Am Ende, wenn die Heldin (Jean Simmons) sich
in Begleitung ihrer Eltern (Teresa Wright, Spencer Tracy) auf den Weg zum
Bahnhof macht, verharrt die Kamera hinter einem Fenster des Wohnhauses. Diese
Einstellung: eine Figur gehen zu sehen, Richtung Horizont und irgendwann
außer Sichtweite, gehört zu den Grundmustern filmischer
mise-en-scène - in Cukors "The Actress" markiert sie außerdem
jenen Moment, in dem sich der Film am deutlichsten als Film (i.e. nicht anders
als ...) zu erkennen gibt.
Aus den Augen, in ein anderes Leben und in eine andere Geschichte ohnehin.
Tatsächlich ließe sich über "The Actress" sagen, daß
die andere Geschichte hier zugleich die eigentliche scheint, das heißt:
die, die man erwartet hätte, wenn ein Film in Aussicht stellt, aus dem
Leben einer Schauspielerin zu berichten. In bestimmtem Sinne tut er das auch,
aber selbst wenn er dort einsetzt, wo viele Filme über ein Leben für
das Theater früher oder später ankommen - mit dem ersten Theaterbesuch
und dem Blick von der Galerie auf die Bühne -, nimmt er doch nicht denselben
Weg wie jene, und auch sein Ausgang ist anders, als der Beginn vermuten
ließ.
In diesem Theaterfilm (es ist einer; ohne Zweifel) bleibt der Übertritt
in die Welt jenseits des Zuschauerraumes über das letzte Bild hinaus
suspendiert. Was auf die erste Szene folgen könnte - das Vorsprechen,
die Talentprobe, die Auftritte, die Triumphe etc. -, findet nicht statt,
und wenn, dann höchstens in der Phantasie der Hauptfigur, die viel vorhat
und kaum etwas zustande bringt, sieht man von zwei Besuchen hinter die
Bühne ab. Der erste führt sie in die Garderobe einer bewunderten
Schauspielerin, der zweite in das Büro eines bekannten Regisseurs, aber
ebenso, wie keiner der beiden Bühnenkünstler sie dorthin expediert,
wo sie sich mehr als alles andere zu sein wünscht, werden diese Exkursionen
zum Anlaß genommen, die Sphäre hinter den Kulissen endlich genauer
zu erkunden.
Was immer sich zwischen dem Theaterbesuch des ersten Bildes und dem Aufbruch
im letzten ereignet: Der Film hält sich außerhalb, er überquert
die Schwelle, die Innen und Außen des Theaters trennt, nicht. Daß
es dabei bleiben wird, macht er im Prinzip mit jeder Minute deutlicher -
bis zu jener gleichzeitig kruden und bemerkenswerten Szene, in der die
Noch-Nicht-Elevin mit großer Geste durch eine Bühnentür
verschwindet, die sich gleich darauf vor ihrem Verehrer (Anthony Perkins)
und den Filmzuschauern schließt. No trespassing: Im Gegensatz zu Welles'
"Citizen Kane" ist das Zugangsverbot diesmal ein ungeschriebenes, das jedoch
um so ausdrücklicher respektiert wird, und so entfaltet Cukor statt
der Erfolgs- eben eine Vorgeschichte, in der das Theater als Sehnsuchtsort
und Projektionsfläche figuriert.
Welche Phantasien sich dabei mit der Theaterwelt verbinden, läßt
sich unter anderem aus einer zweiten Aufführung rekonstruieren, die
nicht im Theater angesiedelt ist, sondern, ganz im Gegenteil, eine Art
Kontrastprogramm vorstellt. Irgendwann, etwa in der Mitte des Films, besucht
die Heldin in Begleitung ihrer Mutter die Darbietungen eines Gymnastikvereins,
dem - schlimm genug - ihr eigener Vater angehört, der - schlimmer noch
- die Tochter zur Lehrerin für Leibeserziehung ausbilden lassen
möchte. Leibeserziehung, das ganze Schauspiel des schwitzenden,
strampelnden, arbeitenden Körpers, der ungraziösen Bewegungen und
häßlichen Kostüme, wird hier zum großen Gegenbild des
Sublimen: ein Entwurf ex negativo, der ihre Fluchtbewegung um so plausibler
macht, je unmittelbarer sich die Bedrohung durch die Welt der Gummibänder
und rutschenden Sporthosen darstellt.
Sie wird es schaffen. Der Film läßt daran keinen Zweifel, zumal
sein Drehbruch nichts anderes ist als die Adaption eines autobiographischen
Bühnenstücks der berühmten Theaterschauspielerin Ruth Gordon.
Sie wird es hinkriegen, im zweiten Anlauf, im dritten oder im vierten, weshalb
die Geschichte des späteren Erfolges den Szenen der Schwärmerei
und naiven Sensüchte immer schon inkludiert ist - antizipiert, auch
wo sie sich (noch) nicht entwickeln darf und die große Bühnenkarriere
nichts anderes ist als die diffuse Phantasie einer sehr jungen Protagonistin.
Seine Faszination indes bezieht "The Actress" nicht im geringsten aus dem
Moment der Vorausschau, sondern aus dem höchst eigensinnigen
Entschluß, auf einer Grenze zu beharren, die viele andere Theaterfilme
wie selbstverständlich überqueren, Präliminarie zu sein, wo
die Konvention eines Genres verlangt, auf beiden Seiten der Kulissen zu
spielen.
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