Mit dem Genderbending-Mysterienreigen COLOUR BLOSSOMS (HK/VRC,
04), in dem Yeung Fan einem vielschichtigen sexuellen Beziehungsgeflecht
und der schillernden Erscheinungswelt des sogar ins Jenseits Triebe schlagenden,
von vielfältigen Leidenschaften und Obsessionen getriebenen Eros nachgeht,
setzt er in HK neue Maßstäbe in puncto kitschiger
Softsex-Melodramatik. Beachtlich zudem Yeungs panasiatischer Ansatz (ob er
damit allerings so erfolgreich ist wie Peter Chan Ho-sun, der mit seiner
Produktionsgesellschaft Applause Pictures vorgemacht hat, wie so etwas
funktionieren kann, steht zu bezweifeln): aus Hong Kong castet er die
Film-Newcomerin Teresa Cheung Siu-wai (als Salonlöwin und
High-Class-Shopping- Maniac bekannte Ex-Frau des Film- und Popstars Kenny
Bee, für die Yeung eigens das Drehbuch zu COLOUR BLOSSOMS geschrieben
hat) und den Newcomer Carl Ng Kar-lung (Sohn des bekannten Filmkomödianten
Richard Ng Yiu-hon), aus Japan die seit den späten 60ern bekannte
Darstellerin Matsuzaka Keiko und das Fotomodell Sho, aus Südkorea die
dort auch als Sängerin bekannte spektakuläre junge Transe Harisu
(deren Name als lautmalerischer japanischer Neologismus für Hot
Issue verstanden werden soll); die Kamera führt der in der
Arthouse-Szene bekannte Festlandchinese Wang Yu; den Score komponiert die
vielbeschäftigte Bollywood-Fachkraft Surender Sodhi; fast die gesamte
Postproduktion läßt er in Thailand erledigen. Fraglose ein Werk
vieler Einflüsse.
COLOUR BLOSSOMS (von der Hong Konger Filmkritikervereinigung als einer der
zehn besten chinesischen Filme des Jahres mit einem Golden Bauhinia Award
ausgezeichnet) arbeitet mit einem Überangebot an Farben und Texturen,
alles exquisit, alles prachtvoll. Diese Dekor-Explosion des Unbelebten findet
ihre Entsprechung in den exaltierten theatralischen Gesten der Protagonisten.
Überfrachtung, wohin man schaut, im Nebensächlichsten, in den kleinsten
Nuancen. Die sind jedoch in den meisten Fällen nicht geschaffen für
die goßen Bedeutungen, die ihnen hier aufgebürdet werden. Es entsteht
ein groteskes Ungleichgewicht, das dadurch noch verstärkt wird, daß
der Fluchtpunkt jeglicher Beziehungen der Sexus ist. So rutscht der Film
schnell in Camp und Trash ab; an einigen Stellen sogar ins Lächerliche.
Zum Beispiel wenn der von Carl Ng gespielte seltsame, bisexuelle Polizist
#4708 (Yeung frönt, wie schon in BISHONEN [HK, 98], wieder seinem
Faible für junge Uniformierte), auf Streife seine ominösen
Libido-Aufwallungen verfolgend, wie ein somnambuler Rammler oder von Pheromonen
trunkener Schmetterling irgendwo um die Ecken herumstreicht und die Dinge
der Welt, schnüffelnd und zaghaft tastend, nur noch als sexuell aufgeladene
Objekte möglicher Paarungsrituale wahrnimmt. Dieses Streichen und
Schleichen, sich Entlanggleitenlassen an den Dingen, Mitmenschen, Erlebnissen
- ganz vorsichtigt, erst einmal ohne konkreten Vorsatz -, Bestäuben
und Bestäubenlassen, haben auch die anderen Hauptpersonen verinnerlicht.
Sie haben ihre Hirnrindenfunktionen weitgehend lahmgelegt, bereingt von
intellektueller Erblast, den zerebralen Workflow reduziert auf die
Stammfunktionen der Libido und die Verarbeitung von Gefühlsmomenten.
