Wie gelangt man aus der Vogelperspektive auf einen tief
verschneiten Parkplatz in Magdeburg, dem Schlussbild in ihrem letzten Film
Willenbrock, auf den warmen Logenplatz im Berliner Sommer
vorm Balkon?
Das war kurios, weil es eigentlich ein direkter Anschluss war. Ich hatte
Willenbrock abgedreht, und beim Abschlussfest gab mir die Dramaturgin
von beiden Filmen, Cooky Ziesche, 30 Seiten von Wolfgang Kohlhaase in die
Hand und sagt: Lies das doch mal. Ich habe das erstmal in die Tasche gesteckt,
bin zu unserem Abschlussfest gefahren und habe mich aber insgeheim gefreut,
weil ich Kohlhaase sehr verehre. Er ist ein Autor, mit dem ich groß
geworden bin. Ich habe seine Filme natürlich gesehen. Solo
Sunny, Der Aufenthalt, später dann mit Schlöndorff
Die Stille nach dem Schuss. Ich kenne bis heute noch einen Teil
der Dialoge aus Solo Sunny auswendig, weil die so witzig und
skurril sind und besonders. Von daher habe ich mich einfach gefreut, etwas
von ihm lesen zu dürfen. Und es war wirklich, was einem im Beruf und
im Leben nicht oft passiert, Liebe auf den ersten Blick. Wenn man sagt: Ja,
das will ich. Es war auf eine schöne Art unfertig. Es erzählte
auf eine schöne Art Alltag. Das war ein bisschen so, als ob man eine
Straße lang geht. Man guckt kurz in ein Fenster rein und sieht den
Menschen da drinnen für einen Moment bei ihrem Leben zu, und dann geht
man weiter. Denkt sich: Sind vielleicht andere Menschen, aber das Leben von
denen hat auch mit meinem etwas zutun. Es erzählte mit einem unendlich
leichten und beiläufigen Ton über sehr ernste Dinge. Über
Einsamkeit in unterschiedlichen Generationen. Über Solidarität.
Über solche Sachen, die mich beschäftigt haben, und ich war davon
sehr gerührt. Mir gings in der Zeit gerade nicht gut. Und ich
fand darin einen Ton, der ermutigend und schön, der warm war. Ich dachte,
es wäre schön, nach einem Film, der eine gewisse Härte hatte,
so wie Willenbrock, eine gewisse Kälte an bestimmten Stellen,
jetzt etwas zu machen, das komplett anders ist. Den warmen Herzschlag eines
Sommers gegen den kalten Winter zu setzen. Das war dann ein schnell geborenes
Projekt.
Ist es wichtig, dass Ihre Filme etwas mit Ihnen zutun haben?
Angehen muss es einen immer etwas. Wenn es mich nichts anginge, hätte
ich keine Lust, mich über eine so lange Zeit damit zu beschäftigen.
Es gibt immer etwas, was mich persönlich betrifft oder auch berührt.
Man verbringt mit so einem Film zwei Jahre seines Lebens. Dann muss man sich
relativ sicher sein. Als Halbe Treppe anfing, hatte ich meine
ersten großen Beziehungskatastrophen hinter mir. Keine dieser Geschichten
im Film habe ich selber erlebt, aber es gibt Punkte darin, die mich selber
berühren. Dann fängt man an, darüber gerne zu erzählen,
weil es einem gerade wichtig ist. Natürlich ist es etwas anderes, wenn
ein Film über sieben Jahre Entwicklung geht, als wenn man etwas liest
und sagt: Ich will es jetzt machen. Dann ist der Impuls sehr viel frischer,
und es schießt ganz viel Herzblut in das Projekt.
Mögen Sie diese kurzfristigen Projekte am liebsten?
Würde ich gar nicht sagen. Es sind halt spezielle Projekte. Ich mag
einen Film wie Willenbrock genauso. Weil er über Jahre hinweg
mit einer bestimmten Stringenz auf einen bestimmten Punkt hin entwickelt
worden ist. Er ist mir nicht minder wichtig. Das andere ist
Wie soll
ich sagen? Manchmal malt man ein großes Gemälde, und manchmal
ist es eine kleine Skizze. Deswegen muss die Skizze nicht schlechter sein
als das Gemälde. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge. Sie sind Ausdruck
eines unterschiedlichen Arbeitsprozesses, aber Ausdruck des gleichen
erzählerischen Willens, glaub ich, der aber auch über unterschiedliche
Distanzen geht. Vielleicht liegen mir schnelle Projekte ein bisschen mehr.
