Vorbemerkung: Dies ist die schriftliche Fassung eines Vortrags,
den ich im Frühjahr 2004 auf der Tagung "Infame Bilder" im Filmmuseum
Wien gehalten habe. Ich habe das Skript im ursprünglichen Zustand belassen
- daher auch die Verweise aufs hier ausbleibende Einspiel von Ausschnitten.
"Man braucht keine Science-Fiction" schreibt Gilles Deleuze, "um sich einen
Kontrollmechanismus vorzustellen, der in jedem Moment die Position eines
Elements in einem offenen Milieu angibt, Tier in einem Reservat, Mensch in
einem Unternehmen (elektronisches Halsband). Felix Guattari malte sich eine
Stadt aus, in der jeder seine Wohnung, seine Strasse, sein Viertel dank seiner
elektronischen (dividuellen) Karte verlassen kann, durch die diese oder jene
Schranke sich oeffnet; aber die Karte koennte auch an einem bestimmten Tag
oder fuer bestimmte Stunden ungueltig sein; was zaehlt, ist nicht die Barriere,
sondern der Computer, der die - erlaubte oder unerlaubte - Position jedes
einzelnen erfasst und eine universelle Modulation durchfuehrt."
Deleuze kannte das Handy noch nicht und nicht Reality-TV, nicht das
Echelon-Projekt der NSA, nicht das World Wide Web und nicht das heutige
Ausmaß der Video-Überwachung in neu erfundenen
privat-öffentlichen Räumen (Stichwort: Malls) und auch schon auf
öffentlichen Plätzen (Stichwort: England). Liest man heute sein
"Postscriptum über die Kontrollgesellschaft" aus dem Jahr 1990, dann
ist klar: das ist keine Science Fiction, das ist noch nicht einmal Theorie,
sondern in weiten Teilen hellsichtiger Blick auf eine damals zukünftige,
heute gegenwärtige, morgen allgegenwärtige Praxis.
Auffällig ist, dass Deleuze hier nicht von Bildern spricht. Daran
hängt eine sehr grundsätzliche Frage. Danach nämlich, ob wir
nicht so sehr vom Visuellen fasziniert und so sehr auf eine überholte,
auf Sichtbarkeit und "Ins-Bild-geraten" fixierte Unterscheidung von privat
und öffentlich fokussiert sind, dass wir übersehen habe, wie
sekundär längst "Bilder" geworden sind. Die Überwachungsbilder
haben, wo sie aus ihrer Latenz der Daueraufzeichnung gerissen werden, den
Vorzug der Sichtbarkeit und damit auch der Thematisierbarkeit von Kontrolle
per Evidenz. Wie sehr aber jene Reibungslosigkeit der Kontrolle längst
bildlos und auch überwachungslos (in dem Sinne, dass Subjekte nur noch
selten zuschauen) geworden ist, droht dabei ausgeblendet zu werden. Das
Grundprinzip der Kontrollgesellschaft ist nicht die Angst vor Überwachung
(Stichwort: Panoptikon), sondern der Wunsch nach Teilhabe, und zwar, mit
Luhmann zu sprechen, der Teilhabe an den Teilsystemen der Gesellschaft,
über Zahlungen, Konsum und Erfolg, Aufstieg und Unterhaltung, Gespräch
und Aufmerksamkeit. Es geht also um die Umstellung von einer Drohung auf
ein Versprechen, von der Drohung, ausgenutzt und eingeschlossen zu werden,
zum Versprechen, dabei zu sein. Eine Umstellung auch, von der Peitsche zum
Zuckerbrot, oder präziser gesagt: wir haben gelernt, die Peitsche als
Zuckerbrot zu betrachten.
Mein Verdacht - und mein Vorbehalt - wäre , dass auch die ganz auf
Visualisierung und Kamera-Überwachung abstellenden Reality-TV-Formate
in erster Linie Versuche sind, eine Metapher zu finden für die Umstellung
dieses Grundprinzips der Gesellschaft. Die immer wieder verblüffende
Umkehrung von dispziplinar- zu kontrollgesellschaftlichen, von traditional
kapitalistischen zu neoliberalen Verhältnissen liegt ja gerade im Moment
zur Schau gestellter Freiwilligkeit der Teilnahme und der Akzeptanz von
Überwachung und Datenweitergabe. "Big Brother" in seiner ironischen
Fernseh-Version, könnte man dann sagen, inszeniert die Kontrollgesellschaft
emblematisch als eine freiwilliger und selbstbewusster Teilhabe an Beobachtungs-
und Kontrollszenarien. Die Kamera, die niemals ausgeschaltet wird, ist dann
in radikaler Weise nichts als eine Metapher, die einleuchtet nicht so sehr
deshalb, weil sie realistische Verhältnisse abbildet, sondern weil sie
semantisch so vertraut ist als Bild auf Dauer gestellter Abwesenheit von
Privatheit.
