Wiedersehen mit Wallace Shawn, Wiedersehen mit André Gregory, der
am Ende, wenn im Abspann den Gesichtern der Darsteller deren Bühnen-
und Eigennamen zugeordnet werden, als André Gregory - Himself
figuriert. Er als er selbst: Man könnte das im Rahmen dieses Films,
dessen Credits sonst nur Auftritte als Wania, als Sonia, als Yelena, als
Astrov, etc. kennen, für eine Ausnahmerolle halten, dabei handelt es
sich um eine, die hier fast allen Akteuren aufgegeben ist. Wallace Shawn
zum Beispiel spielt Onkel Wania, aber außerdem spielt er Wallace Shawn,
der Onkel Wania spielt, oder Wallace, der sich darauf vorbereitet, Wania
zu spielen, oder Wallace, der von der ersten Rolle zur zweiten übergeht,
besser: die eine und die andere überblendet. In Vanya on 42nd Street
verschränken sich verschiedene Performances, und sicher haben die
Schauspieler hier mehr vorzustellen als nur die Charaktere aus einem Drama
Anton Cechovs.
Was sie vorzustellen haben? Zunächst (und eigentlich bis in das letzte
Bild) eine Idee von Unmittelbarkeit, von Nähe, dazu eine gewisse
Nonchalance. Man erscheint in Straßenkleidung, man trinkt Kaffee, raucht
eine Zigarette, um schließlich ein Gespräch zu beginnen, von dem
erst nach ein oder zwei Minuten klar wird, dass es bereits einer anderen
Situation angehört, das heißt: Teil des Dramentextes ist, und
dass die Akteure die Sphäre des Parergonalen unmerklich verlassen haben.
Vanya on 42nd Street ist kein Film der markierten Wechsel oder der
plötzlichen Zäsurierungen; statt dessen pflegt man eine Dramaturgie
der behutsamen Veränderung, der Verzögerung und der verhaltenen
Bewegungen, die nicht darauf angelegt sind, die Abstand zwischen theatraler
und außertheatraler Welt präzise zu vermessen.
Überhaupt wäre es schwierig, dem, was Theater heißt, hier
eine Grenze zu bezeichnen, erstens, weil man sich nach einer kurzen
Eingangssequenz (Schauspieler, die von der Kamera in der Menge aufgegriffen
werden) für den Rest des Films in den geschlossenen Raum des Theatersaals
begibt; zweitens, weil dieser Raum selbst nicht parzelliert ist und die
vertrauten Einteilungen eine Bühne, auf der agiert wird, ein
anderer Ort, der den Zuschauern reserviert ist in diesem Fall nicht
vorhanden sind. Die Decke sei undicht, heißt es, die Bühne
unbetretbar, weshalb nun im Zuschauerraum gespielt wird, der in ein kaum
ausgeleuchtetes Halbdunkel getaucht bleibt, so dass alles: Abstände,
Anordnungen, Demarkationen, Übergänge, nicht anders als undeutlich
erscheinen kann. Wo beginnt die Sphäre des Theaters? Wo endet sie? Wie
ist sie selbst aufgeteilt? Kein Film über das Theater, der nicht
früher oder später mit solchen Fragen zu tun bekäme; bei Malle
besteht die Antwort darauf zunächst in der mise-en-scène von
Unübersichtlichkeit.
Inmitten der Unübersichtlichkeit errichtet er kleine Inseln: ein Tisch,
ein Lehnstuhl, eine Lampe, oder: ein Tisch, eine Bank, ein paar Stühle,
ein Stapel Bücher, dazu ausreichend Licht, um die Mienen der Schauspieler
studieren zu können, während sie sich in diesen spärlichen
Bühnenbildern einrichten, vorsichtig, als wollten sie sie bald wieder
verlassen. Am Rande der Inseln, manchmal für einen Moment in den Blick
gerückt, die meiste Zeit aber unsichtbar, der Regisseur, die
Kostümbildnerin, die beiden Gäste, die zum Zuschauen gekommen sind
und nun einer Inszenierung beiwohnen, die dem allgemeinen Publikum zwar noch
nicht präsentiert worden ist, aber auch nicht mehr weit von diesem Zeitpunkt
entfernt. Was Malle ins Bild setzt, ist nicht die Probe als Prozess, ein
Szenario der Unterbrechungen, Wiederholungen, Stockungen, Störungen,
etc. es ist die Probe als Schauspiel der Intimität, absoluter
Intimität, wie sie vielleicht unter keinen anderen Bedingungen mehr
versprochen werden kann.
Keine Kulissen, aber ein Interieur, kein Illusionismus, aber ein Phantasma
von Privatheit, Einblick, etc. alles, was das Theater der Kammerspiele
und Innenansichten von jeher in Aussicht gestellt hat, aber hier noch einmal
besser, noch einmal exklusiver, da so wenigen vorbehalten und außerdem,
könnte man meinen, für den Blick von außen noch nicht ganz
gerüstet. Zwei Dinge machen den Besuch dieser (jeder?) Probe zu einem
besonderen Ereignis: zum einen die Fiktion des Privilegiums (Zugang erhalten,
sehen, was sonst kaum jemand zu sehen bekommt), zum anderen die Vorstellung,
was hier gezeigt wird, befinde sich, wenn nicht im Stadium des Unfertigen,
so doch nach wie vor in dem einer gewissen Schutzlosigkeit. Nicht (nicht
mehr länger) die Inszenierung im Prozess ihrer Entstehung, sondern die
Inszenierung ohne Make-up, ungeschminktes Theater, wenn man so will, und
wann hätte man schon Gelegenheit, es in solcher Verfassung in Augenschein
zu nehmen.
Natürlich ist das Unfertige hier Ornament. Nichts bekommt dieser
Inszenierung besser als der Gestus des Vorläufigen und des Verletzlichen,
das nach einer besonders dezenten Annäherung verlangt. Anstatt eine
Theateraufführung am Blick der Kamera auszurichten (im Fernsehen kann
man sich gelegentlich ansehen, was dabei herauskommt), inszeniert Malle eine
Kamera, die zur Betrachtung einer Inszenierung gleichsam vorgelassen wird,
die anwesend sein darf, aber nicht stören, nicht interferieren, das
Spiel nicht durcheinanderbringen, die Aufmerksamkeit nicht von den Schauspielern
abziehen und auf keinen Fall irgend etwas tun, das der mise-en-scène
von Cechovs Onkel Wania entgegenarbeiten würde: All das
scheinen, implizit oder selbstverständlich, die Konditionen ihrer
Anwesenheit zu sein, und man kann sagen, dass sie in Vanya on 42nd Street
respektiert werden. Kein Antagonismus hier, auch keine Transgression.
Stattdessen etwas wie eine freundschaftliche Expedition, die den filmischen
Blick so nah an die Szene heranführt, wie ihr im Theater kein Zuschauer
kommt.
|