Die Machinationen des Jeff Wall an seinen fotografischen Bildern
der Welt sind nicht verborgen: Aus dem Hinterhalt das Licht, das Leuchten,
die Schau-Kästen von der Wand gerückt. Schon deshalb die Anmutung
nicht so sehr die von Fotografie, sondern die einer Bewegung, eines
Auf-Dem-Weg-Seins, wenn nicht zum Film, dann doch zur Narration. Zwischen
die narrative Anlage alter, gelegentlich auch ausdrücklich zitierter
Gemälde und das Medium des bewegten Bildes gespannt wie ein Medium,
das es nicht gibt. Vom Cartier-Bressonschen Fetisch des richtigen Augenblicks
keine Spur und auch nicht vom ontologischen Pathos des "So ist es gewesen";
oder, genauer, eine Spur nur in der Negation. Das Werk von Jeff Wall wäre
so zu verstehen als Absage an einige der zentralen Mythen der Fotografie.
Seine Bilder sind keine Stills, aber sie stehen zum klassischen Spielfilm
in vielfältigen Beziehungen der strukturellen Analogie. Es gibt
freigeräumte, abgesperrte Drehorte, die Zurichtung der Wirklichkeit
für ein inszeniertes Geschehen. Der Blick der Kamera ist nicht der eines
Zeugen, sondern der eines unsichtbaren Erzählers. Über das Bild
verstreut etwa im dramatischen "Eviction" mit der heranfliehenden
Frau, die die Polizisten, wie es aussieht, an der Verhaftung ihres Mannes
hindern will das Personal. Von diesem schein-narrativen Grundarrangement
aus arbeitet Wall sich jedoch zurück ins Ambivalente, Rätselhafte.
Der eine prägnante Augenblick wird nicht, wie im klassischen Spielfilm,
im klassischen Bewegungsbild im nächsten Moment oder Schnitt sensomotorisch
oder narrativ aufgelöst. Das Ausbleiben der Auflösung, nach der
das Arrangement oft vehement verlangt, ist konstitutives Moment vieler dieser
Bilder. Es steckt in ihnen kein Rätsel, keine Allegorie (das wäre
eher Bill Viola), ja auch keine Geschichte, sondern sie ziehen sich ein
Rätsel zu durch das unerfüllte und medial unerfüllbare Verlangen
nach einer sensomotorischen oder narrativen Auflösung. Das Fotografische
an diesen Bildern wäre einzig das Moment dieser Unerfüllbarkeit.
Oft werden das Geschehen und seine angedeutete, aufreizend sich entziehende
Bedeutung über die Fläche des Bildes hinweg disseminiert. Die
Perspektivierung, das Arrangement gehorchen nur zum Schein klassischen Mustern.
Im offenen Grab bunte Korallen; das Grab aber im Vordergrund, die Bildmitte
bleibt leer, auf dem Friedhof zwei Gestalten in gelb, die eine kaum zu erkennen.
Das perspektivische Zentrum bleibt signifikatives Niemandsland und bezieht
genau aus diesem formalen Widerspruch seine Spannung. Die Brücke, die
einer anderen Fotografie den Titel gibt, bettet sich auf der rechten Seite
ohne großes Aufhebens in eine Stadtlandschaft, während wie unscheinbar
im dunklen Fenster eines Hauses im Vordergrund eine blonde Frau zu stehen
scheint, nur von hinten zu sehen. Eine Geistererscheinung, der Titel verschweigt
sie, die dem Blick in diesem Bild doch das einzige Faszinosum bietet. Sie
ist da platziert, absichtsvoll, wie etwas, das der Fotograf im Moment der
Aufnahme nicht gesehen hat. Noch mit dem absichtlos ins Bild Geratenden treibt
Jeff Wall sein Spiel.
Es wäre also über den fundamentalen Unernst dieser Bilder zu sprechen.
Im frühen Doppel-Selbstporträt des Künstlers zeigt er sich
an: zwischen Jeff und Wall, in der Verdopplung selbst hat keine Aussage zur
Welt, keine regelrechte Repräsentation, die nicht Schwindel wäre
oder Schwindel erregte, mehr Platz. Das Pathos der Hintergrundbeleuchtung,
der schweren Kästen, die Mühe des Arrangements und der Inszenierung
stehen zu den Sujets wie zum fotografischen Medium sehr bewusst im
Verhältnis der Ironie. Einer Ironie freilich, die hier eine ungeahnte
Würde erhält. Die ironische Geste hintertreibt bei Jeff Wall nicht
die Schwere, sie ist nicht destruktiv, sondern findet ihr Auskommen in den
Tableaus und Motiven. Was in den keinem Medium zugehörenden Bildern
Jeff Walls in vielleicht einzigartiger Weise Ereignis wird, ist eine Form
Bilder und Welten konstituierender, positiver Ironie.
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