***
Wenn ich nun über zwei Filme sprechen werde, in denen es beim Versuch
der Beschreibung, der Darstellung immerzu um Bilder geht,
Überwachungsbilder, dann bin ich natürlich erst recht geneigt,
das in erster Linie als hollywoodtypische Rücksicht auf Darstellbarkeiten
zu betrachten. Beide Filme - und viele mehr - sind fasziniert vom Monitor
als Emblem der Sichtbar- und der Zeigbarkeit. Bild-Metaphern für etwas,
das in Bilder gar nicht mehr zu fassen ist. Der Monitor wäre also die
- bloße - Metapher im allegorischen Szenario Hollywood-Film. Eine Menge
Vermittlung, aber wahrscheinlich geht es nicht mehr ohne sie - und ich glaube
nicht einmal, dass man über diese Vermittlungen einen weniger genauen
Zugriff auf Gegenwartsphänomene hat als, beispielsweise, durch die Empirie
etwa Castellsscher Art.
Die beiden Hollywood-Filme, die solche metaphorisch-allegorischen Visionen
der Kontrollgesellschaft entwerfen, sind "The Truman Show", Regie Peter Weir,
Drehbuch Andrew Niccol, aus dem Jahr 1998 und "Staatsfeind Nr. 1" (Enemy
of the State), Regie Tony Scott, Buch David Marconi, Produktion Jerry Bruckheimer
aus dem Jahr 1999. Beide Filme sind - wie die meisten Hollywood-Filme ihrer
Art - Allegorien und wollen somit gelesen werden über das, was sie zeigen,
hinaus. Beide Filme verstehen sich - und das heißt: nicht nur ich verstehe
sie - als allegorische Repräsentationen von Gesellschaft. Nicht nur
die Bilder, die sie geben von Vorgängen, deren Effektivität
womöglich darin liegt, dass sie längst bildlos funktionieren, sondern
auch, wie gehabt, ihre narrativen Züge, ihre Personalisierungen etc.
sind dabei, wie es bei Allegorien (und damit bei den meisten Hollywood-Filmen)
grundsätzlich der Fall ist, konventionalisierten Rücksichten auf
Darstellbarkeit verdankt.
Meine These ist nun, sehr schematisch gesagt, dass die "Truman Show" sich
genau an der Schnittstelle zwischen einer Allegorie der Disziplinar- und
der Kontrollgesellschaft befindet. Das Leben des Truman Burbank in "Seahaven"
ist ein großes Einschließungsszenario, eine totalitäre
Überwachungssituation, die ein ahnungsloses Indivdiduum unter
unausdrücklichem Zwang gefangen hält. Bildpolitisch bleibt durch
diese Vorentscheidung die Unterscheidbarkeit von legitimen und "infamen"
Bildern unterstellt. "Staatsfeind Nr. 1" dagegen spielt das Szenario der
"Kontrollgesellschaft" bildpolitisch in einiger Radikalität, mit
erfreulichem Sinn für seine Ironien und mit einem ironischen Sinn für
mögliche Subversionsstrategien durch.
Bevor ich im einzelnen auf die beiden Filme eingehe, ein kurzer Exkurs über
Disziplinar- und Kontrollgesellschaft. Gilles Deleuze hat in seinem kurzen
Text "Postscriptum über die Kontrollgesellschaft" aus dem Jahr 1990
dem Foucaultschen Entwurf der "Disziplinargesellschaft" den der
"Kontrollgesellschaft" gegenübergestellt. In der Disziplinargesellschaft,
die sich, so Foucault, im 18. und 19. Jahrhundert herausgebildet hat, wird
der einzelne in voneinander abgrenzbaren und zueinander nur analogischen
Einschließungsmilieus (Familie, Schule, Militär, emblematisch:
Gefängnis) individualisiert. Die "Kontrollgesellschaft" funkioniert
sehr viel fluider, dividuell, wie Deleuze sagt, man könnte auch sagen:
sie funktioniert sehr viel deleuzianischer, in fortwährender,
unabschließbarer Um- und Weiterbildung.
