existenz von Geistern eingesetzt, sondern auch zusehends als Medium der Echtzeit-Erkenntnis verwandt. Zum Ende hin ist es eine Polaroid-Kamera, die den Beweis erbringen soll, ob Tuns Wohnung nun vom Geist Natres befreit ist oder die Last seiner Vergangeheit immer noch auf seinen Schulter ruht.

Die Thema der Vergangenheitsbewältigung verhält sich in „Shutter“ wesentlich kohärenter zur Haupthandlung des Films als in vielen der oben erwähnten „J-Horror“-Filme. Hat man dort den Eindruck, dass die Narration regelrecht abgebrochen werden und der Gruselfilm-Plot in eine psychdramatische Familiengeschichte überführt werden muss, um das Mysterium zu enträtseln, so fügen sich in „Shutter“ beide Teilhandlungen perfekt aneinander, weil sie das Genre nicht „verlassen“, weil der Leichenfund im Hause Natres als Ingredienz der Gothic Novel wiedererkennbar ist. Ein weiterer starker Faktor des Films sind die unaufdringlichen Schauspieler. Selbst in den Horror-Standardsituationen, von denen „Shutter“ zahlreiche zu bieten hat, geraten die Figuren nicht zu Erfüllungsgehilfen der Affektproduktion. Die Angst und Neugier Tuns und seiner Freundin wirken stets authentisch, der sublime Konflikt, den Tun mit sich herumträgt und der sich zum Ende hin offenbart, deutet sich in etlichen Details des Films an und ist damit kein unerwarteter Plottwist.

Den gelungenen und eingängigen Eindruck, den „Shutter“ beim Sehen hinterlässt, kann man vor allem seiner recht „westlichen“ Machart zuschreiben. Die größere Kompatibilität zum hiesigen Kino erinnert streckenweise an andere Thai-Filme wie „Tears of the Black Tiger“. Auch dort wird der (westliche) Zuschauer mit einer Ikonografie und Erzählstruktur konfrontiert, die zwar selbst nicht westlich ist, ihn aber sehr an die bekannten Klischees der eigenen Filmsozialisation erinnert. Dies im Verbund mit den Gruselelementen, dem interessanten Diskurs über Geisterfotografie und der hoch-artifiziellen Bildsprache machen aus „The Shutter“ einen der interessantesten und intensivsten Gruselfilme der vergangenen Jahre – auf jeden Fall aber ein bemerkenswertes Werk des thailändischen Kinos.

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