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Claire Denis: Vers Mathilde (Frankreich 2005)

Kritik von Ekkehard Knörer 

„Vers Mathilde“, auf Mathilde zu. Claire Denis versucht sich an einem Porträt und sie wäre nicht Claire Denis, versuchte sie sich nicht zugleich an einem Essay über die Form des Porträts. Was sie zeigt, zuerst, zuallererst, sind Hände in Bewegung. Zweimal wird Mathilde Monnier, die Choreografin, an deren Porträt Denis sich versucht, betonen, wie wichtig ihr die Hände sind, in einer Bewegung, die an der Luft kratzt, Spuren zieht, die Reinheit des Raums verletzt, indem sie in ihn vorstößt. Die Kamera folgt den Händen in Bewegung, dann dem Körper in Bewegung, den Körpern der Tänzerinnen und Tänzer der Kompagnie von Mathilde Monnier in Bewegung.

Wenn ein Porträt die Darstellung einer Person im festen Umriss ist, dann ist „Vers Mathilde“ kein Porträt, sondern auf dem Weg zu einem Porträt, „vers un portrait“, auf Mathilde zu. Zu sehen sind Proben, zu sehen ist bei den Proben auch der Philosoph Jean-Luc Nancy, dessen autobiografischer Essay „L`Intrus“ eine der Inspirationen für Claire Denis’ letzten Spielfilm gleichen Titels war. Wenn ein Spielfilm die Erzählung eines zusammenhängenden Plots ist, dann war „L’Intrus“ kein Spielfilm, sondern auf dem Weg zu einem Spielfilm, „vers une narration“, auf eine Geschichte zu.

„Vers Mathilde“ ist ein Porträt der Choreografin Mathilde Monnier im Entstehen. Der Film gelangt nicht zum endgültigen Bild. Mathilde Monnier ist, soweit man dem Porträt, das keines ist, eine solche Zusammenfassung entnehmen kann und darf, eine Choreografin, deren dekonstruktiver Zugang zum Tanz eine andere Form des Porträts, als die des „vers“, des Prozesses, der an kein Ende gelangt, gar nicht zuließe. Es gibt keine Endgültigkeit der Darstellung, keine Kontrolle über den Körper. Der Körper führt im Tanz vor, wie er sich bewegt zwischen Kontrolle und Entzug der Kontrolle. Das Sich-Entziehen des Körpers ist im Tanztheater von Mathilde Monnier als tanzbar vorgestellt.

In einer der Dialogsituationen, an der einzigen Stelle des Films, an der auch Claire Denis, die Regisseurin, kurz ins Bild kommt, sitzt Monnier verzweifelt auf dem Boden. Die Kamera filmt sie von hinten. „Es funktioniert nicht“, sagt Mathilde Monnier. „Die Tänzer finden nichts Eigenes, sie imitieren nur meine Vorgabe. Es braucht eine Lücke, einen Spalt, in dem das System bricht, in dem das Unerwartete entsteht.“ Die Choreografien, die zu sehen sind, sind Choreografien auf der Suche nach einer Form. Sie haben so die Form der Suche wie das Porträt „vers Mathilde“.

Und doch, es gibt eine Annäherung, das Porträt im Entstehen gelangt zu einem Bild von Mathilde Monnier. Die Schlusssequenz beginnt als Split Screen, auf beiden Seiten der Leinwand ist die Tänzerin mit weißer Perücke zu sehen, auf den Boden, auf dem sie tanzt, wird die Tänzerin, die mit weißer Perücke tanzt, projiziert. Die Bewegungen sind fließend, es scheint ein beinahe gelöster im Körper, der hier tanzt, die Kamera fließt mit der Bewegung, die sie aufzeichnet. Claire Denis’ Meisterwerk „Beau Travail“ endet mit Denis Lavant im wilden, einsamen, zunehmend ekstatischen Tanz. Die Annäherung an Mathilde Monnier endet in diesem ruhigeren Tanz, die Bewegung des Körpers und die Bewegung der Kamera finden zur Harmonie, wenn nicht gar zu einer Art Einklang. Die Teilung der Leinwand verschwindet: Mathilde Monnier tanzt.

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