Jump Cut Kritik

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„Uzak“, Nuri Birge Ceylan

„Bekleme odasi“, Zeki Demirkubuz

Kritik von Stéphane Boeuf

 

Ein flimmernder Fernseher im dunklen Wohnzimmer, davor starrende Gesichter und erstarrte Körper, die sich in ihrer Höhle etwas vorführen lassen – um solche Räume kreisen zwei neuere Filme aus Istanbul, deren Titel recht genau beschreiben, worum es geht: „Wartezimmer“ („Bekleme odasi“ von Zeki Demirkubuz) und „Ferne“ („Uzak“ von Nuri Bilge Ceylan). Zwei Männer, Intellektuelle, Alter Ego der Regisseure, sitzen vor ihren Fernsehern. Beide scheinen in einen Egoismus verfallen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Einbrüche der Außenwelt in ihre Leben werden erfolgreich eingedämmt, wobei für beide der Fernseher die Rolle einer Instanz spielt, die jeden Kontakt zurückweist, indem sie als reine Vereinnahmung des Blicks und des Körpers erscheint.

Der starre Blick. Den Fernseher in „Bekleme odasi“ bekommt der Zuschauer kaum zu sehen, er erlebt ihn nur als irritierenden unsichtbaren Attraktionspunkt, der den Blick und die Aufmerksamkeit Ahmets von außerhalb des Bildes beherrscht. Ahmet ist Regisseur. Er arbeitet an einem Projekt, einer Adaptation Dostojewskis, und kommt nicht weiter. Und statt wortlos vor dem Computerbildschirm zu sitzen, verharrt er lieber vor dem Bildschirm seines Fernsehers, dieser lärmenden Instanz, die alle weiteren Bindungen des Zuschauenden untersagt. Die Besuche und die Frauen, die versuchen, sein Leben zu teilen – alles ist Störung für diesen inhaltslosen Blick, der nur aus dieser Zurückweisung besteht, und von dem sich nichts Weiteres sagen lässt, als dass er seine Richtung hält. Sieht er etwas? Er schaut (intransitives Verb), behauptet sich im Schauen, in einer Starrheit, an der alle nur abprallen können… selbst der Zuschauer, durch dieses Monstrum an Egoismus irritiert.

Und es bedarf eines Einbruchs in sein Leben / in seine Wohnung, um Ahmet, schwerfällig, vor der totalen Erstarrung zu retten, und dabei dem Film die Bewegung zu geben, die ihn überhaupt möglich macht. Der Einbrecher, der beim Besteigen einer Mauer sich verletzt hat, kommt nicht weiter als in den Hof, wo er von Ahmet ertappt wird. Dieser will in ihm den Raskolnikow für seinen Film gefunden haben.

Der erstarrte Körper. Im Bild von Ceylans Film „Uzak“ nimmt der Fernseher eine andere Stellung ein: wir sehen den Bildschirm fast immer. Eine der beeindruckendsten Szenen, kleines Meisterwerk in ihrem Gleiten vom rein Poetischen zur Burleske: der Photograph Mahmut, der in seinen anspruchsvollen Anfangsjahren als Photograph sich an Tarkowskij orientierte, und sein Cousin Yusuf, vor wenigen Tagen aus dem Land nach Istanbul gekommen auf der Suche nach Arbeit, sitzen vor dem Fernseher, auf dessen Bildschirm wir die langsame Fahrt der Protagonisten von Stalker in die Zone sehen: deren Köpfe, sich umschauend, begleitet vom Tackern der Räder auf den Schienen – und dieses helle Bild mutet an wie eine Öffnung im dunklen Wohnzimmer, die in ihrer hypnotischen Macht den ganzen reglosen Raum auf ihren Gleisen mit sich zu schleppen scheint.

Doch Yusuf ist von Tarkowskij gelangweilt. Er geht und soll doch bitte die Tür schließen. Stalker, wir begreifen es jetzt, war nur ein Vorwand, der seine Wirkung als Langweiler auch getan hat. Mahmut ist nun alleine, er kann den Film ausschalten und ersetzen, endlich, durch Pornographie.

Mahmut ist ein Photograph, der seine künstlerischen Ambitionen begraben hat: zuviel Aufwand, wenn er mit dem Auto durch das perfekte Photomotiv fährt, aus dem Wagen auszusteigen, die Apparate auszupacken und aufzustellen. Lieber lässt er es sein. Er hat alle Träume und Illusionen hinter sich und ihm bleibt nur noch dies übrig: es sich, soweit es geht, in seinem Scheitern gemütlich zu machen. Im Gegensatz dazu ist Yusuf, der unerwünscht, kraft der familiären Gastfreundschaftsregeln, in sein Leben eindringt, der Hoffnungsvolle – erscheint diese Hoffnung (durch die Welt reisen, eine Frau treffen) nach den ersten Tagen in Istanbul auch noch so aussichtslos.

Wenn der Fernseher in der Tarkowskij-Szene als Abschreckungs- und Distanzierungsmittel diente, lassen später im Film zwei Einstellungen eine Gemeinschaft beider Männer vor dem Fernseher möglich erscheinen. Mahmut hat sich bei seiner Schwester vor den Fernseher gelegt und schaut Fashion TV – ein endloses Aufmarschieren von Mannequins, das sich fortsetzt in der nächsten Einstellung, die, man begreift es nicht sofort, Yusuf, Bier trinkend und trotz Verbot rauchend, vor demselben Sender in Mahmuts Wohnung zeigt. Doch die Möglichkeit einer Brüderlichkeit in der Entfernung wird schnell unterbrochen. Das Telefon klingelt, Mahmut ist am Apparat, Yusuf sollte doch bitte den Abend außerhalb der Wohnung verbringen, er brauche seine Wohnung für einen wichtigen Termin. Dass es sich um einen Termin mit einer Frau handelt, errät Yusuf sofort.

Es war also nur eine absurde Hypothese: Mahmut könne den Abend zusammen mit Yusuf vor Fashion TV verbringen; Mahmut könne diesen Blick neben dem seinen ertragen, diesen anderen begehrenden Blick, wo er doch Yusufs riechende Schuhe, Yusufs Tabak und Yusufs Essensreste nicht ertragen will. Nicht nur seine lauten Lacher, seine Kommentare sind Störungen: sein bloßes Dasein, sein Körper. Der Film erzählt diese Geschichte: des fremden Körpers, der zu voll der Hoffnungen ist (der Vulgarität der Hoffnungen des Anderen) und den es fernzuhalten gilt.

Und nur ganz am Schluss, wenn der aus der Wohnung geekelte Yusuf verschwunden ist, nur noch Fiktion oder Erinnerung ist, kann es zu einer brüderlichen Geste kommen – in die Abwesenheit verlagert. Mahmut sitzt am Bosporus und raucht eine Zigarette, die Yusuf in der Wohnung gelassen hatte – eine billige Matrosenmarke, die er, als Yusuf ihm eine anbot, verhöhnt hatte: wer raucht denn so einen Dreck? Der Illusionslose ist derjenige, der sich nur noch einnisten kann in den Abstand, in die Ferne zwischen dem, was gelebt wurde und dem, was hätte gelebt werden können. Der Geschmack des Anderen, weil er zum Geschmack der Melancholie geworden ist und dieser Ferne, die das Leben bestimmt, kann nun ungestört genossen werden.

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