Vor vier Jahren feierte der zuvor nur mit eher mediokren Werken
aufgefallene Regisseur Ashutosh Gowariker einen beispiellosen Erfolg: Sein
beinahe vierstündiger Film "Lagaan" riss nicht nur das Publikum beim
Festival von Locarno zu Begeisterungsstürmen hin, er war auch der erste
Bollywood-Film seit Jahrzehnten, der für den Oscar nominiert wurde.
In Deutschland war "Lagaan" der wohl erste indische Kommerzfilm überhaupt,
der regulär in deutschen Kinos zu sehen war und steht damit am Beginn
jener Welle von Bollywood-Erfolgen, die in die inzwischen verblüffend
nahe an den indischen Uraufführungen gelegene Ausstrahlung von indischen
Blockbustern wie "In guten wie in schlechten Tagen" (Kabhie Kushi Kabhie
Gham) oder "Indian Love Story" (Kal Ho Naa Ho) ausgerechnet auf dem Trash-Sender
RTL 2 mündete und wiederum DVD-Verkäufe in wirklich
sensationeller Höhe zur Folge hatte. ("In guten wie in schlechten Tagen"
etwa hat inzwischen mehr als 200.000 Käufer in Deutschland gefunden.)
Gowariker freilich hat, das wird nun beim von RTL 2 vielleicht etwas
voreilig schon gebuchten - "Lagaan"-Nachfolger "Swades" endgültig deutlich,
anderes im Sinn als mit bewährten Erfolgsrezepten slicke Blockbuster
zu produzieren, die ihre konservative Botschaft in Tanz, Klischee,
Sentimentalität, Weichspülgesang und allgemeines Wohlgefallen
auflösen. Nach dem Historienmelodram "Lagaan", das vom unwahrscheinlichen
Sieg eines kleinen indischen Dorfes gegen die britische Besatzungsmacht
ausgerechnet im (damals!) urbritischen Cricket-Sport erzählte, wagt
sich Gowariker nun in die unmittelbare indische Gegenwart. Wie viele der
Erfolgsfilme der letzten Jahre stellt er einen NRI einen non-resident
Indian, also einen Inder im Ausland ins Zentrum, den NASA-Projektmanager
Mohan Bhargava (Shah Rukh Khan). Er schielt dabei aber nicht so sehr auf
das zahlungskräftige Auslandspublikum und nur auf den erste Blick
ähnelt die Struktur des Films der seiner Vorgänger. Während
diese nämlich in der Konfrontation von indischer Tradition und westlichem
Fortschritt auf sentimentalen Chauvinismus hinausliefen, setzt "Swades" auf
ein von Wissenschaft und Aufklärung gesteuertes Graswurzel-Empowerment.
Es zeugt von Gowarikers Mut und Entschlossenheit, dass er das höchst
explizit mit einer Absage an ein in Indien weit verbreitetes kulturelles
Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen verbindet.
Um seine lange vernachlässigte alte Amme und Ersatzmutter Kaveriamma
(Kishori Ballal) nach Amerika zu holen, macht Mohan Bhargava sich auf in
die alte Heimat und landet in Charanpur, einem Dorf in der tiefsten Provinz
des Bundesstaates Uttar Pradesh. Selbstverständlich ist es ein allegorisches
Dorf, in dem sich die nach wie vor recht erbärmlichen Zustände
im ländlichen Indien widergespiegelt finden. Das offziell längst
abgeschaffte Kastenwesen ist noch immer intakt, die Analphabetenrate ist
hoch und Armut weit verbreitet. Strom ist vorhanden, aber das Netz bricht
immerzu zusammen, so auch während einer Kinovorführung auf dem
zentralen Dorfplatz, die einer der Höhepunkte des Films ist. Mit dem
abrupten Abbruch des Filmklassikers umreißt Gowariker sein ambivalentes
eigenen Verhältnis zum eskapistischen Bollywood- Entertainment. Der
Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan reißt kurzerhand die Leinwand nieder,
die die höheren von den niederen Kasten trennt (die Angehörigen
der niederen Kasten müssen den Film spiegelverkehrt auf der
Leinwand-Rückseite sehen) und erteilt der anwesenden Dorfbevölkerung
nun seinerseits mit den Mitteln des eskapistischen Entertainments eine Lektion.
Im choreografierten, aber niemals zum Ornament der Masse verfestigten Tanz
finden die Kinder der unterschiedlichen Kasten zusammen und Mohan Bhargava
richtet den Blick zum Himmel, um mit einem Sternengleichnis die Bedeutung
von Zusammenhalt und Zusammenarbeit zu verdeutlichen.
Die Szene ist wie der ganze Film skandiert durch A.R. Rahmans Score, der
in der Vielseitigkeit und Subtilität der Ausdrucksmittel zu seinen
allerbesten gehört. Im Plot wie in den Gesang- und Tanzsequenzen setzt
"Swades" dabei durchweg auf ein souveränes Understatement, mit dessen
Hilfe die melodramatischen Bollywood-Formeln ein gutes Stück in Richtung
Realismus bewegt werden. "Swades" ist gewiss ein Feelgood-Movie, aber eines
der zurückhaltenden Art. So darf die Liebesgeschichte nicht fehlen,
aber auch sie ist mit einiger Komplexität entwickelt. Unerfüllbar
scheint die Liebe zwischen Mohan und der Dorfschullehrerin Gita (Gayatri
Joshi mit einem bezaubernden Spielfilmdebüt) aus ganz objektiven
Gründen: Er will und muss zurück nach Amerika, sie will vor Ort
tätig sein. Sie ist es, die Mohan ihre Liebe gesteht und sie ist es,
die die Bedingungen bestimmt, unter denen sie ihn heiraten würde. Eine
Lösung findet sich nicht als Happy-End aus heiterem Himmel und wenn
"Swades" zuletzt auf ein entschiedenes Bekenntnis zur indischen Heimat
hinausläuft, dann hat das mit Chauvinismus nicht das mindeste zu tun.
Es sind diese noblen Züge, die Gowarikers Hang zum ästhetisch und
dramaturgisch nicht ganz durchgearbeiteten Traktat zwar nicht vergessen machen,
aber doch verzeihen lassen. "Lagaan" war ein hinreißendes Märchen,
"Swades" ist seiner nicht ganz unähnlichen Struktur zum Trotz eine sehr
viel nüchternere Angelegenheit. Aber gerade daraus, aus seinem Verzicht
auf Überwältigungsabsichten und aus dem Ernst, mit dem seine Macher
bei der Sache sind, bezieht er seinen nicht unbeträchtlichen Charme.
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