Das Individuum wird dividuell verrechenbar in einem homogenisierten Gesamtmilieu
seiner Brauchbarkeiten. Deleuze wählt als Emblem der Kontrollgesellschaft
das "Unternehmen" (gegen die disziplinargesellschaftliche Fabrik), aber er
schreibt auch: "Die idiotischen Spiele im Fernsehen sind nicht zuletzt deshalb
so erfolgreich, weil sie die Unternehmenssituation adaequat zum Ausdruck
bringen." Der systemtheoretische Soziologe Carsten Zorn hat das in einem
taz-Artikel in der letzten Woche noch einmal zugespitzt: "Den Reality-Formaten
aber könnte für die laufende Veränderung am Ende eine ebenso
bedeutsame Rolle zukommen, wie das Gefängnis sie nach Foucaults Analysen
einmal für die Herausbildung der Disziplinargesellschaft spielte. Nur,
dass die neuen Versuchslabore ihre Teilnehmer eben mit öffentlicher
Aufmerksamkeit locken, während die sozialen Experimente im Laboratorium
der Disziplinargesellschaft noch allein unter Anwendung von Zwang möglich
waren."
***
1. Die Truman Show
Erzählt wird in der "Truman Show" - ich fasse das äußerst
knapp zusammen - die Geschichte Truman Burbanks, der noch vor seiner Geburt
in eine Reality-Show gesteckt wird und in einer künstlichen Welt namens
"Seahaven" heranwächst, einem Fernsehstudio, in dem eine falsche Sonne
scheint, über das sich ein falscher Himmel wölbt und das von
Schauspielern bevölkert, mit miniaturisierten Fernsehkamers durchsetzt
ist. Hier der Werbejingle aus dem Film, der das Leben Truman Burbanks in
Seahaven dem Zuschauer vor Augen führt:
Einspielung: "Der Werbespot"
Die "Truman Show", würde ich sagen, ist nun die disziplinargesellschaftliche
Version eines Reality-Formats, und damit widersprüchlich und verlogen
zugleich. Der Film will und kann sich nicht aus den disziplinargesellschaftlichen
Differenzierungsmustern lösen, die noch und gerade da, wo Beschreibungen
formuliert werden sollen, am alteuropäischen Paradigma "Kritik"
partizipieren, das einen Standort außerhalb der Disziplinierungen
impliziert. Die "Truman Show" leistet damit weniger einen Beitrag zur Erhellung
kontrollgesellschaftlicher Sachverhalte, sondern vor allem zur Symptomatologie
eines disziplinargesellschaftlichen Bewusstseins, das auf
kontrollgesellschaftliche Sachverhalte nur ideologiekritisch reagieren kann.
Sie ist damit als Syndrom ein Vorläufer fast all der
Unterkomplexitäten, die bald darauf die Diskussionen um Big Brother
bestimmen sollten.
"Nothing in this world is fake", sagt Christofer, der Erfinder dieser Welt,
"it is merely controlled". Eine allegorische Einschließung unter
Kontrollbedingungen. Das aber wird zu keinem Zeitpunkt die Wahrheit des Films
sein. Mit dem einen Zug von Trumans unfreiwilligem Aufenthalt kippt der Film
stets wieder zurück in die Semantik von Wahrheit und Lüge. Truman
lebt, und schon sein Name sagt es, als einziger ein richtiges Leben im falschen,
die ganze Welt sieht zu. Der Zuschauer des Films "Die Truman Show" lernt,
nach und nach, was die Zuschauer der "Truman Show" im Film längst wissen
und was Truman Burbank sehr viel langsamer und schmerzhafter auch lernen
wird: Es ist alles Lüge. Zur Lüge gehört derjenige, der sie
fabuliert. Und zur Lüge gehört die Wahrheit. Die "Truman Show"
entwirft mit der Unterscheidbarkeit all dieser Unterschiede ein im Grunde
übersichtliches Szenario: Christof hat Trumans Welt als Lüge erfunden.
Truman, um den Unterschied zu den Reality-Shows und zu unserem Leben in der
Kontrollgesellschaft noch einmal so platt wie möglich zu formulieren:
Truman ist nicht freiwillig hier. Es gibt einen Erkenntnisprozess und einen
Ausgang aus der durch Priesterbetrug verschuldeten Unmündigkeit. Auf
dieser Ebene ist die "Truman Show" durch und durch aufklärerisch und
damit alteuropäisch. Die Flucht aus der falschen ist als Utopie einer
wahren Welt möglich. Dies wird mit dem Mythos des Geschöpfes
verschaltet, das sich gegen seinen Schöpfer auflehnt.