Das hat damit zutun, dass viel mehr Unberechenbarkeit reinkommt. Das macht
auch das Ergebnis unberechenbarer. Das verträgt nicht jeder Film. Mit
manchen Projekten kann man es gut machen, mit anderen geht das gar nicht.
Wenn man die schnell durchpeitscht, gehen die vor die Hunde.
Mit welchen kann man das machen, mit welchen nicht?
So ein Film wie Sommer vorm Balkon brauchte eine gewisse
Spontaneität. Wenn man den über eine lange Distanz entwickelt
hätte, hätte man ihm viel an Frische genommen. Einen Film wie
Willenbrock schnell machen zu wollen wäre einfach leichtfertig.
Es ist eine komplizierte Literaturadaption. Dabei muss man sich sehr genau
überlegen, welchen Teil der Geschichte man nimmt, auf was man sich
fokussiert. Das braucht ein ziemliches Nachdenken, und das ist halt ein
längerer Prozess. Auch die formale Ausdrucksform so einer Geschichte
zu finden, braucht einen längeren Anlauf. Das so schnell hinzuwischen
und zu hoffen, das wird schon irgendwo, ist bei so einem Projekt völlig
daneben. Ich entscheide das vom Stoff ausgehend. Bei Sommer vorm
Balkon war sofort klar: okay, schnell! Parallel bereite ich mich jetzt
schon seit zwei Jahren auf die Oper Don Giovanni vor, die ich
ab Januar inszeniere. Es ist immer mit jedem Projekt ein bisschen anders.
Die Wahrheit gibt es eigentlich nicht. Sie bezieht sich immer auf das, was
man gerade tun möchte. Man kann versuchen, dafür den richtigen
Weg zu finden.
Das heißt, dass Produktionen bei Ihnen parallel laufen?
Bei Filmen ist das bei mir eher die Ausnahme. Ich bin sonst nicht ganz so
flink. Aber hier war es wirklich so, dass das Projekt kam, ich habe es Ende
März, Anfang April gelesen, und im August haben wir schon gedreht. In
der Zeit haben wir aus den 30 Seiten mit Wolfgang (Kohlhaase) ein Drehbuch
entwickelt. Wir haben den Film finanziert. Wir haben ihn besetzt. Wir haben
die Motive gesucht und das Team zusammengestellt. In der gleichen Zeit habe
ich parallel bis Ende Juli den Film Willenbrock geschnitten.
Es lief alles miteinander verquickt. Abends habe ich an der
Sommer-vorm-Balkon-Front gekämpft, tagsüber war ich im Schneideraum.
Und das ging gar nicht so schlecht. Sommer vorm Balkon war so,
als ob der Film gemacht werden wollte. Das ging alles ganz leicht, von Anfang
an. Bei manchen Filmen muss man sich alles erkämpfen. Die sind sauschwer.
Nachtgestalten war ein Film, der echt erkämpft werden wollte.
Wahnsinnig anstrengend. Sommer vorm Balkon war wie ein großes
Geschenk, das uns vor die Füße plumpste. Alles, was wir uns ausgedacht
hatten, ging immer auf. Wir kriegten die Besetzung, die Musik kam irgendwie
zu uns. Mir fiel zum richtigen Zeitpunkt die richtige CD in die Hand. Der
Komponist hat zugestimmt. Aus irgendeinem Grund hat mancher Film einen Lauf,
bei anderen muss man dauernd kämpfen.
Wie viel ist von den Dialogen improvisiert, wie viel im Drehbuch
vorhanden?
