Ein flimmernder Fernseher im dunklen Wohnzimmer, davor starrende Gesichter
und erstarrte Körper, die sich in ihrer Höhle etwas vorführen
lassen um solche Räume kreisen zwei neuere Filme aus Istanbul,
deren Titel recht genau beschreiben, worum es geht: Wartezimmer
(Bekleme odasi von Zeki Demirkubuz) und Ferne
(Uzak von Nuri Bilge Ceylan). Zwei Männer, Intellektuelle,
Alter Ego der Regisseure, sitzen vor ihren Fernsehern. Beide scheinen in
einen Egoismus verfallen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Einbrüche
der Außenwelt in ihre Leben werden erfolgreich eingedämmt, wobei
für beide der Fernseher die Rolle einer Instanz spielt, die jeden Kontakt
zurückweist, indem sie als reine Vereinnahmung des Blicks und des
Körpers erscheint.
Der starre Blick. Den Fernseher in Bekleme odasi bekommt der
Zuschauer kaum zu sehen, er erlebt ihn nur als irritierenden unsichtbaren
Attraktionspunkt, der den Blick und die Aufmerksamkeit Ahmets von außerhalb
des Bildes beherrscht. Ahmet ist Regisseur. Er arbeitet an einem Projekt,
einer Adaptation Dostojewskis, und kommt nicht weiter. Und statt wortlos
vor dem Computerbildschirm zu sitzen, verharrt er lieber vor dem Bildschirm
seines Fernsehers, dieser lärmenden Instanz, die alle weiteren Bindungen
des Zuschauenden untersagt. Die Besuche und die Frauen, die versuchen, sein
Leben zu teilen alles ist Störung für diesen inhaltslosen
Blick, der nur aus dieser Zurückweisung besteht, und von dem sich nichts
Weiteres sagen lässt, als dass er seine Richtung hält. Sieht er
etwas? Er schaut (intransitives Verb), behauptet sich im Schauen, in einer
Starrheit, an der alle nur abprallen können
selbst der Zuschauer,
durch dieses Monstrum an Egoismus irritiert.
Und es bedarf eines Einbruchs in sein Leben / in seine Wohnung, um Ahmet,
schwerfällig, vor der totalen Erstarrung zu retten, und dabei dem Film
die Bewegung zu geben, die ihn überhaupt möglich macht. Der Einbrecher,
der beim Besteigen einer Mauer sich verletzt hat, kommt nicht weiter als
in den Hof, wo er von Ahmet ertappt wird. Dieser will in ihm den Raskolnikow
für seinen Film gefunden haben.
Der erstarrte Körper. Im Bild von Ceylans Film Uzak nimmt
der Fernseher eine andere Stellung ein: wir sehen den Bildschirm fast immer.
Eine der beeindruckendsten Szenen, kleines Meisterwerk in ihrem Gleiten vom
rein Poetischen zur Burleske: der Photograph Mahmut, der in seinen
anspruchsvollen Anfangsjahren als Photograph sich an Tarkowskij orientierte,
und sein Cousin Yusuf, vor wenigen Tagen aus dem Land nach Istanbul gekommen
auf der Suche nach Arbeit, sitzen vor dem Fernseher, auf dessen Bildschirm
wir die langsame Fahrt der Protagonisten von Stalker in die Zone sehen: deren
Köpfe, sich umschauend, begleitet vom Tackern der Räder auf den
Schienen und dieses helle Bild mutet an wie eine Öffnung im dunklen
Wohnzimmer, die in ihrer hypnotischen Macht den ganzen reglosen Raum auf
ihren Gleisen mit sich zu schleppen scheint.
Doch Yusuf ist von Tarkowskij gelangweilt. Er geht und soll doch bitte die
Tür schließen. Stalker, wir begreifen es jetzt, war nur
ein Vorwand, der seine Wirkung als Langweiler auch getan hat. Mahmut ist
nun alleine, er kann den Film ausschalten und ersetzen, endlich, durch
Pornographie.
Mahmut ist ein Photograph, der seine künstlerischen Ambitionen begraben
hat: zuviel Aufwand, wenn er mit dem Auto durch das perfekte Photomotiv
fährt, aus dem Wagen auszusteigen, die Apparate auszupacken und
aufzustellen. Lieber lässt er es sein. Er hat alle Träume und
Illusionen hinter sich und ihm bleibt nur noch dies übrig: es sich,
soweit es geht, in seinem Scheitern gemütlich zu machen. Im Gegensatz
dazu ist Yusuf, der unerwünscht, kraft der familiären
Gastfreundschaftsregeln, in sein Leben eindringt, der Hoffnungsvolle
erscheint diese Hoffnung (durch die Welt reisen, eine Frau treffen) nach
den ersten Tagen in Istanbul auch noch so aussichtslos.
Wenn der Fernseher in der Tarkowskij-Szene als Abschreckungs- und
Distanzierungsmittel diente, lassen später im Film zwei Einstellungen
eine Gemeinschaft beider Männer vor dem Fernseher möglich erscheinen.
Mahmut hat sich bei seiner Schwester vor den Fernseher gelegt und schaut
Fashion TV ein endloses Aufmarschieren von Mannequins, das
sich fortsetzt in der nächsten Einstellung, die, man begreift es nicht
sofort, Yusuf, Bier trinkend und trotz Verbot rauchend, vor demselben Sender
in Mahmuts Wohnung zeigt. Doch die Möglichkeit einer Brüderlichkeit
in der Entfernung wird schnell unterbrochen. Das Telefon klingelt, Mahmut
ist am Apparat, Yusuf sollte doch bitte den Abend außerhalb der Wohnung
verbringen, er brauche seine Wohnung für einen wichtigen Termin. Dass
es sich um einen Termin mit einer Frau handelt, errät Yusuf sofort.
Es war also nur eine absurde Hypothese: Mahmut könne den Abend zusammen
mit Yusuf vor Fashion TV verbringen; Mahmut könne diesen Blick
neben dem seinen ertragen, diesen anderen begehrenden Blick, wo er doch Yusufs
riechende Schuhe, Yusufs Tabak und Yusufs Essensreste nicht ertragen will.
Nicht nur seine lauten Lacher, seine Kommentare sind Störungen: sein
bloßes Dasein, sein Körper. Der Film erzählt diese Geschichte:
des fremden Körpers, der zu voll der Hoffnungen ist (der Vulgarität
der Hoffnungen des Anderen) und den es fernzuhalten gilt.
Und nur ganz am Schluss, wenn der aus der Wohnung geekelte Yusuf verschwunden
ist, nur noch Fiktion oder Erinnerung ist, kann es zu einer brüderlichen
Geste kommen in die Abwesenheit verlagert. Mahmut sitzt am Bosporus
und raucht eine Zigarette, die Yusuf in der Wohnung gelassen hatte
eine billige Matrosenmarke, die er, als Yusuf ihm eine anbot, verhöhnt
hatte: wer raucht denn so einen Dreck? Der Illusionslose ist derjenige, der
sich nur noch einnisten kann in den Abstand, in die Ferne zwischen dem, was
gelebt wurde und dem, was hätte gelebt werden können. Der Geschmack
des Anderen, weil er zum Geschmack der Melancholie geworden ist und dieser
Ferne, die das Leben bestimmt, kann nun ungestört genossen werden.
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