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Der warme Herzschlag eines Sommers gegen den kalten Winter
Interview mit Andreas Dresen zu seinem Film "Sommer vorm Balkon"

Von Ulrike Mattern 

Wie gelangt man aus der Vogelperspektive auf einen tief verschneiten Parkplatz in Magdeburg, dem Schlussbild in ihrem letzten Film „Willenbrock“, auf den warmen Logenplatz im Berliner „Sommer vorm Balkon”?

Das war kurios, weil es eigentlich ein direkter Anschluss war. Ich hatte „Willenbrock” abgedreht, und beim Abschlussfest gab mir die Dramaturgin von beiden Filmen, Cooky Ziesche, 30 Seiten von Wolfgang Kohlhaase in die Hand und sagt: Lies das doch mal. Ich habe das erstmal in die Tasche gesteckt, bin zu unserem Abschlussfest gefahren und habe mich aber insgeheim gefreut, weil ich Kohlhaase sehr verehre. Er ist ein Autor, mit dem ich groß geworden bin. Ich habe seine Filme natürlich gesehen. „Solo Sunny”, „Der Aufenthalt”, später dann mit Schlöndorff „Die Stille nach dem Schuss”. Ich kenne bis heute noch einen Teil der Dialoge aus „Solo Sunny” auswendig, weil die so witzig und skurril sind und besonders. Von daher habe ich mich einfach gefreut, etwas von ihm lesen zu dürfen. Und es war wirklich, was einem im Beruf und im Leben nicht oft passiert, Liebe auf den ersten Blick. Wenn man sagt: Ja, das will ich. Es war auf eine schöne Art unfertig. Es erzählte auf eine schöne Art Alltag. Das war ein bisschen so, als ob man eine Straße lang geht. Man guckt kurz in ein Fenster rein und sieht den Menschen da drinnen für einen Moment bei ihrem Leben zu, und dann geht man weiter. Denkt sich: Sind vielleicht andere Menschen, aber das Leben von denen hat auch mit meinem etwas zutun. Es erzählte mit einem unendlich leichten und beiläufigen Ton über sehr ernste Dinge. Über Einsamkeit in unterschiedlichen Generationen. Über Solidarität. Über solche Sachen, die mich beschäftigt haben, und ich war davon sehr gerührt. Mir ging’s in der Zeit gerade nicht gut. Und ich fand darin einen Ton, der ermutigend und schön, der warm war. Ich dachte, es wäre schön, nach einem Film, der eine gewisse Härte hatte, so wie „Willenbrock”, eine gewisse Kälte an bestimmten Stellen, jetzt etwas zu machen, das komplett anders ist. Den warmen Herzschlag eines Sommers gegen den kalten Winter zu setzen. Das war dann ein schnell geborenes Projekt.

Ist es wichtig, dass Ihre Filme etwas mit Ihnen zutun haben?

Angehen muss es einen immer etwas. Wenn es mich nichts anginge, hätte ich keine Lust, mich über eine so lange Zeit damit zu beschäftigen. Es gibt immer etwas, was mich persönlich betrifft oder auch berührt. Man verbringt mit so einem Film zwei Jahre seines Lebens. Dann muss man sich relativ sicher sein. Als „Halbe Treppe” anfing, hatte ich meine ersten großen Beziehungskatastrophen hinter mir. Keine dieser Geschichten im Film habe ich selber erlebt, aber es gibt Punkte darin, die mich selber berühren. Dann fängt man an, darüber gerne zu erzählen, weil es einem gerade wichtig ist. Natürlich ist es etwas anderes, wenn ein Film über sieben Jahre Entwicklung geht, als wenn man etwas liest und sagt: Ich will es jetzt machen. Dann ist der Impuls sehr viel frischer, und es schießt ganz viel Herzblut in das Projekt.

Mögen Sie diese kurzfristigen Projekte am liebsten?

