"The Ister" begibt sich auf eine Reise zum Ursprung. Der Film
folgt dem Fluss, dessen griechischen Namen er im Titel trägt
der Donau -, von der Mündung in Rumänien zur Quelle im Schwarzwald.
Es gibt Streit um die wahre Quelle, zwischen Donaueschingen und Furtwangen.
(Vgl. den angemessen ausführlichen
Wikipedia-Eintrag
zum Thema.) Ister nennt Hölderlin in seinem Gedicht "Der Ister" die
Donau. Hier ist das Gedicht:
Jetzt komme, Feuer!
Begierig sind wir,
Zu schauen den Tag,
Und wenn die Prüfung
Ist durch die Knie gegangen,
Mag einer spüren das Waldgeschrei.
Wir singen aber vom Indus her
Fernangekommen und
Vom Alpheus, lange haben
Das Schickliche wir gesucht,
Nicht ohne Schwingen mag
Zum Nächsten einer greifen
Geradezu
Und kommen auf die andere Seite.
Hier aber wollen wir bauen.
Denn Ströme machen urbar
Das Land. Wenn nämlich Kräuter wachsen
Und an denselben gehn
Im Sommer zu trinken die Tiere,
So gehn auch Menschen daran.
Man nennet aber diesen den Ister.
Schön wohnt er. Es brennet der Säulen Laub,
Und reget sich. Wild stehn
Sie aufgerichtet, untereinander; darob
Ein zweites Maß, springt vor
Von Felsen das Dach. So wundert
Mich nicht, daß er
Den Herkules zu Gaste geladen,
Fernglänzend, am Olympos drunten,
Da der, sich Schatten zu suchen
Vom heißen Isthmos kam,
Denn voll des Mutes waren
Daselbst sie, es bedarf aber, der Geister wegen,
Der Kühlung auch. Darum zog jener lieber
An die Wasserquellen hieher und gelben Ufer,
Hoch duftend oben, und schwarz
Vom Fichtenwald, wo in den Tiefen
Ein Jäger gern lustwandelt
Mittags, und Wachstum hörbar ist
An harzigen Bäumen des Isters,
Der scheinet aber fast
Rückwärts zu gehen und
Ich mein, er müsse kommen
Von Osten.
Vieles wäre
Zu sagen davon. Und warum hängt er
An den Bergen grad? Der andre,
Der Rhein, ist seitwärts
Hinweggegangen. Umsonst nicht gehn
Im Trocknen die Ströme. Aber wie? Ein Zeichen braucht es,
Nichts anderes, schlecht und recht, damit es Sonn
Und Mond trag im Gemüt, untrennbar,
Und fortgeh, Tag und Nacht auch, und
Die Himmlischen warm sich fühlen aneinander.
Darum sind jene auch
Die Freude des Höchsten. Denn wie käm er
Herunter? Und wie Hertha grün,
Sind sie die Kinder des Himmels. Aber allzugeduldig
Scheint der mir, nicht
Freier, und fast zu spotten. Nämlich wenn
Angehen soll der Tag
In der Jugend, wo er zu wachsen
Anfängt, es treibet ein anderer da
Hoch schon die Pracht, und Füllen gleich
In den Zaum knirscht er, und weithin hören
Das Treiben die Lüfte,
Ist der zufrieden;
Es brauchet aber Stiche der Fels
Und Furchen die Erd,
Unwirtbar wär es, ohne Weile;
Was aber jener tuet, der Strom,
weiß niemand.
Das Gedicht ist lang, der Film dauert drei Stunden. Um Hölderlin freilich
geht es kaum. Sondern um Heidegger, aber nicht einmal so sehr um seine
Hölderlin-Lektüre. (Nur, am Ende, ganz wörtlich verstanden,
als Bonus-Track zum Film: Heidegger liest "Der Ister". Beim Titel sagt er
noch "Der Ischter", später hat er das besser im Griff. Auf der DVD,
die man auf der Website
bestellen kann, gibt es, das nur nebenbei, ein "Special Feature" des folgenden
Inhalts: "Werner Hamacher: On Heidegger's 1942 Hölderlin lectures (24
mins) ").
