Veer-Zaara ist klassisches Bollywood-Kino in
Vollendung. Kaum einer versteht sich darauf so gut wie Regisseur Yash Chopra,
der als Produzent mit seiner Familienfirma Yash Raj Film eine der großen
Legenden der Bollywood-Geschichte ist. Sein Sohn Aditya Chopra schreibt seit
einigen Jahren die Drehbücher zu vielen der Yash-Raj-Filme, teils verfilmt
er sie auch höchst erfolgreich selbst. Aditya Chopra hat die Muster,
die Klischees und die Plotvariationen, die es im kommerziellen indischen
Kino in durchaus überschaubarer Anzahl gibt, offenkundig nicht nur
verinnerlicht, sondern versteht sich auf die eigentliche und große
Kunst des Systems: Sie in jedem gelungenen neuen Film wieder frisch aussehen
zu lassen.
Das Budget wie das Handwerk aller Beteiligten kommen ihm bei
Veer-Zaara zu Hilfe. Es stecken in dem Film Jahrzehnte der
angewandten Publikumsforschung, er ist deshalb ein wirklich ausgereiftes
Modell, das spürt man Einstellung für Einstellung. Was er auch
zeigt, ist die gelegentlich etwas überraschende Tatsache, dass man mit
der denkbar wirklichkeitsfernen Form des Bollywood-Films in denkbar
wirklichkeitsferner Darstellung und zugleich großer Direktheit politisch
werden kann, ohne dass das ins Verlogene kippen würde. Genauer gesagt
ist es dabei sogar so, dass es gerade wegen der Wirklichkeitsferne und Direktheit
und natürlich nur im besten Falle nicht verlogen ist.
Bar jeden Realismus ist etwa der Dialog, in dem die Pakistanerin Zaara den
vom Feminismus unbeleckten, sonst aber aufs Patriarchalischste liberalen
Vater ihres (noch nicht offiziell) Geliebten Veer darauf aufmerksam macht,
dass nicht nur die Söhne, sondern auch die Töchter des Dorfes
schulischer Bildung teilhaftig werden sollten. Ein paar Einstellungen und
einen Tanz später verkündet der Vater seinen neuesten Plan: Die
Errichtung einer Mädchenschule. Natürlich ist das, nach Maßgabe
realistischer Personen- und Wirklichkeitsdarstellung, geradezu horrender
Unfug. In Wahrheit ist es aber nichts anderes als so nonchalant wie konkret
formulierte Utopie, vorgetragen von Amitabh Bachchan, dem größten
Star des indischen Kinos und damit dem wahrscheinlich berühmtesten
Schauspieler der Welt. Frauen sollten gleichberechtigt sein. Frauen sind
genauso klug und genauso fähig wie Männer.
Keineswegs ist das die Hauptsache des Films, der die Herzen rühren und
die Zuschauer bewegen will. Auch die pakistanisch-indische
Versöhnungsbotschaft, auf die alles hinausläuft, ist Hauptsache
nur nach Art des Nebenbei, mit dem sich die Wiedervereinigung der Liebenden
ganz wie von selbst auch als Versöhnung der geteilten Nation lesen
lässt. Selbstverständlich aber bleiben die Liebe und die Rührung,
die Trauer und die Beseligung das eigentliche Anliegen von
Veer-Zaara. Im gelungenen Fall wird in Bollywood der schiere
Kitsch zum reinen, unverlogenen Medium des Gefühls wie der Utopie. Verdankt
ist das einzig der Künstlichkeit, in die das Eigentliche sich auf ganz
vertrackte Art eintragen lässt. Wie aus der Künstlichkeit des Kitsches
Gefühle ohne Falsch hervorgehen, das ist das Geheimnis und das
Wandlungswunder von Bollywood, das sich in Veer-Zaara durchaus
auch erleben lässt.
Der Film ist, wie gesagt, Bollywood in Vollendung. In dieser, wenn man so
will: altmeisterlichen Vollendung aber stößt dieses Kino inzwischen
an seine eigene Grenze. Diese Grenze als eine, die ein Meister wie Yash Chopra
in Richtung ungezügelterer Darstellungen nicht überschreiten will
und kann, wird in Veer-Zaara dann doch ein wenig spürbar.
Der Film bewegt und entzückt, reißt aber kaum einmal hin. Seine
Überraschungen sind wohl dosiert, manche der sogenannten Picturizations
(also Verbildlichungen der Songs, so heißt der Song-and-Dance sehr
zutreffend im Fachjargon) wunderschön und auch klug in der imaginären
Darstellung von Wünschen und Ängsten. Das gewisse Etwas an Exzess
und Widersinn und Wagemut, das die ganz großen indischen Filme auszeichnet,
das fehlt aber.
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