Jump Cut Reportage

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Neue italienische Filme: Agata und der Sturm; Licht meiner Augen

Silvio Soldini: Agata und der Sturm (I 2004)
Giuseppe Piccioni: Das Licht meiner Augen (I 2004)

Von Ulrike Mattern

 

Der italienische Film ist im deutschen Kino eine Marginalie. Gäbe es nicht ein Repertoire auf Festivals wie in Berlin oder München, sorgfältig gepflegte cineastische Strukturen wie die Reihe „Verso Sud“ im Deutschen Filmmuseum Frankfurt und die überregionale Festival-Tournee „Cinema! Italia!“ – die dieses Jahr zum siebten Mal durch 15 Städte reiste – sowie engagierte Verleiher, wären italienische Filme auf den Leinwänden rar.

Wie um diese gerade ausgemachte Tendenz ad absurdum zu führen, kommen in den nächsten Wochen vier italienische Produktionen ins Kino: „Gente di Roma“ (Menschen aus Rom) von Ettore Scola startet am 20. Januar. „La meglio gioventù“ (Die besten Jahren) von Marco Tullio Giordana folgt voraussichtlich Anfang März. Als Erstes eröffneten einen Tag vor Heiligabend zwei Filme den Reigen, die in ihrer narrativen Struktur und Bildsprache nicht gegensätzlicher sein könnten: „Agata und der Sturm“ und „Licht meiner Augen“.

So dick wie das Make-up auf dem Gesicht der Protagonistin trägt Regisseur Silvio Soldini in „Agata und der Sturm“ die Farben in seinen Bildern auf: Die sonst mausgrauen, selbst im vorteilhaftesten Licht des Südens pastellen zu beschreibenden Drehorte – die ligurische Hafenstadt Genua sowie die Landschaft der Po-Ebene – werden kräftig in den Farbtopf getunkt. Sie leuchten in Sonnengelb, Quietsch-Orange, Marineblau und Giftgrün mit dem Knallrot von Agatas Lippenstift um die Wette. Mangelt es dem urbanen oder ländlichen Umfeld an Kontrasten, setzen Kostüme und Dekorationen Akzente: bunte Buchrücken in der Buchhandlung, Retro-Look in den Wohnungen, Sommerkleider und Anzüge der Protagonisten in den Farben des Regenbogens.

Vier Jahre nach dem Erfolg mit „Brot und Tulpen“ – allein 1,4 Millionen Zuschauer hatte der Film in Deutschland – greift Soldini für „Agata und der Sturm“ tief in den Farbtopf, um in einer märchenhaften, turbulenten Seifenoper in kunterbunten Tönen von Liebe, Freundschaft und Treue zu fabulieren.

Agata ist Buchhändlerin. Ihr Bruder Gustavo Architekt. Romeo arbeitet als Modevertreter. Diese Koordinaten bürgerlicher Existenz setzt Soldini in ein verändertes Verhältnis zueinander, löst dadurch einen emotionalen Wirbelsturm aus, der alle Konstellationen durcheinander wirft und wieder neu zusammenfügt. Die Buchhändlerin Agata, euphemistisch in den so genannten „besten Jahren“, also weit über 40, verliebt sich in den um einiges jüngeren, verheirateten Nico. Gustavo erfährt, dass er nicht Agatas Bruder, sondern Kind einer mittellosen Frau ist, die ihn für Geld zur Adoption frei gegeben hat. Romeo ist deren zweiter Sohn, der erst nach dem Tod der Mutter von seinem Bruder erfährt. Dass die Dinge noch komplizierter sein können, glaubt man kaum, beweist aber der weitere Verlauf der Komödie.

Die Rolle der verführerischen Agata, deren durcheinander wirbelnde Gefühle Energien frei setzen, die Glühbirnen zum Platzen, Computer zum Absturz und Autobatterien zum Erlöschen bringen, übernimmt Schauspielerin Licia Maglietta, die ebenso wie Giuseppe Battiston – hier als Gustavos Bruder Romeo – schon in Soldinis „Brot und Tulpen“ dabei war.

