Jump Cut
Aktuelle Kritiken

Startseite -  Inhaltsverzeichnis - Klassiker - Archiv - Links - Forum - Mail

 

Hinweis:  

Sie haben ab sofort die Möglichkeit, im Jump-Cut-Amazon-Partnershop von uns ausgewählte, aber auch sämtliche bei Amazon erhältliche Produkte zu kaufen. Ein Teil der Einnahmen kommt uns zugute.
 

Eric Rohmer: Triple Agent (F 2004)

Von Ekkehard Knörer

Die Bilder, die jeder kennt, die Bilder, die unser Gedächtnis besiedeln, die gibt es auch: Auszüge aus Wochenschauen, unkommentiert, meist genau datiert. Die Geschichte aber, die Eric Rohmer in „Triple Agent“ erzählen will, sie liegt dazwischen. Zwischen diesen Bildern, zwischen den Fakten und Daten, aber auch zwischen den Nationen. Die Daten: 1936 bis 1943, es gibt Sprünge, die stets markiert sind, es gibt Andeutungen, Ausführungen und Momente der Konzentration. Das Zentrum dieses überaus beweglichen Films ist denn auch eine Figur, die das Zwischen – oder das Zugleich, das macht kaum einen Unterschied – verkörpert wie kaum eine andere. Vielmehr: Die Rohmer als Verkörperung kenntlich gemacht hat, mit Hilfe des in der vermeintlichen Einfachheit seiner Mittel unübertrefflichen Darstellers Serge Renko.

Die Figur, um die es sich handelt: Fjodor Woronin, tätig ist er in Paris als Funktionär im Verband russischer Veteranen, er ist ein einstiger General auf der Seite der Weißen im Bürgerkrieg der frühen zwanziger Jahre. Seine genaue Position jedoch, sein Standpunkt in politischen Fragen, bleiben ein Geheimnis. Und um dieses Geheimnis ist es Rohmer mit seinem Film zu tun. Er löst es nicht auf, jedenfalls nicht, indem er eine simple Antwort findet, er bearbeitet es vielmehr mit einer Geduld und Genauigkeit, einer Präzision der Sprache und der szenischen Komposition, die schier den Atem rauben. Er lässt Woronin selbst darüber räsonnieren, worin die Kunst der Undurchsichtigkeit liegt. Nicht im Schweigen und nicht im Reden, sondern darin, das Reden wie das Schweigen unlesbar zu machen. Die Wahrheit so zu sagen, dass sie für Lüge gilt und so zu lügen, dass die Leute die Lüge durchschauen und dann zweifeln, ob es nicht doch wahr sein könnte.

Der geniale Schachzug – in seiner Einfachheit genial wie alles an diesem Film (und in Rohmers Werk) -, der diese Reflexion wie von selbst herstellt, ist die Wahl von Woronins Frau Arsinoe (Katerina Didaskalu) als Vertrauensfigur für die Zuschauerperspektive Beinahe nur ihren Blick gewährt der Film auf den „Triple Agent“ (der er vielleicht ist und vielleicht nicht) und entfaltet so die höchst komplexen historischen Verwicklungen als persönliche und in den persönlichen Gesprächen als weltgeschichtlich bedeutende zugleich. Schon die ersten Züge in diesem als Schachspiel – und als Reflexion des Schachspiels zugleich – angelegten Film thematisieren die Verwirrungen, die folgen werden, auf dem vermeintlichen Umweg über die Kunst. Arsinoe nämlich ist Künstlerin, sie malt hübsche Genreszenen, gekonnt, aber völlig démodé. Sie muss jedoch feststellen, dass ihre kommunistischen Nachbarn, mit denen sie sich anfreundet, Anhänger der ästhetischen Moderne sind und Stalinisten zugleich. Die Woronins dagegen verachten Stalin, aber die Kunst, die er verachtet, wollen auch sie nicht verstehen.

„Triple Agent“ ist ein durchaus radikales Alterswerk, in der Kompromisslosigkeit, mit der es seine Ziele verfolgt. Zug um Zug treibt er seine raffinierte Erörterung voran, bringt weitere Figuren ins Spiel, liefert Informationen – Arsinoe, also uns -, die einzuordnen nicht gelingen will. Und alle Erklärungen Woronins selbst bleiben zutiefst zweifelhaft. Immer wieder stellt ihn seine Frau zur Rede – und er ist klug genug, nicht auszuweichen. Nur das eine wird er nicht leisten, niemals: den Eid auf das Leben seines Sohnes. Es ist dies der entscheidende Moment des Films und das Zentrum, an dem alle vermeintlichen Wahrheiten zuschanden gehen. Die Wahrheit, die Politik, alles unterliegt dem Ränkespiel, in dem, das ist nur die konsequente Pointe, auch Woronin selbst, dem Hauptbeteiligten, nicht mehr klar ist, ob er die Figuren des Spiels noch führt oder selbst geführte Figur ist. Und nur einer behält den Überblick über das Spiel, sein Regisseur und Autor, der für die überaus raffinierte Einfachheit, mit der das alles in Szene gesetzt ist, nur zu bewundern ist: Eric Rohmer, mit 83 Jahren auf der absoluten Höhe seiner Kunst.

Suchen
 
Google
Web Jump Cut

Jetzt auf DVD!