Hiroshi Sugimoto ist der große Piktorialist unter den Fotografen der
Gegenwart. Er nähert sich der Wirklichkeit nicht in dokumentarischer,
sondern stets in distanzierender Absicht. Er macht aus ihr mit dem Fotoapparat
ein Gemälde. Man sieht es, auf der Ebene des Oberflächlichen, in
einem Film, der in einem Seitenraum der Ausstellung läuft. Die Bilder,
im Atelier als monumentaler Abzug aufgehängt, werden im nachhinein mit
Pinsel und Farbe retuschiert. Was als Korn auf den Film gerät und auf
dem Bild ein schwarzer Fleck ist, weil sich kein Licht fing: muss weg. Wird
erst von Assistentinnen und Assistenten (früher hat er es selber getan)
weiß übermalt, dann durch genaueste Farbanpassung vom Pinsel ins
rechte Licht gesetzt. Sugimotos Idee von Perfektion geht über das, was
sich fotografisch zeigt, immer hinaus und zielt auf die Versiegelung einer
Leinwand. Alles ist Lack, alles ist Komposition, alles ist sorgfältigstes
Aufbewahren und penibles Festhalten diffundierenden Lichts. Die Fotografie
ist für Sugimoto vor allem Fixierbad und produziert im Prozess des Fixierens
etwas, das sich wesentlich von dem, was vor der Linse war, ablöst.
So hat Sugimoto berühmte Gebäude fotografiert, in zerstörerischer
Absicht. Die Fotografie zeigt, was bei der Distanzeinstellung auf doppelte
Unendlichkeit bleibt. Sie transformiert die Konkretion in etwas Unscharfes,
das aber noch oder gerade in dieser Unschärfe seine wahre Gestalt und
seine Unzerstörbarkeit zeigt. Das World Trade Center, ein Wohnhaus von
Le Corbusier, eine Fabrik von Walter Gropius: Sie überleben die Attacke
der Unendlichkeitsfotografie, indem sie in unscharfer Form werden, was sie
nicht sind. Anders gesagt: Sugimoto produziert und präpariert Leichen.
Er bewahrt seine Gegenstände auf für die Ewigkeit, aber als
Einbalsamierte. Zwischen bloßer Verdopplung und abgründig-paradoxer
Mise-en-abime gerät in seinen Geniestreichen die Struktur der
Repräsentation in ein unauflösbares Kreiseln: so in den Fotografien
von Naturgeschichts-Dioramen; den Bildern von Wachsfiguren. Indem Sugimoto
das Einbalsamierte durch seine Fotografie ein weiteres Mal balsamiert, gewinnt
es eine tote Lebendigkeit, die es so nur bei Sugimoto erlangen kann.
Die Wahrheit über die Fotografie und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit
ist das gerade nicht. Sugimoto stellt, was sein Recht ist, in diesen Serien
die Fotografie auf den Kopf. Sie hält bei ihm nicht das Vergangene als
Vergängliches fest. Vielmehr löst er mit der Liebe des Einbalsamierers
zur Leiche den Gegenstand aus dem Leben und bahrt ihn in seidenummantelten
Särgen. Die Seide fürs Auge ist die subtil nuancierte Schwarz-
und Weiß- und Grautondiffusion. Wir stehen dann vor dem Abzug wie vor
dem Sarg und sagen: ganz wie im Leben. Nur setzt der Verlebendigungseffekt
diese Ablösung, Absonderung und das Hineinpacken in die Seidenschatulle
voraus. Schimmernde Seide. Hochfeine Pinsel. Großartig anzusehender
Tod.
Und doch. Sugimotos Bildern ist qua Medium möglich, was der Malerei
im Leben nicht möglich wäre. Sie zehren in letzter Instanz von
der Fotografie, die sie fliehen. Es bleibt, noch in der Meer-Horizont-Serie
zur Malerei der Minimalabstand eines Bezugs zum Realen, eines Bezeugens von
Dagewesenem. Es west ein Rest Leben noch in der balsamierten Lebendigkeit,
sonst wären Sugimotos Fotografien schlicht: tot. Er kriegt sie aber
nicht tot, das ist mein Eindruck. Etwas in ihnen verbündet sich mit
dem Medium gegen das, was Sugimoto mit ihm anstellt.
Der Lebensfunke der Fotografie ist begrifflich und auf dem Abzug jedoch schwer
entbergbar. Sugimoto leistet, so weit es ihm möglich ist, ganze Arbeit.
Es könnte ja scheinen, als hätte Sugimoto mit seinen
Langzeitfilmbildbelichtungen noch das Kino gekillt, alles, was Filmbild ist
(Kontur, Bewegung, montierte Lichtdifferenz) ausradiert und wegretuschiert.
Oder: Indem er das fotografische Bild auf die Ankunft der Gemäldehaftigkeit
wie auf eine transzendente Wahrheit warten lässt, bringt er beide gegen
das Kino in Stellung. Die Oberfläche der Leinwand versiegelt sich und
das Produkt dieser Dauerversieglung versiegelt Sugimoto ein weiteres Mal.
Und noch mal: Und doch. Man (ich) kann (will) nicht anders als sich
(mir) das Störende, das Dazwischenfunkende, das Körnchen des Realen
oder ein reales Körnchen immer dazuzudenken. Die Perfektion muss doch
täuschen. Das Gemälde ist Trick. Was man bei Sugimoto sieht, sind
durch noch soviel Kunst nicht restlos totzukriegende Leichen. Das sieht man
nicht, aber man kann es wissen. Es ist den Bildern nicht eingeschrieben,
es ist nur der mediale Rest. Wer an die Fotografie glaubt, wird hoffen
dürfen, dass sie noch die piktorialistische Verachtung, die Sugimoto
ihr auf so überwältigende Weise entgegenbringt,
überlebt.
Bilder:
oben: Polar Bear, 1976
Silbergelatineabzug/ Gelatin silver print
119,4 x 149,2cm
Privatsammlung/ Private collection
© Hiroshi Sugimoto, 2008
unten: Ohio Theatre, Ohio 1980
Silbergelatineabzug/ Gelatin silver print
119,4 x 149,2cm
Privatsammlung/ Private collection
© Hiroshi Sugimoto, 2008
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