So wie man feststellen kann, dass der italienische Film im deutschen Kino eine Randerscheinung darstellt, lässt sich parallel konstatieren, dass einem Genre der Erfolg an der Kinokasse sicher ist: der Liebeskomödie „all’italiana“. Auch „Agata und der Sturm“ wärmt – nicht nur im Winter – die kalten Herzen, hüllt zwischenmenschliche Krisen und das Chaos moderner Lebensformen in ein behagliches Kleid. Nach dem Film gehen die Zuschauer mit einem heimeligen Gefühl nach Hause, Nachwirkungen fast ausgeschlossen.

Schwieriger haben es italienische Produktionen, die das mediterrane Klischee von la dolce vita in der Mottenkiste ruhen lassen und den Blick auf das gegenwärtige Italien richten. Der Film „Licht meiner Augen“ von Regisseur Guiseppe Piccioni wirkt in seiner Bildsprache neben der poppigen Suppe von Soldinis „Agata und der Sturm“ wie pappiges Weißbrot, seine Protagonisten sehen im Vergleich zu den sinnlichen Darstellern aus Soldinis Film ermattet aus, und neben der mit Farbe unterspritzten Hafenstadt Genua ist die Kapitale Rom bei Piccioni ein grauer Planet, auf dem die Bewohner treiben, ziellosen Satelliten gleich, und sich beim Leben beobachten.

„Ich liebe es, von Personen zu erzählen, die im Schatten stehen“, erklärt Regisseur Piccioni bei einem Gespräch vor der Premiere seines Films in Frankfurt. Seine beiden Protagonisten, Maria und Antonio, leben in Rom. Er arbeitet als Chauffeur. Sie ist allein erziehende Mutter und betreibt ein schlecht gehendes Geschäft für Tiefkühlprodukte.

Die ersten Minuten des Film zeigen die Fahrten Antonios durch die Straßen der Stadt. Er passiert hell erleuchtete Geschäfte, Restaurants, Cafés; Menschen sitzen hinter Glas, allein, zu zweit in Gruppen. Sie schweigen, gestikulieren, streiten. Die Scheiben von Antonios Wagens sind die Augen seiner Welt. Er liest Science-Fiction-Hefte und kommt in seiner Phantasie von einem fernen Planeten „Er lebt in seiner eigenen Welt.. Als er Maria trifft, ist es, als hätte ihn das Licht getroffen. Für sie macht er sich die Hände schmutzig. Er kommt auf die Erde zurück und befreit sich von seinem Auto.“

Für Hauptdarsteller Luigi Lo Cascio ist Antonio ein „stiller Beobachter, dem die anderen sagen, wo es langgeht. Er ist ein Charakter, der reagiert, bis er zum Eigentümer seines eigenen Lebens wird.“ Maria und Antonio treffen sich eines Nachts durch Zufall, auf der Straße. Ein Blick – und die Liebe bricht aus. Aber nur bei Antonio. Und so, wie er vorher in endlosen Zirkeln in der Stadt umher fuhr, umkreist er jetzt Maria und ihre Tochter Lisa. „Er tut alles für sie, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Er ist ein Kavalier der alten Schule, eine anachronistische Gestalt.“

In „Licht meiner Augen“ kehren sich die Rollenverhältnisse um. Es ist der Mann, der um die zynische Schöne buhlt, die sich in ihrem Turm eingeschlossen hat. Und er, der vorher auf einem einsamen Planeten weilte, kehrt für sie in die Welt zurück.

Sandra Ceccarelli („Der schönste Tag in meinem Leben“) und Luigi Lo Cascio („100 Schritte“) bekamen für ihre Darstellung des spröden Paares bei der Premiere von „Licht meiner Augen“ 2001 auf dem Festival in Venedig den Preis für die beste Schauspielerin/den besten Schauspieler.

Italienische Filme im deutschen Kino sind rar, trotz der angekündigten kurzfristigen „Schwemme“, so dass sich ein Vergleich zweier Filmen, die zufällig den selben Starttermin haben, eigentlich verbieten müsste. Er sei erlaubt: Silvio Soldinis „Agata und der Sturm“ macht auf den ersten Blick glücklich, lässt einen beschwingt das Kino verlassen.

Guiseppe Piccionis Film „Licht meiner Augen“ – übrigens vom selben Kameramann – verschließt sich dem leichten Zugang. Er wird vielleicht erst, wie von der Rezensentin, beim zweiten Hinsehen geliebt. Dann aber so innig, wie im Fall des spröden Paares, das erst auf den zweiten Blick und nach langer Reise zum Liebespaar wird.

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