Narratologisch sind sich die so genannten
J-Horror-Filme oft recht ähnlich: Da wird eine Geistergeschichte
erzählt, in deren Verlauf die Protagonisten, um das Geheimnis des Spunks
zu lüften, in die Vergangenheit reisen müssen. Dort findet sich
dann zumeist ein Trauma, das die Ursache für den Spuk der ruhelosen
Seelen ist. Diese den Erzählprinzipien der Gothic Novel sehr verwandte
Struktur findet sich nicht nur in den Ju-on- und Ringu-Filmen sondern auch
in vielen anderen asiatischen Gruselstoffen besonders markant etwa
im 2003 erschienenen The Eye der thailändischen
Pang-Brüder. Ein diesem Film sehr ähnliches Werk mit dem Titel
Shutter kommt jetzt ins Kino. Und vieles von dem, was The
Eye falsch macht, ist in dem neueren Film exzellent umgesetzt.
Erzählt wird die Geschichte des jungen Fotografen Tun, der eines Abends
nach einer Party auf dem Heimweg eine junge Frau überfährt. Als
er am nächsten Tag den Unfallort aufsucht, erfährt er, dass dort
gar keine Person zu Schaden gekommen ist. Auf Fotografien, die Tun in der
folgenden Zeit aufnimmt, finden sich nun immer häufiger merkwürdige
Lichterscheinungen und transparente Körper. In der Wohnung Tuns beginnt
es zu spuken und spätestens als seine ehemaligen Kommilitonen beginnen,
sich scheinbar grundlos das Leben zu nehmen, in dem sie von Hochhäusern
springen, glaubt Tun, dass eine unheimliche Macht ihre Finger im Spiel hat.
Zusammen mit seiner Freundin Jane findet er heraus, dass es sich bei dem
Mädchen, das beide nun immer häufiger in der Wohnung und auf den
Fotografien sehen, um Natre handelt, eine ehemalige Mitstudentin Tuns, die
seine Freundin war, für die er sich wegen ihrer Exzentrik aber bei seinen
Kommilitonen geschämt hat. Tun und Jane suchen die junge Frau und finden
außerhalb Bangkoks die Wohnung der Mutter. Diese lebt zusammen mit
dem Leichnahm Natres, den sie nach ihrem Suizid vor Jahren nicht beerdigt
hat. Tun und Jane überreden die Frau, eine zeremonielle Verbrennung
Natres durchzuführen, um ihrem Geist Ruhe zu geben. Doch auch danach
hat der Spuk noch kein Ende.
Trotz ihrer Komplexität ist die Geschichte, die Shutter
erzählt, wesentlich einfacher strukturiert und die Motivationen von
Protagonisten (und Geistern) wesentlich nachvollziehbarer als bei dem vom
Plot her sehr ähnlichen The Eye. Grund dafür ist die
Konzentration des Films auf eine Hand voll wesentlicher Leitmotive, zu denen
vor allem das Thema der Geisterfotografie gehört. Die schemenhaften
Umrisse auf den Fotografien Tuns finden ihre Entsprechung im sehr intelligenten
Einsatz der Tiefenschärfen des Kameramanns Niramon Ross. Immer wieder
sind die Figuren im Hintergrund wie Geisterbilder zu sehen und von den
echten Geistern im Bild kaum zu unterscheiden. Eine große
Anzahl der somatischen Schocks (die im übrigen durch einen sehr
düsteren Soundtrack unterstüzt und forciert werden) beruht auf
diesen Schärfeunterschieden. Die Fotografie und darauf rekurriert
auch der Titel des Films wird hier nicht nur als Beweis der Existenz
von Geistern eingesetzt, sondern auch zusehends als Medium der
Echtzeit-Erkenntnis verwandt. Zum Ende hin ist es eine Polaroid-Kamera, die
den Beweis erbringen soll, ob Tuns Wohnung nun vom Geist Natres befreit ist
oder die Last seiner Vergangeheit immer noch auf seinen Schulter ruht.
Die Thema der Vergangenheitsbewältigung verhält sich in
Shutter wesentlich kohärenter zur Haupthandlung des Films
als in vielen der oben erwähnten J-Horror-Filme. Hat man
dort den Eindruck, dass die Narration regelrecht abgebrochen werden und der
Gruselfilm-Plot in eine psychdramatische Familiengeschichte überführt
werden muss, um das Mysterium zu enträtseln, so fügen sich in
Shutter beide Teilhandlungen perfekt aneinander, weil sie das
Genre nicht verlassen, weil der Leichenfund im Hause Natres als
Ingredienz der Gothic Novel wiedererkennbar ist. Ein weiterer starker Faktor
des Films sind die unaufdringlichen Schauspieler. Selbst in den
Horror-Standardsituationen, von denen Shutter zahlreiche zu bieten
hat, geraten die Figuren nicht zu Erfüllungsgehilfen der Affektproduktion.
Die Angst und Neugier Tuns und seiner Freundin wirken stets authentisch,
der sublime Konflikt, den Tun mit sich herumträgt und der sich zum Ende
hin offenbart, deutet sich in etlichen Details des Films an und ist damit
kein unerwarteter Plottwist.
Den gelungenen und eingängigen Eindruck, den Shutter beim
Sehen hinterlässt, kann man vor allem seiner recht westlichen
Machart zuschreiben. Die größere Kompatibilität zum hiesigen
Kino erinnert streckenweise an andere Thai-Filme wie Tears of the Black
Tiger. Auch dort wird der (westliche) Zuschauer mit einer Ikonografie
und Erzählstruktur konfrontiert, die zwar selbst nicht westlich ist,
ihn aber sehr an die bekannten Klischees der eigenen Filmsozialisation erinnert.
Dies im Verbund mit den Gruselelementen, dem interessanten Diskurs über
Geisterfotografie und der hoch-artifiziellen Bildsprache machen aus The
Shutter einen der interessantesten und intensivsten Gruselfilme der
vergangenen Jahre auf jeden Fall aber ein bemerkenswertes Werk des
thailändischen Kinos.
zur Jump Cut Startseite |