Bernard Stiegler, der im Gefängnis zum Philosophen wurde, wie die Website
Stichwort "Key Figures" mitteilt (als täte es irgendwas
zur Sache), doziert über die Prothesen, die den Menschen begleiten von
Anfang an. Technik ist Prothese, Gedächtnis, Fortleben der Vergangenheit
in der Gegenwart. Heidegger, so Stiegler, kann die Technik so nicht denken,
er ist, das sagt Stiegler so nicht, technikvergessen. Das ist die Emendation
des Philosophen Stiegler am Philosophen Heidegger, sonst, scheint es, gibt's
nichts zu verbessern. Stiegler sitzt an einem Schreibtisch vor einem
Computer-Monitor. Einmal nimmt er einen Papierkorb und der ist leer. Er
demonstriert damit etwas, ich weiß nicht mehr was. Stiegler hat einen
Schal um den Hals, was sehr französisch aussieht, er spricht eine ganze
Weile über seinen deutschen Nachnamen. Manchmal spricht er englisch,
aber nicht sehr gut. Der Film folgt unterdessen dem Lauf der Donau zurück
durch Rumänien. Das Land ist gerade der Nato beigetreten, George W.
Bush ist zu Besuch, man sieht ihn auf einer Leinwand auf einem Platz, davor
die Menschen, die sich freuen.
Diese Bilder werden wiederkehren. Überhaupt arbeitet der Film mit der
Wiederkehr der Bilder, stellt sich der Linearität des Rückflusses
so, im Bild, bewusst immer wieder entgegen. Einmal ist von der Schnelligkeit
der Gazelle die Rede (Stiegler erzählt von Prometheus und seinem
unterbelichteten Bruder Epimetheus, der die Eigenschaften verteilt an die
Tiere und für den Menschen ist keine mehr übrig. Jetzt erinnere
ich mich wieder an den Einsatz des Papierkorbs: Leer wie der Papierkorb war
der Eigenschafteneimer des Epimetheus. So Stiegler, der lacht und die zwei
Eckzähne in der oberen Zahnreihe haben etwas leicht Vampirisches, wenn
er lacht.), und gegen die Gazelle wird eine Schnecke geschnitten. Das ist
natürlich ein Witz, zugleich aber kehrt die Schnecke zurück,
erhält ihren "richtigen" Ort in der Erzählung, in Bayern dann,
wo es um die Natur geht und den Fluss des Flusses und das Versiegen der
Seitenarme. Wie der Film mit seinem Bildmaterial umgeht, das ist also recht
intelligent. Es gibt den Vorschein der Bilder und irgendwann später
einen Zusammenhang, in den sie gehören, oder eher: aus dem sie, zur
freien Verfügung im Heidegger-Strom entnommen werden.
Das klingt vielleicht experimentell, aber im Grunde ist es das gar nicht.
Im Grunde handelt es sich um eine Serie spontaner Vorlesungen zu Heidegger,
die nur selten wirklich spezifisch werden. "Der Ister" bleibt Vorwand für
die Auseinandersetzung mit dem Philosophen. Das Wasser der Donau rauscht
als Begleitsound zum Raunen Heideggers. Jean-Luc Nancy spricht, aber nicht
sehr lang. Er hat einen schwarzen Hut auf dem Kopf. Auch Lacoue-Labarthe
spricht, und zwar über einen Satz Martin Heideggers aus dem Jahr 1949,
in dem er die Konzentrationslager und die Agrarindustrie gleichsetzt. (Kann
man mal wieder sehen, wo Agamben sein Handwerkszeug her nimmt. Gelernt ist
gelernt.) Also hat Lacoue-Labarthe die undankbarste Aufgabe im Film, er muss
erklären, ohne zu vergeben. Die Arschkarte. Er hat keinen Hut auf dem
Kopf.
Bleibt Syberberg. Ausgerechnet auf ihn läuft der Film, läuft der
Ischter zu. Er sitzt in seinem Garten, von dem auch in seinem
Weblog viel zu sehen
ist. Er spricht darüber, wie man Griechisches heute inszenieren kann.
Viel dummes Zeug redet Syberberg, auf Englisch, aber im Film werden immerzu
englische Untertitel dazu eingeblendet. Syberberg kann kein gutes Englisch.
Er hat weiße Haare auf dem Kopf, lächelt gelegentlich verschmitzt
und redet Blech. Den Film scheint es nicht zu kümmern, er macht weiter
mit dem Fluss und hält sich im Streit um die Quelle fein heraus. Wir
sind auch mal in Freiburg, auch mal in Todtnauberg. Stiegler kehrt wieder.
Dann wäre Schluss, nach drei Stunden, käme nicht:
Martin Heidegger, der Hölderlins "Ischter" liest. Das war's. Ich habe
den Film in Jonas Mekas' Anthology Film Archive in New York gesehen.
Draußen ist es noch hell. Ich nehme den L-Train nach Williamsburg.
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