Es ist ein ausgeschriebenes Drehbuch. Es gibt eine Reihe von Szenen, die
entsprechend dem Drehbuch gemacht wurden: die Szenen zwischen Nike und Ronald
beispielsweise, die sehr punktgenaue Dialoge haben. Oder der lakonische
Sprachwitz, der typisch für Wolfgang Kohlhaase ist. Diese Szenen sind
genau inszeniert. Wir haben teilweise viele Takes gebraucht, weil man bei
diesen Themen genau den Rhythmus treffen musste, damit sich der Humor, das
understatement herstellt. Dann gibt es eine Reihe von Sequenzen z.B.
das Bewerbungstraining, der Unfall, die Frau in der Sozialstation, die
Einlieferung in die Suchtmedizin , die mit Laien gedreht wurden, und
die zwar im Drehbuch standen, aber am Drehort völlig frei behandelt
wurden. Die Leute sprechen ihre eigenen Texte, erfinden Dinge dazu. Ich
würde sagen, es ist eine Mischform.
Könnten Sie das grob prozentual festlegen?
Puh, ich würde mal sagen 70 Prozent ist geschrieben, 30 Prozent
improvisiert. Vielleicht. Aber das ist schwer zu sagen, weil sich das bei
manchen Szenen miteinander vermischt. Wir haben Halbe Treppe
komplett improvisiert, da gab es überhaupt keinen geschriebenen Satz.
Dann gab es Willenbrock, wo wir ganz genau nach der literarischen
Vorlage gearbeitet haben. Hier, mit Sommer vorm Balkon, gab es
plötzlich ein Projekt, wo beides drin vorkam: das Bedürfnis nach
einer ganz präzisen Inszenierung, die ja irgendwie so einen
Kaurismäki-Touch hat, vom Lakonismus her, was diese Ronald-Szenen betrifft.
Und auf der anderen Seite eben dieses völlig Freie, als ob man ein Tor
zur Welt aufstößt und sagt: So, jetzt marschieren wir wieder auf
die Straße raus, und ab gehts. Dann bricht plötzlich ein
Ton rein, der anders ist. Ich mochte es, dass sich das miteinander reibt.
Letztendlich sind es nur zwei unterschiedliche Formen von Inszenierungen.
Improvisation ist auch inszenierte Form. Es gibt keine Wirklichkeit auf der
Leinwand. Sondern immer nur die Anmutung. Aber dazu ist zu viel weggeschnitten.
Links, rechts, hinten
Man weiß nicht, was da stattgefunden hat.
Es gibt immer eine Selektion. Die Film-Wirklichkeit ist die, die Leute hinter
und vor der Kamera kreiert haben. Selbst im Dokumentarfilm. Da hat es leider
auch nichts mit dem Leben zutun. Mutet eben nur an. Als ob
Sie spielen in einigen Szenen deutsche Schlager ein, mit denen die Handlung
direkt kommentiert wird. Das ist erstaunlich witzig, hätte aber auch
schief gehen können. Wie funktioniert das?
Das ist ein spielerisches Herangehen. Das stand zum Beispiel überhaupt
nicht im Drehbuch. Ich wusste auch nicht, dass wir das machen werden, als
wir gedreht haben. Wegen der kurzen Vorproduktionszeiten habe ich mir, ehrlich
gesagt, über die Musik überhaupt keine Gedanken gemacht. Okay,
erstmal drehen, dann gucken wir mal. Ich nehme die unterschiedlichsten Arten
von CDs mit in den Schneideraum, um rumzuprobieren. Zuerst haben wir Pascale
Comelade gefunden. Das ist ein katalanischer Komponist, der in
Südfrankreich lebt, in den Pyrenäen. Ich hatte von dem mal eine
CD geschenkt bekommen, habe sie mit in den Schneideraum genommen und zu den
Mustern laufen lassen. Er arbeitet mit Kinderinstrumenten, eine fast naive
Musik. Es hatte für mich etwas Beglückendes, weil es so einen warmen,
weiten Ton in die Geschichte herein brachte, gleichzeitig aber auch eine
Naivität und Kleinheit behauptete. Das mochte ich daran. Dann gab es
Szenen wie in der Kneipe, und ich dachte: Da muss ein Radio laufen, lass
uns was ausprobieren. Irgendwann habe ich Marianne Rosenberg ausprobiert,
Er gehört zu mir für die große Szene, in der
Nike Ronald angräbt. Dann passierte etwas Lustiges: Der Schlager
kommentierte dauernd auf eine skurrile Art die Szene oder andersrum. Es
befruchtete sich gegenseitig und machte die Szene komischer. Das hat mir
als ironische Sicht auf diese Szene gefallen. Dann gab es danach die Szene,
wo Nike am Morgen am Frühstückstisch sitzt. Ich hatte noch die
Schlager-CD vor meiner Nase stehen, gucke so und denke, mach mal aus Quatsch
und um die Schnittmeister zu erfreuen, Nana Mouskouri Guten Morgen,
Sonnenschein rein, und habe das laufen lassen. Siehe da: Wir haben
uns gekugelt vor Lachen. Fanden das köstlich, aber meinten es zu dem
Zeitpunkt noch nicht ernst. Nach und nach hat uns das aber immer mehr gefallen.
