Wird Literatur fürs Kino adaptiert, sind Enttäuschungen
programmiert. Selten wird ein Leser, der den Plot, die handelnden Personen,
die Erzählperspektive und Atmosphäre aus dem Buch kennt, von der
filmischen Umsetzung so angenehm überrascht wie in dem diese Woche
startenden Werk von Andreas Dresen.
Regisseur Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler verlegen für den
Film Willenbrock nach dem gleichnamigen Roman von Christoph
Hein die Handlung aus der Nachwendezeit ins Jetzt. Sie reduzieren
die Erzählstruktur an der einen, verdichten sie an anderer Stelle aus
Gründen der Dramaturgie. Den Ort der Handlung verlegen sie von der Metropole
in die Provinz: Statt in Berlin verkauft der erfolgreiche und in der Ehe
zur multiplen Affäre neigende schlitzohrige Autohändler Bernd
Willenbrock (Axel Prahl) seine Wagen aus zweiter Hand in Magdeburg.
Nach Nachtgestalten (1999), Die Polizistin (2000),
Halbe Treppe (2002) ist diese Produktion bereits die vierte
gemeinsame Arbeit von Axel Prahl und Andreas Dresen. In Cinemascope, zum
Teil unaufdringlich mit der Handkamera in Szene gesetzt, nimmt sich der Film
in kühlschrankkalten, eisgrauen Bildern den Erosionsprozess im Leben
eines Selfmademan vor. Dies sei definitiv keine Ostgeschichte,
betonte Darsteller Axel Prahl in einem Interview. Aufstieg und Fall der Figur
könnten allerorts spielen. Austauschbare Einkaufszentren, öde
Landstriche und still gelegte Industrien sind kein Privileg Ostdeutschlands.
Bernd Willenbrock, ein Mann in den besten Jahren, ist erfolgreich, eloquent
und egoistisch. Er betrügt seine Frau, geht mit einer Freundin von ihr,
einer Uni-Professorin, ins Bett, und bandelt nebenbei noch mit einer Studentin
an. Willenbrock ist auf dem Sprung, ständig in Bewegung und sucht die
schnelle Befriedigung. Mit seinem kräftigen, leicht untersetzten
Körper bahnt er sich erstaunlich flink seinen Weg. Er verkörpert
den unreflektierten Karrieristen, der sein Standing im Beruf und beim anderen
Geschlecht in vollen Zügen, ein bisschen dreist genießt und nicht
im Traum daran denkt, dass sich das ändern könnte. Der Alltag gibt
ihm Recht: Die Firma brummt, die Geliebten stellen keine Ansprüche.
Die Gattin wird mit einer kleinen Boutique im Einkaufszentrum und
wie aus dem Lehrbuch für Ehebrecher mit einem üppigen
Blumenstrauß nach jedem Seitensprung ruhig gestellt.
Es wäre kein Film von Andreas Dresen, kein Film mit Axel Prahl und
vielleicht auch kein Roman von Christoph Hein, wenn diese Inkarnation eines
Kotzbrockens nicht durch ein brachial läuterndes Erlebnis hier
ein nächtlicher Überfall auf das Paar von Grund auf
erschüttert und aus der sicheren Umlaufbahn geschleudert würde.
Axel Prahl spielt brillant, an seiner Seite glänzen großartige
Darstellerinnen wie Dagmar Manzel und Anne Ratte-Polle als Geliebte und vor
allem Inka Friedrich als fragile Ehefrau. Es mangelt dem Film nicht an gut
komponierten visuellen Szenen, aber zum stilbildenden Höhepunkt gehört
das letzte Bild von Willenbrock und seiner Frau auf dem Firmenparkplatz,
der sich in eine Schneewüste verwandelt hat. Aus der Vogelperspektive
beobachtet die Kamera die beiden, die wie Eskimos im ewigen Eis stehen und
sich aneinander herantasten.
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