Würde ich gar nicht sagen. Es sind halt spezielle Projekte. Ich mag einen Film wie „Willenbrock” genauso. Weil er über Jahre hinweg mit einer bestimmten Stringenz auf einen bestimmten Punkt hin entwickelt worden ist. Er ist mir nicht minder wichtig. Das andere ist… Wie soll ich sagen? Manchmal malt man ein großes Gemälde, und manchmal ist es eine kleine Skizze. Deswegen muss die Skizze nicht schlechter sein als das Gemälde. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge. Sie sind Ausdruck eines unterschiedlichen Arbeitsprozesses, aber Ausdruck des gleichen erzählerischen Willens, glaub ich, der aber auch über unterschiedliche Distanzen geht. Vielleicht liegen mir schnelle Projekte ein bisschen mehr. Das hat damit zutun, dass viel mehr Unberechenbarkeit reinkommt. Das macht auch das Ergebnis unberechenbarer. Das verträgt nicht jeder Film. Mit manchen Projekten kann man es gut machen, mit anderen geht das gar nicht. Wenn man die schnell durchpeitscht, gehen die vor die Hunde.

Mit welchen kann man das machen, mit welchen nicht?

So ein Film wie „Sommer vorm Balkon” brauchte eine gewisse Spontaneität. Wenn man den über eine lange Distanz entwickelt hätte, hätte man ihm viel an Frische genommen. Einen Film wie „Willenbrock” schnell machen zu wollen wäre einfach leichtfertig. Es ist eine komplizierte Literaturadaption. Dabei muss man sich sehr genau überlegen, welchen Teil der Geschichte man nimmt, auf was man sich fokussiert. Das braucht ein ziemliches Nachdenken, und das ist halt ein längerer Prozess. Auch die formale Ausdrucksform so einer Geschichte zu finden, braucht einen längeren Anlauf. Das so schnell hinzuwischen und zu hoffen, das wird schon irgendwo, ist bei so einem Projekt völlig daneben. Ich entscheide das vom Stoff ausgehend. Bei „Sommer vorm Balkon” war sofort klar: okay, schnell! Parallel bereite ich mich jetzt schon seit zwei Jahren auf die Oper „Don Giovanni” vor, die ich ab Januar inszeniere. Es ist immer mit jedem Projekt ein bisschen anders. Die Wahrheit gibt es eigentlich nicht. Sie bezieht sich immer auf das, was man gerade tun möchte. Man kann versuchen, dafür den richtigen Weg zu finden.

Das heißt, dass Produktionen bei Ihnen parallel laufen?

Bei Filmen ist das bei mir eher die Ausnahme. Ich bin sonst nicht ganz so flink. Aber hier war es wirklich so, dass das Projekt kam, ich habe es Ende März, Anfang April gelesen, und im August haben wir schon gedreht. In der Zeit haben wir aus den 30 Seiten mit Wolfgang (Kohlhaase) ein Drehbuch entwickelt. Wir haben den Film finanziert. Wir haben ihn besetzt. Wir haben die Motive gesucht und das Team zusammengestellt. In der gleichen Zeit habe ich parallel bis Ende Juli den Film „Willenbrock” geschnitten. Es lief alles miteinander verquickt. Abends habe ich an der Sommer-vorm-Balkon-Front gekämpft, tagsüber war ich im Schneideraum. Und das ging gar nicht so schlecht. „Sommer vorm Balkon” war so, als ob der Film gemacht werden wollte. Das ging alles ganz leicht, von Anfang an. Bei manchen Filmen muss man sich alles erkämpfen. Die sind sauschwer. „Nachtgestalten” war ein Film, der echt erkämpft werden wollte. Wahnsinnig anstrengend. „Sommer vorm Balkon” war wie ein großes Geschenk, das uns vor die Füße plumpste. Alles, was wir uns ausgedacht hatten, ging immer auf. Wir kriegten die Besetzung, die Musik kam irgendwie zu uns. Mir fiel zum richtigen Zeitpunkt die richtige CD in die Hand. Der Komponist hat zugestimmt. Aus irgendeinem Grund hat mancher Film einen Lauf, bei anderen muss man dauernd kämpfen.

Wie viel ist von den Dialogen improvisiert, wie viel im Drehbuch vorhanden?

