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Auf immer und ewig – das Happy End

Von Ulrike Mattern

Das Happy End im Film gilt als realitätsfremd und verlogen. Wir glauben an die poetische Kraft des sentimentalen Schlussakkords und brechen eine Lanze fürs Gefühl

Ein Kuss – und dann ist Schluss. Während der Abspann des Films läuft, trocknet man seine Tränen. Weibliche Zuschauer wischen verlaufene Wimperntusche von den Wangen, männliche schnäuzen im akustischen Schutzmantel verklingender Musik heimlich ins Taschentuch. Anderthalb Stunden Komplizenschaft mit dem Leinwandpaar liegen hinter ihnen. Dass das Glück ewig währt, glaubt im dunklen Lichtspielsaal angesichts der Scheidungsstatistik keiner mehr. Das Kino liefert eine Auszeit, und in diesem Schutzraum navigieren die Zuschauer im sentimentalen Genuss mit den sich annähernden, sich verlierenden und wieder zusammenfindenden Charakteren durch den Filmkreislauf.

„Gibt es gar keine Liebesgeschichten ohne Happy End?“, fragte kürzlich ein Leser in der Zeitschrift „Cinema“ und wurde aufgeklärt, dass es tragische Enden gäbe, die aber die Ausnahme blieben, weil das Publikum „möchte, dass die Liebenden sich kriegen, denn im wahren Leben geht’s oft genug schief“. Seltsamerweise erinnert sich in stichprobenartigen Erhebungen im Freundeskreis bei der Frage nach einem nachhaltig wirkenden Happy End aus der Filmgeschichte kaum einer an glückliche, sondern eher an tragische Momente.

Ein neuer Bildband versammelt die schönsten Leinwandromanzen aller Zeiten (s. Kasten). Darunter befinden sich einige ohne ein klassisches Happy End. Diese Paare wurden aber durch ihre leidenschaftliche Zuneigung zu Ikonen – über den letzten Kuss hinaus. So ließ Rhett Butler 1939 Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht“ stehen; Ingrid Bergmann passierte 1942 in „Casablanca“ ähnliches mit Humphrey Bogart, und über den Abgang von Leonardo DiCaprio 1996 in „Romeo und Julia“ (mit Claire Danes) und ein Jahr später in „Titanic“ (mit Kate Winslet) wollen wir ganz schweigen. Ali MacGraw verliebte sich in „Love Story“ 1970 in Ryan O’Neal, wurde schlussendlich aber von Leukämie hinweggerafft. Auch der Schauspieler Ralph Fiennes ist seit dem tragischen Tod seiner Geliebten (Kristin Scott Thomas) 1996 in „Der englische Patient“ auf dem Leidensweg unterwegs. Weil diese Schnulzen heftig auf die Tränendrüse drücken, nennt man sie im Englischen „tear jerker“.

Schwerblütige Melodramen bleiben wie griechische Tragödien leichter im Gedächtnis haften. Doch die Sehnsucht nach dem Glücksgefühl treibt die Zuschauer in romantische Komödien und lässt sie in bewegenden Liebesfilmen schmachten. In den 30er- und 40er-Jahren brachten Regisseure wie Frank Capra, Howard Hawks und George Cukor das Liebeskarussell mit „Screwball Comedies“ in Schwung. Capra startete 1934 mit dem Film „Es geschah in einer Nacht“, in dem Clark Gable und Claudette Colbert zum Paar werden. Hawks setzte in „Leoparden küsst man nicht“ (1938) die drahtige Katharine Hepburn auf den verklemmten Paläontologen Cary Grant an. Dieser laberte im Gegenzug Rosalind Russell in „Sein Mädchen für besondere Fälle“ 1940 in Grund und Boden. Ende der 50er sauste Sauberfrau Doris Day über die Leinwand und landete bei Filmpartner Rock Hudson – so etwa in „Bettgeflüster“ und „Ein Pyjama für zwei“.

Wie aus Aschenputtel eine Prinzessin wird, schildert Regisseur Billy Wilder 1954 in einer zeitgenössischen Fassung. Audrey Hepburn spielt die Chauffeurstochter Sabrina in dem gleichnamigen Film, die sich zur eleganten Dame von Welt wandelt. In der Liebe hat sie die Qual der Wahl: zwischen dem Luftikus David (William Holden) und dem graumelierten Geschäftsmann Linus (Humphrey Bogart.) Mit großer schwarzer Sonnenbrille und im eleganten kleinen Schwarzen schaut die Hepburn 1961 in „Frühstück bei Tiffany“ von Blake Edwards nonchalant durch das Schaufenster des Edeljuweliers in New York. In unserem Favoriten für das herzbewegendste Happy End der Filmhistorie umarmt sich das Paar zu den Klängen von „Moon River“ im strömenden Regen in einer Gasse. Eines der höchsten Gebäude der Stadt wiederum spielt in „Die große Liebe meines Lebens“ 1957 eine entscheidende Rolle. Auf dem Empire State Building wollen sich Cary Grant und Deborah Kerr treffen, aber ein Unfall verhindert ihre Verabredung.

Überspringen wir die Sixties mit Robert Redford und Jane Fonda als temperamentvolle Jungvermählte in „Barfuß im Park“, die 70er mit einem zerzausten Woody Allen und der souveränen Diane Keaton in „Der Stadtneurotiker“, landen wir ab Ende der 80er bei den Heroinnen zeitgenössischer Romanzen mit einbetoniertem Happy End: etwa bei Meg Ryan („Harry und Sally“), Julia Roberts („Pretty Woman“) und Sandra Bullock („Während du schliefst“). Männliche Pendants sind u.a. Billy Cristal, Tom Hanks und Hugh Grant.

Heutzutage schaut man wehmütig auf diese glorreichen Zeiten zurück. Es mangelt an überzeugenden Storys, eigensinnigen Figuren und überraschenden Konstellationen. Es ist ein Aberglaube, dass Zuschauer, die zum Träumen ins Kino gehen, ihre Sehnsüchte mit zuckersüßem Elixier stillen wollen. Dass der sentimentale Schlussakkord den Alltag nicht ausschließen muss, beweist aufs Schönste der Film „Sommer vorm Balkon“ von Andreas Dresen. So ist das Leben – inklusive bittersüßem Happy End.

Der Text erschien zum ersten Mal anlässlich des Valentinstags in der WAZ

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Literarisches zur sentimentalen Spurensuche

Bildband von Manfred Hobsch: „Liebespaare. Die schönsten Leinwandromanzen aller Zeiten“, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag (19,90 Euro).

Verschiedene Autoren sind den Gefühlen im Kino auf der Spur in: Matthias Brütsch u.a. (Hg.): Kinogefühle: „Emotionalität und Film“. Schüren-Verlag (24,90 Euro). Eine kulturgeschichtliche Studie über das Melodrama, eher theorielastig, aber absolut lesenswert, liefert Hermann Kappelhoff: „Matrix der Gefühle“. Vorwerk 8 (29 Euro).

Im Internet: www.nachdemfilm.de; No 4: Über Tränen im Kino

Ein kluger Text zum Thema von Jan Süselbeck.

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