Es bringt so eine zärtliche Form von Ironie rein. Eine gewisse Distanz.
Es betont auch das Nicht-Realistische der Erzählung. Ich meine, eine
Figur wie Nike würde wahrscheinlich Robbie Williams hören, den
wir niemals bezahlen könnten. Aber nicht deutsche Schlager der 70er
Jahre. Wir fanden das charmant, die Szenen auf eine merkwürdige Art
zu brechen. Als ob man dem Zuschauer zuzwinkert und sagt: Pass auf, es ist
nicht die Welt, die du hier siehst. Es ist das Bild einer Welt, aber es kann
etwas mit dir zutun haben, das Bild dieser Welt. Man findet eine
überhöhte Form, Alltag zu erzählen. Das ist ja immer das
Schwierigste. Die Geschichten handeln von dem, was einem täglich begegnen
könnte. Aber wer geht schon ins Kino, um sich etwas anzugucken, das
er auch im eigenen Supermarkt erlebt? Also muss man etwas finden, dass das
im Kino dann trotzdem unterhaltsam macht. Was es bricht. Was auf eine bestimmte
Art die Realität erhöht, zu etwas, das man sich gerne anschaut.
Wo man das Gefühl hat, es ist nicht die Wirklichkeit, aber es ist
wahrhaftig. Es sieht nicht exakt so aus wie mein Leben, aber es könnte
so sein. Es hat etwas damit zu tun. Ich entdecke mich an vielen Punkten,
was Figuren hier tun, wieder. Ronald ist ein Archetyp eines bestimmten Musters
männlichen Verhaltens. Dazu kann ich mich nur ironisch positionieren.
Also gehe ich mit dem Bild eines solchen Typs ironisch um, versuche ihm aber
zu seinem Recht zu verhelfen, indem er sich am Schluss plötzlich als
ganz anders entpuppt und leider dann auch rausfliegt. Das sind so
Herangehensweisen, und dazu hilft in diesem Fall auch die Musik.
Es gibt sehr schöne, interessante Frauen in Ihren Filmen, aber immer
diese Kotzbrocken als Männer. Wie kommt es zu dem Verhältnis?
Das hat natürlich mit dem eigenen Verhältnis zutun. Ich mag Frauen.
Ich finde, sie sind die schöneren Menschen. Und es ist natürlich
auch immer der Versuch, hinter das Mysterium zu kommen, warum es zwischen
Männern und Frauen nicht so klappt, wie man es sich wünscht. Deswegen
interessiere ich mich dafür und habe gerne starke Frauenfiguren in den
Filmen, ohne dass die Männer da jetzt abkacken. Ich mag auch Ronald.
Ich mag auch jemanden wie Willenbrock. Obwohl ich ihn an vielen Stellen des
Films auch nicht mag. Aber am Schluss mag ich ihn eigentlich doch ganz gerne,
weil er am Ende der Geschichte wieder bei sich selbst angekommen ist, und
dann ist plötzlich wieder etwas möglich, auch bei so einem Typen.
Von daher war es auch wichtig, ihn mit Axel (Prahl) sympathisch zu besetzen.
