Frei gegeben zur Assoziation bekommen die Gedanken Flügel:
Auf dem Symposium zum Thema Fotofilme, das an der Kunsthochschule für
Medien in Köln Ende April stattfand, fühlte man sich während
einer Diskussion an einen Aufenthalt in London erinnert. In der U-Bahn warnte
eine Ansage vom Band mit den Worten "Mind the gap!" fürsorglich vor
der Spalte zwischen Bahnsteig und Zug.
Beim Fotofilm gehe es um die Lücke zwischen den Bildern, hatte Regisseurin
Katja Pratschke gerade gesagt und damit die Faszination dieses sperrigen
Genres in einer Momentaufnahme fixiert. So kreisten bei der dreitägigen
Veranstaltung Vorträge, Diskussionen und begleitende Filmretrospektive
um die besagte Lücke: als Berührungspunkt von Bewegung und Stillstand
in Fotografie und Film. "Eine Bewusstlosigkeit in der Bilderproduktion",
konstatierte eingangs Petra L. Schmitz von der Dokumentarfilminitiative im
Filmbüro NW. Dem konträr scheinen Fotofilme in ihrer musealen
Inszenierung oder mit einer Heimat in der experimentellen Nische von Festivals
aus einer vergangenen Epoche zu stammen.
Die von den Kuratoren Gusztáv Hámos, Katja Pratschke und Thomas
Tode ausgewählten fiktiven und dokumentarischen Filme wirkten wie mit
Patina gesättigte, nostalgisch aufgeladene Artefakte: Die überwiegend
in Schwarzweiß gedrehten Werke von Regisseuren/Fotografen wie etwa
Hubert Fichte und Leonore Mau ("Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters",
1966), Chris Marker ("La Jetée", 1962), Elfi Mikesch ("Execution.
A Study of Mary", 1979) sowie Agnès Varda ("Ulysse", 1982) irrlichtern
spielerisch auf der Grenze der Formate.
Beide Stills aus: Konttinen: The Writing in the Sand (1991)
Im Verhältnis beider Künste fällt ihre jeweilige Autarkie
auf. Dass die Fotografie vollständig sei, bevor der Film hinzukomme,
bestätigte auch Sirkka-Liisa Konttinen, die ihren Film "The Writing
in the Sand" (1991) vorstellte. Aus 2000 "Schnappschüssen", die über
einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten an englischen Stränden von
ihr aufgenommen worden waren, wählte sie 400 aus und filmte sie mit
der Videokamera ab. Der Ton wurde nachträglich aufgenommen. Das
43-minütige Ergebnis auf der Leinwand besticht wie bei dem erst als
Diashow konzipierten 28-minütigen Film "Execution. A Study of Mary"
von Elfi Mikesch durch einen narrativen Rhythmus von (Stand-)Bild und Ton,
dem das "verloren gegangene Pathos der Schwarzweißfotografie" anhaftet,
wie es Werner Dütsch in einem Gespräch mit Elfi Mikesch formulierte.
Das Zwitterwesen Fotofilm oder, wie ihn ein Teilnehmer des Symposiums nannte,
"der Bastard zwischen den Medien", erzeugt nicht nur Verdichtung durch Reduktion,
sondern arbeitet auch "mit kulturellen Projektionen auf Fotografie und Film"
(Verena Kuni) und reflektiert so werkimmanent das Medium selbst. Statt im
kontinuierlichen filmischen Bilderfluss mit zu schwimmen, nimmt der Betrachter
eines Fotofilms die Lücke zwischen den Bildern wahr - ähnlich dem
Passagier in der Londoner U-Bahn, der sich dem Sog des einfahrenden Zuges
entzieht und beim Einsteigen auf den Abstand zwischen Plattform und Gefährt
achtet.
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Das Symposium findet noch mal im November in Berlin statt
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