Es ist ein ausgeschriebenes Drehbuch. Es gibt eine Reihe von Szenen, die entsprechend dem Drehbuch gemacht wurden: die Szenen zwischen Nike und Ronald beispielsweise, die sehr punktgenaue Dialoge haben. Oder der lakonische Sprachwitz, der typisch für Wolfgang Kohlhaase ist. Diese Szenen sind genau inszeniert. Wir haben teilweise viele Takes gebraucht, weil man bei diesen Themen genau den Rhythmus treffen musste, damit sich der Humor, das understatement herstellt. Dann gibt es eine Reihe von Sequenzen – z.B. das Bewerbungstraining, der Unfall, die Frau in der Sozialstation, die Einlieferung in die Suchtmedizin –, die mit Laien gedreht wurden, und die zwar im Drehbuch standen, aber am Drehort völlig frei behandelt wurden. Die Leute sprechen ihre eigenen Texte, erfinden Dinge dazu. Ich würde sagen, es ist eine Mischform.

Könnten Sie das grob prozentual festlegen?

Puh, ich würde mal sagen 70 Prozent ist geschrieben, 30 Prozent improvisiert. Vielleicht. Aber das ist schwer zu sagen, weil sich das bei manchen Szenen miteinander vermischt. Wir haben „Halbe Treppe” komplett improvisiert, da gab es überhaupt keinen geschriebenen Satz. Dann gab es „Willenbrock”, wo wir ganz genau nach der literarischen Vorlage gearbeitet haben. Hier, mit „Sommer vorm Balkon”, gab es plötzlich ein Projekt, wo beides drin vorkam: das Bedürfnis nach einer ganz präzisen Inszenierung, die ja irgendwie so einen Kaurismäki-Touch hat, vom Lakonismus her, was diese Ronald-Szenen betrifft. Und auf der anderen Seite eben dieses völlig Freie, als ob man ein Tor zur Welt aufstößt und sagt: So, jetzt marschieren wir wieder auf die Straße raus, und ab geht’s. Dann bricht plötzlich ein Ton rein, der anders ist. Ich mochte es, dass sich das miteinander reibt. Letztendlich sind es nur zwei unterschiedliche Formen von Inszenierungen. Improvisation ist auch inszenierte Form. Es gibt keine Wirklichkeit auf der Leinwand. Sondern immer nur die Anmutung. Aber dazu ist zu viel weggeschnitten. Links, rechts, hinten … Man weiß nicht, was da stattgefunden hat. Es gibt immer eine Selektion. Die Film-Wirklichkeit ist die, die Leute hinter und vor der Kamera kreiert haben. Selbst im Dokumentarfilm. Da hat es leider auch nichts mit dem Leben zutun. Mutet eben nur an. Als ob…

Sie spielen in einigen Szenen deutsche Schlager ein, mit denen die Handlung direkt kommentiert wird. Das ist erstaunlich witzig, hätte aber auch schief gehen können. Wie funktioniert das?