Axel ist ein sehr sympathischer Mann. Andreas Schmidt (der den Ronald spielt)
übrigens genauso. Der hat sozusagen überhaupt nichts
Ronaldiges. Aber das mag schon sein, dass mich die Frauenfiguren
einfach stärker interessieren. Ich kann nicht genau begründen,
woran das liegt. Vielleicht wirklich, um rauszukriegen, warum ich nicht so
sein kann oder warum man manchmal so schwer rankommt. Und das aber aus einer
positiven Argumentationslinie zu ziehen, wo man sagt, das sind unheimlich
schöne Menschen, die ich gerne besser verstehen würde. Das versuche
ich. Aber ansonsten gehe ich an Frauenfiguren nicht anders ran als an
Männerfiguren. Sondern ich versuche die Leute, von denen ich in den
Filmen erzähle, zu verstehen und zu mögen. Natürlich sagt
Herr Wichmann von der CDU keine Dinge, die ich persönlich so toll finde,
Aber auf eine gewisse Art mag ich ihn auch. Er rührt mich, wie er da
so unermüdlich Wahlkampf macht, sich in die letzte Pampa stellt, sich
beschimpfen lässt. Das bewundere ich ab einem gewissen Punkt auch. Selbst
wenn der Film voller Ironie ist, bleiben ein Grundrespekt und Achtung. Ohne
Achtung sollte man nicht arbeiten, dann wirds wirklich zynisch.
Sieht Ihr Film am Ende auf der Leinwand so aus, wie Sie ihn sich am Anfang
vorgestellt haben?
Er wird immer anders. Eine Filmherstellung hat etwas Prozesshaftes. Man hat
ein Buch, dann hat man eine bestimmte Idee, wie das aussehen könnte.
Schon mit dem ersten Drehtag, mit der ersten Klappe verändert sich das.
Plötzlich findet ein Schauspieler einen anderen Ton, eine andere Farbe,
um etwas zu sagen. Jemand schleppt irgendeine Idee an. Der Oberbeleuchter
kommt und sagt: Du, wenn ich bei mir in der Küche das Wasser aufdrehe,
wirds in der Dusche immer verdammt heiß. Finde ich eine tolle
Idee. Übrigens aus Köln. Georg Nonnenmacher. Wunderbarer
Oberbeleuchter, wunderbarer Mensch. Der ganz viele Ideen reinbringt. So entsteht
beim Miteinanderarbeiten, wenn man offen ist, ein Klima, in dem die Ideen
durch die Luft fliegen. Manchmal greift man eine raus und sagt: Das ist aber
schön, lass uns das machen. So verändert sich ein Film. Natürlich
auch zum Negativen. Bestimmte Dinge lösen sich nicht ein. Die kriegt
man nicht hin. Es geht in beide Richtungen. Er reichert sich an, aber an
anderer Stelle verliert er. Dann muss man im Schnitt gucken, dass man das
Optimum findet, von dem, was möglich ist. Aber in letzter Konsequenz
muss man sagen, ist ein Film immer ein Spiegel der eigenen Unvollkommenheit
zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Das, was man als große Vision vor
der Nase hat, löst sich nicht ein. Es ist immer anders. Wenn man Glück
hat, auch schöner.
Mögen Sie jeden Ihrer Filme?
Ich hänge an den Sachen, die ich gemacht habe. Auch wenn mir vieles
unvollkommen daran erscheint. Manche mag ich mehr, manche weniger. Man hat
ein kritisches Verhältnis dazu. Aber das heißt nicht, dass ich
nicht dazu stehe. Es ist ein Teil von mir. Aber manchmal sehe ich es recht
distanziert und denke: Da habe ich schön Scheiße gemacht. Würde
ich gern anders machen. Geht leider nicht mehr. Dann macht man den nächsten
Film und macht die nächsten Fehler, andere Fehler. Beckett hat das mal
gesagt: wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern. So ist das
Leben. Man scheitert auf immer höherem Niveau. Hoffentlich.
Als Nächstes werden Sie Don Giovanni in Basel inszenieren.
Ist es ein großer Sprung vom Film zur Oper?
Die Produktionsbedingungen sind anders. Beim Film findet man sich für
zwei Monate zusammen, versucht eine eingeschworene Truppe zu finden, ist
für die ganze Zeit auf dieser Abenteuerreise, versucht gemeinsam etwas
übers Leben herauszufinden. Beim Theater kommt man als Regisseur in
einen vorhandenen Apparat rein. Ich muss mich eingliedern und mit diesem
Apparat umgehen. Das ist das Organisatorische. Das andere ist das
Künstlerische. Natürlich ist es ein Riesenunterschied, ob ich
Don Giovanni vorbereite oder einen Film. Bei der Oper muss ich
andere Dinge berücksichtigen. Es ist schon viel mehr da. Beim einem
Film oder einer Schauspielaufführung kann ich den Rhythmus selber bestimmen.