Das alles ist von Yeung sicher sehr poetisch gemeint, wird wegen seiner
ständigen Überspanntheit aber schnell ermüdend, in vielen
Szenen voller Glamour-Bombast und plüschigem Pathos sogar unfreiwillig
komisch. Yeungs ästehtischer Idealismus und sein Wille zur Kunst stehen
außer Frage. Er pflegt einen so selbstbezogenen, ausschweifenden
Ästhetizismus (zumindest hierin ist er überaus genügsam) wie
ihn Hong Kong sonst nur noch Wong Kar-wai bedient und erklärt blumig:
The purpose of this film is to add colour to peoples lives. If
they want to blossom like a butterfly or something, then they will
acceptit
(www.hkentreview.com).
Strittig bleibt, ob er das Ergebnisses seines Schaffensdrangs diesmal durch
den Rückzug auf eine zu persönliche Position nicht entscheidend
geschwächt hat.
Die sorgfältig ausgewählten und zurechtgebogenen
Persönlichkeiten, Dinge, Befindlichkeiten in dieser (und wahrscheinlich
auch Yeungs eigener) funkenschlagenden Welt sind trans- bzw. multisexuell.
Alles ist aufgeladen und prall bis zum Platzen vor lasziver Geilheit. Zur
Erhaltung dieses Zustands ist ein hohes Maß an Künstlichkeit,
an Kunstformen der Psyche gefragt. Wie im Film die aufgedonnerte,
geschlechtspolymorphe Japanerin (Harisu) dem ausschließlich
Feinrippunterhemden tragenden Beau Kim (Sho) einmal erklärt, lautet
das zugehörige Motto: Turning a painful live into extasy.
Und weiter: We live with despair but I like this burning torment.
(Vielleicht, in Kurzform, Yeungs eigenes Programm.) Ein solches psychologisches
Durcheinander wie Yeung es hier präsentiert, und für das es keine
wirklich vernünftige Auflösung geben kann (bei einer Ausgangslage
wie dieser könnte man Theoriemodelle von Freud bis Lacan [mit denen
Yeung wohl vertraut ist] auffahren - an den Tatsachen ändern würden
sich dadurch wohl kaum je etwas), verlangt unbedingt nach zumindest einer
Teilentladung durch das Ausleben der sich unaufhörlich zusammenballenden
Transgender- und S/M-Fantasien.
Im Unterschied zu den Protagonisten, die sich in ihren Spielen der Wandlungen
und Verwandlungen, der Maskerade, der Verführung, im sinnlichen
Hineingleiten in Situationen gefallen, in denen man seine Persönlichkeit
ebenso ausdehnen wie verbergen oder seine Identität in Fluß bringen,
sogar spielerisch verlieren kann, zeigt Yeung den anderen gleich, was ihm
gefällt, was ihn scharf machen. Der Zuschauer wird nicht mehr lange
angemacht. Es geht sofort ans Rummachen. Yeung, sozusagen, holt sein Ding
raus, bunt und komisch geformt - und patsch! Er läßt die Kamera
herumschweifen, halb benommen vom Duft der Phänomene über die
Oberflächen schlingern, sich an den Personen entlangtasten, fast festsaugen.
Aber er selbst ist nicht mehr auf der Suche nach etwas. Das hat er schon
gefunden. Jetzt ist es an der Zeit, sich darin zu suhlen wie eine beschickerte
Trüffelsau.
Auch wenn Yeung mit seinen Arbeiten immer mal wieder übers Ziel hinaus
schießt, möchte man ihn in Hong Kongs Filmszene doch nicht missen,
was aber vielleicht, wie der nun schon 57jährige anklingen läßt,
bald der Fall sein könnte: The movie industry is very energy consuming
and you have to put a lot of energy into it. So after this film, I think
I will take a long vacation before I do another one. [...] I think more than
a year. I will wait until I have the next inspiration. I dont know
when. I may be a little too old when it happens (ebd.).
MAERZ (Axel Estein)
Übrigens: Der Film wird dieses Jahr im Panorama der Berlinale zu sehen
sein.
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