Das ist ein spielerisches Herangehen. Das stand zum Beispiel überhaupt nicht im Drehbuch. Ich wusste auch nicht, dass wir das machen werden, als wir gedreht haben. Wegen der kurzen Vorproduktionszeiten habe ich mir, ehrlich gesagt, über die Musik überhaupt keine Gedanken gemacht. Okay, erstmal drehen, dann gucken wir mal. Ich nehme die unterschiedlichsten Arten von CDs mit in den Schneideraum, um rumzuprobieren. Zuerst haben wir Pascale Comelade gefunden. Das ist ein katalanischer Komponist, der in Südfrankreich lebt, in den Pyrenäen. Ich hatte von dem mal eine CD geschenkt bekommen, habe sie mit in den Schneideraum genommen und zu den Mustern laufen lassen. Er arbeitet mit Kinderinstrumenten, eine fast naive Musik. Es hatte für mich etwas Beglückendes, weil es so einen warmen, weiten Ton in die Geschichte herein brachte, gleichzeitig aber auch eine Naivität und Kleinheit behauptete. Das mochte ich daran. Dann gab es Szenen wie in der Kneipe, und ich dachte: Da muss ein Radio laufen, lass uns was ausprobieren. Irgendwann habe ich Marianne Rosenberg ausprobiert, „Er gehört zu mir” für die große Szene, in der Nike Ronald angräbt. Dann passierte etwas Lustiges: Der Schlager kommentierte dauernd auf eine skurrile Art die Szene oder andersrum. Es befruchtete sich gegenseitig und machte die Szene komischer. Das hat mir als ironische Sicht auf diese Szene gefallen. Dann gab es danach die Szene, wo Nike am Morgen am Frühstückstisch sitzt. Ich hatte noch die Schlager-CD vor meiner Nase stehen, gucke so und denke, mach mal aus Quatsch und um die Schnittmeister zu erfreuen, Nana Mouskouri „Guten Morgen, Sonnenschein” rein, und habe das laufen lassen. Siehe da: Wir haben uns gekugelt vor Lachen. Fanden das köstlich, aber meinten es zu dem Zeitpunkt noch nicht ernst. Nach und nach hat uns das aber immer mehr gefallen. Es bringt so eine zärtliche Form von Ironie rein. Eine gewisse Distanz. Es betont auch das Nicht-Realistische der Erzählung. Ich meine, eine Figur wie Nike würde wahrscheinlich Robbie Williams hören, den wir niemals bezahlen könnten. Aber nicht deutsche Schlager der 70er Jahre. Wir fanden das charmant, die Szenen auf eine merkwürdige Art zu brechen. Als ob man dem Zuschauer zuzwinkert und sagt: Pass auf, es ist nicht die Welt, die du hier siehst. Es ist das Bild einer Welt, aber es kann etwas mit dir zutun haben, das Bild dieser Welt. Man findet eine überhöhte Form, Alltag zu erzählen. Das ist ja immer das Schwierigste. Die Geschichten handeln von dem, was einem täglich begegnen könnte. Aber wer geht schon ins Kino, um sich etwas anzugucken, das er auch im eigenen Supermarkt erlebt? Also muss man etwas finden, dass das im Kino dann trotzdem unterhaltsam macht. Was es bricht. Was auf eine bestimmte Art die Realität erhöht, zu etwas, das man sich gerne anschaut. Wo man das Gefühl hat, es ist nicht die Wirklichkeit, aber es ist wahrhaftig. Es sieht nicht exakt so aus wie mein Leben, aber es könnte so sein. Es hat etwas damit zu tun. Ich entdecke mich an vielen Punkten, was Figuren hier tun, wieder. Ronald ist ein Archetyp eines bestimmten Musters männlichen Verhaltens. Dazu kann ich mich nur ironisch positionieren. Also gehe ich mit dem Bild eines solchen Typs ironisch um, versuche ihm aber zu seinem Recht zu verhelfen, indem er sich am Schluss plötzlich als ganz anders entpuppt und leider dann auch rausfliegt. Das sind so Herangehensweisen, und dazu hilft in diesem Fall auch die Musik.

Es gibt sehr schöne, interessante Frauen in Ihren Filmen, aber immer diese Kotzbrocken als Männer. Wie kommt es zu dem Verhältnis?

Das hat natürlich mit dem eigenen Verhältnis zutun. Ich mag Frauen. Ich finde, sie sind die schöneren Menschen. Und es ist natürlich auch immer der Versuch, hinter das Mysterium zu kommen, warum es zwischen Männern und Frauen nicht so klappt, wie man es sich wünscht. Deswegen interessiere ich mich dafür und habe gerne starke Frauenfiguren in den Filmen, ohne dass die Männer da jetzt abkacken. Ich mag auch Ronald. Ich mag auch jemanden wie Willenbrock. Obwohl ich ihn an vielen Stellen des Films auch nicht mag. Aber am Schluss mag ich ihn eigentlich doch ganz gerne, weil er am Ende der Geschichte wieder bei sich selbst angekommen ist, und dann ist plötzlich wieder etwas möglich, auch bei so einem Typen. Von daher war es auch wichtig, ihn mit Axel (Prahl) sympathisch zu besetzen. Axel ist ein sehr sympathischer Mann. Andreas Schmidt (der den Ronald spielt) übrigens genauso. Der hat sozusagen überhaupt nichts „Ronaldiges”. Aber das mag schon sein, dass mich die Frauenfiguren einfach stärker interessieren. Ich kann nicht genau begründen, woran das liegt. Vielleicht wirklich, um rauszukriegen, warum ich nicht so sein kann oder warum man manchmal so schwer rankommt. Und das aber aus einer positiven Argumentationslinie zu ziehen, wo man sagt, das sind unheimlich schöne Menschen, die ich gerne besser verstehen würde. Das versuche ich. Aber ansonsten gehe ich an Frauenfiguren nicht anders ran als an Männerfiguren. Sondern ich versuche die Leute, von denen ich in den Filmen erzähle, zu verstehen und zu mögen. Natürlich sagt Herr Wichmann von der CDU keine Dinge, die ich persönlich so toll finde, Aber auf eine gewisse Art mag ich ihn auch. Er rührt mich, wie er da so unermüdlich Wahlkampf macht, sich in die letzte Pampa stellt, sich beschimpfen lässt. Das bewundere ich ab einem gewissen Punkt auch. Selbst wenn der Film voller Ironie ist, bleiben ein Grundrespekt und Achtung. Ohne Achtung sollte man nicht arbeiten, dann wird’s wirklich zynisch.