Hier muss ich gucken, was sich der Komponist dabei gedacht hat. Es gibt einen
mitkomponierten Subtext. Den kann ich beim Lesen des Stückes nicht
außer Acht lassen. Dazu muss ich mich als Regisseur ins Verhältnis
setzen. Das ist für mich spannend. Wo es nicht anders ist, glaube ich,
wo es fast identisch ist, ist die menschliche Seite der Zusammenarbeit. Wie
geht man miteinander um? Kriegt man ein Klima hin, wo Leute sich trauen,
sich zu öffnen und Dinge anzubieten, sich stark einzubringen?
Was hat Sie gerade an Don Giovanni gereizt?
Ich habe es mir nicht ausgesucht. Es wurde mir angeboten. Ich finde es einen
super spannenden Stoff. Es hat mich erstmal formal gereizt, das andere Medium
kennen zu lernen. Ich bin da im hohen Maße Lernender. Das finde ich
aufregend. Mich da rein zu begeben, mich beispielsweise mit einer Mozart-Partitur
auseinander zu setzen. Da kann man nur von profitieren, weil das unheimlich
intelligent ist. Inhaltlich finde ich, dass es eine ganz heutige Geschichte
ist. Wo sich ein Mann scheinbar gegen alle Ordnung, gegen jede soziale
Verabredung stellt. Unbedingt einem Stern nachjagt, den er eigentlich nie
kriegen kann. Immer in dem Moment, wo es sich einlösen könnte,
muss er weiter. Der Stillstand ist das Gegenteil von seinem Prinzip. Das
erzeugt eine Reibung. Vielleicht ist Don Giovanni etwas, wovon
wir alle ein kleines bisschen träumen. Dass man auf eine anarchische
Art sein Ding lebt. Und der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist ein
sehr hoher. Er verletzt permanent Leute. Er stiftet Unheil. Er bringt ein
heilloses Durcheinander in jede Art menschlicher Beziehung. Trotzdem lieben
ihn die Frauen gerade deshalb. Sie lieben ihn, weil er so ist, wie er ist.
Vielleicht lieben sie ihn, weil sie ihn nicht kriegen können. Wenn er
domestizierbar wäre, wäre er vielleicht nicht mehr so spannend.
Das ist das seltsame Paradoxon da drin. Am Schluss ist er weg, und die ganzen
verbleibenden Figuren stehen auf der leeren Bühne. Das, was sie als
Lebensprogrammatik dagegen zu stellen haben, ist ein bisschen fad. Eine Welt
ohne Don Giovannis ist eben leider auch eine ziemlich langweilige Welt. Es
braucht immer das Gegengewicht. Zu einer geordneten Welt braucht es den
anarchischen Geist, der da quer treibt. Nur anarchische Geister allerdings
würden einem unheimlich auf den Sack gehen. Das beides ist es, was
ineinander schwingt und den Stoff unheimlich aktuell macht, weil er im
zwischenmenschlichen Bereich etwas erzählt, womit wir alle uns rumschlagen.
Gibt es weitere künstlerische Felder, die Sie herausfordern
könnten?
Jenseits der darstellenden Kunst kann ich mir kaum etwas vorstellen. Mir
bleibt der Bereich, in dem ich mich bewege, und da habe ich schon ziemlich
viel ausprobiert. Vom Dokumentarfilm über Spielfilm, Fernsehfilm bis
hin zum Theater, jetzt Oper. Das Spektrum ist weitestgehend durchschritten.
Ich würde gerne einen Märchenfilm für Kinder drehen. Das
fände ich total schön. Aber darauf kommt leider keiner. Weil man
als Regisseur immer in irgendwelchen Schubladen steckt. Ich bin in der Schublade
für die Sozialdramen. Solche Projekte kriege ich angeboten. Man kriegt
meistens nichts angeboten, was jenseits der Vorstellungskraft von Leuten
liegt, die Sachen sehen, die man macht. Ich denke aber, dass mir ein
Märchen für Kinder gut liegen würde. Es ist letztendlich Handwerk,
das ich an der Filmhochschule gelernt habe. Es ist eine andere Erzählform
als bei Sommer vorm Balkon oder bei Halbe Treppe,
eher eine klassische Filmerzählung, wie wir es bei Willenbrock
praktiziert haben.
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