Sieht Ihr Film am Ende auf der Leinwand so aus, wie Sie ihn sich am Anfang vorgestellt haben?

Er wird immer anders. Eine Filmherstellung hat etwas Prozesshaftes. Man hat ein Buch, dann hat man eine bestimmte Idee, wie das aussehen könnte. Schon mit dem ersten Drehtag, mit der ersten Klappe verändert sich das. Plötzlich findet ein Schauspieler einen anderen Ton, eine andere Farbe, um etwas zu sagen. Jemand schleppt irgendeine Idee an. Der Oberbeleuchter kommt und sagt: Du, wenn ich bei mir in der Küche das Wasser aufdrehe, wird’s in der Dusche immer verdammt heiß. Finde ich eine tolle Idee. Übrigens aus Köln. Georg Nonnenmacher. Wunderbarer Oberbeleuchter, wunderbarer Mensch. Der ganz viele Ideen reinbringt. So entsteht beim Miteinanderarbeiten, wenn man offen ist, ein Klima, in dem die Ideen durch die Luft fliegen. Manchmal greift man eine raus und sagt: Das ist aber schön, lass uns das machen. So verändert sich ein Film. Natürlich auch zum Negativen. Bestimmte Dinge lösen sich nicht ein. Die kriegt man nicht hin. Es geht in beide Richtungen. Er reichert sich an, aber an anderer Stelle verliert er. Dann muss man im Schnitt gucken, dass man das Optimum findet, von dem, was möglich ist. Aber in letzter Konsequenz muss man sagen, ist ein Film immer ein Spiegel der eigenen Unvollkommenheit zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Das, was man als große Vision vor der Nase hat, löst sich nicht ein. Es ist immer anders. Wenn man Glück hat, auch schöner.

Mögen Sie jeden Ihrer Filme?

Ich hänge an den Sachen, die ich gemacht habe. Auch wenn mir vieles unvollkommen daran erscheint. Manche mag ich mehr, manche weniger. Man hat ein kritisches Verhältnis dazu. Aber das heißt nicht, dass ich nicht dazu stehe. Es ist ein Teil von mir. Aber manchmal sehe ich es recht distanziert und denke: Da habe ich schön Scheiße gemacht. Würde ich gern anders machen. Geht leider nicht mehr. Dann macht man den nächsten Film und macht die nächsten Fehler, andere Fehler. Beckett hat das mal gesagt: wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern. So ist das Leben. Man scheitert auf immer höherem Niveau. Hoffentlich.

Als Nächstes werden Sie „Don Giovanni” in Basel inszenieren. Ist es ein großer Sprung vom Film zur Oper?

Die Produktionsbedingungen sind anders. Beim Film findet man sich für zwei Monate zusammen, versucht eine eingeschworene Truppe zu finden, ist für die ganze Zeit auf dieser Abenteuerreise, versucht gemeinsam etwas übers Leben herauszufinden. Beim Theater kommt man als Regisseur in einen vorhandenen Apparat rein. Ich muss mich eingliedern und mit diesem Apparat umgehen. Das ist das Organisatorische. Das andere ist das Künstlerische. Natürlich ist es ein Riesenunterschied, ob ich „Don Giovanni” vorbereite oder einen Film. Bei der Oper muss ich andere Dinge berücksichtigen. Es ist schon viel mehr da. Beim einem Film oder einer Schauspielaufführung kann ich den Rhythmus selber bestimmen. Hier muss ich gucken, was sich der Komponist dabei gedacht hat. Es gibt einen mitkomponierten Subtext. Den kann ich beim Lesen des Stückes nicht außer Acht lassen. Dazu muss ich mich als Regisseur ins Verhältnis setzen. Das ist für mich spannend. Wo es nicht anders ist, glaube ich, wo es fast identisch ist, ist die menschliche Seite der Zusammenarbeit. Wie geht man miteinander um? Kriegt man ein Klima hin, wo Leute sich trauen, sich zu öffnen und Dinge anzubieten, sich stark einzubringen?

Was hat Sie gerade an „Don Giovanni” gereizt?

Ich habe es mir nicht ausgesucht. Es wurde mir angeboten. Ich finde es einen super spannenden Stoff. Es hat mich erstmal formal gereizt, das andere Medium kennen zu lernen. Ich bin da im hohen Maße Lernender. Das finde ich aufregend. Mich da rein zu begeben, mich beispielsweise mit einer Mozart-Partitur auseinander zu setzen. Da kann man nur von profitieren, weil das unheimlich intelligent ist. Inhaltlich finde ich, dass es eine ganz heutige Geschichte ist. Wo sich ein Mann scheinbar gegen alle Ordnung, gegen jede soziale Verabredung stellt. Unbedingt einem Stern nachjagt, den er eigentlich nie kriegen kann. Immer in dem Moment, wo es sich einlösen könnte, muss er weiter. Der Stillstand ist das Gegenteil von seinem Prinzip. Das erzeugt eine Reibung. Vielleicht ist „Don Giovanni” etwas, wovon wir alle ein kleines bisschen träumen. Dass man auf eine anarchische Art sein Ding lebt. Und der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist ein sehr hoher. Er verletzt permanent Leute. Er stiftet Unheil. Er bringt ein heilloses Durcheinander in jede Art menschlicher Beziehung. Trotzdem lieben ihn die Frauen gerade deshalb. Sie lieben ihn, weil er so ist, wie er ist. Vielleicht lieben sie ihn, weil sie ihn nicht kriegen können. Wenn er domestizierbar wäre, wäre er vielleicht nicht mehr so spannend. Das ist das seltsame Paradoxon da drin. Am Schluss ist er weg, und die ganzen verbleibenden Figuren stehen auf der leeren Bühne. Das, was sie als Lebensprogrammatik dagegen zu stellen haben, ist ein bisschen fad. Eine Welt ohne Don Giovannis ist eben leider auch eine ziemlich langweilige Welt. Es braucht immer das Gegengewicht. Zu einer geordneten Welt braucht es den anarchischen Geist, der da quer treibt. Nur anarchische Geister allerdings würden einem unheimlich auf den Sack gehen. Das beides ist es, was ineinander schwingt und den Stoff unheimlich aktuell macht, weil er im zwischenmenschlichen Bereich etwas erzählt, womit wir alle uns rumschlagen.

Gibt es weitere künstlerische Felder, die Sie herausfordern könnten?

Jenseits der darstellenden Kunst kann ich mir kaum etwas vorstellen. Mir bleibt der Bereich, in dem ich mich bewege, und da habe ich schon ziemlich viel ausprobiert. Vom Dokumentarfilm über Spielfilm, Fernsehfilm bis hin zum Theater, jetzt Oper. Das Spektrum ist weitestgehend durchschritten. Ich würde gerne einen Märchenfilm für Kinder drehen. Das fände ich total schön. Aber darauf kommt leider keiner. Weil man als Regisseur immer in irgendwelchen Schubladen steckt. Ich bin in der Schublade für die Sozialdramen. Solche Projekte kriege ich angeboten. Man kriegt meistens nichts angeboten, was jenseits der Vorstellungskraft von Leuten liegt, die Sachen sehen, die man macht. Ich denke aber, dass mir ein Märchen für Kinder gut liegen würde. Es ist letztendlich Handwerk, das ich an der Filmhochschule gelernt habe. Es ist eine andere Erzählform als bei „Sommer vorm Balkon” oder bei „Halbe Treppe”, eher eine klassische Filmerzählung, wie wir es bei „Willenbrock” praktiziert haben.

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