Allerdings führt der Film "Die Truman Show" drei Welten vor und impliziert
damit einige Zusatzthesen zur Überwachung. So gibt es nicht nur Christof,
den Manipulator, sondern auch die Zuschauer, die von der kontrollierten und
inszenierten Lüge manipuliert sind. Sie erscheinen durchweg angeschlossen
an den Monitor, der die Verbindung zur Truman-Welt herstellt, den Fernseher
- und zwar an den privatesten Orten: der Mann in der Badewanne ist das schlagende
Bild. Die Truman-Welt kennt also eine Erstreckung, die Fortsetzung der
Manipulation ist. Christofs Funktion des Manipulators ist die einer Kopplung
der Aufnahmebilder an die Empfangsbilder. Die Regiezentrale ist dabei dem
NASA-Kontrollraum nachempfunden und emblematisiert zum Schneide- als
Sichtungsraum. Die Kopplung ist denkbar eng, aber die Trennung bleibt scharf:
stets ist ein Monitor zwischengeschaltet, noch im Gespräch zwischen
Christof und seinem Geschöpf Truman. Christof streichelt den Monitor,
auf dem Truman zu sehen ist. Die Kette ist also geschlossen - und noch im
Abschalten der Bilder durch den Sender: denn die Zuschauer sind entsetzt
- zu einem Kreislauf der infamen Bilder. Der Dauerüberwachung korrespondiert
eine lustvolle Dauerbeobachtung. Dabei denunziert, das ist dann immer wieder
die verlogene Seite, die "Truman Show" die Lust an den Bildern, die sie selbst
hervorruft - ohne ihnen doch etwas anderes, eine andere, eine authentische
Welt noch entgegenhalten zu können.
Genauer gesagt: Es gibt sehr wohl auch auf der Außenseite eine
Erlösungsgeschichte - die mit der Trumans allerdings über das
unrealistischste aller Hollywood-Kerngenres, die Romantic Comedy, korreliert
wird. N., die Frau, die im falschen Leben drinnen Truman die Wahrheit sagen
wollte, weil sie ihn wahrhaft liebte, kämpft im richtigen Leben
draußen, in das sie strafexpediert worden ist, für Trumans Befreiung.
Der utopische Ausbruch Trumans aus der Überwachung, die Flucht vor dem
Bild, die ein letztes grandioses Bild ergibt, ist somit doppelt mythisch
konnotiert: das Subjekt überwindet die Täuschungswelt und flieht
in die Liebe, die Wahrheit ist.
2. Staatsfeind Nummer Eins
Derartige Naivitäten leistet sich der andere Film, über den ich
sprechen will, nicht. Er stammt aus der Action-Fabrik des Produzenten Jerry
Bruckheimer, die selbst - ich nehme den Begriff der Action-Fabrik gleich
wieder zurück - im Deleuzeschen Sinne ein Unternehmen ist, das
erklärtermaßen den Eigensinn ihres Eigensinns wegen ausgesuchter
Regisseure und Darsteller zur Produktverbesserung nutzbar macht. Hier wird
das vielleicht am ehesten sichtbar am Auftritt Gene Hackmans, durch den sehr
klug Francis Ford Coppolas Referenzfilm "The Conversation" schon mit der
Titelsequenz ins Spiel gebracht wird (Hackman tritt dann erst spät im
Film auf).
Hier der Vorspann, der sämtliche visuellen Überwachungsmotive schon
einmal in geradezu enzyklopädischer Gründlichkeit vorführt
- und dabei auf sämtliche Klischees und Muster des Überwachungsbildes
zurückgreift, von der Videoaufzeichnung im geschlossenen Raum bis zum
Satellitenbild und seinen fixierenden Rasterungen.
Einspiel: Vorspann
Das Satellitenbild ist das visuelle Zentralemblem von "Enemy of the State".
Seinen Blick eignet der Film sich immer wieder an - und er bringt, darüber
hinaus, den Satelliten selbst unablässig ins Bild. Der Film beobachtet
noch den nicht mehr personalen Beobachter, er ist das Experiment eines
gänzlich durchsichtigen Films über die Gefahr totaler Durchsichtigkeit.
Durchsichtigkeit ist hier Metapher genauso wie das Satellitenbild. Als es
nämlich an die Zerstörung der Existenz des von Will Smith gespielten
Helden geht, wechselt die geheimdienstliche Überwachungsmacht sofort
ins (man könnte mit Deleuze sagen: tendenziell kafkaeske) Register der
unsichtbaren Datenströme: Bankkonten werden gesperrt, Kreditkarten
blockiert, Auskünfte verweigert. (Das ist noch sehr viel schöner
in Roger Michells brillanter Gesellschaftsanalyse "Changing Lanes", "Spurwechsel"
aus dem Jahr 2002 zu beobachten.) Existenzvernichtung ist Ausschluss aus
dem Datenstrom, Verweigerung gesellschaftlicher Inklusion, Reduktion auf
ein nacktes Leben, das dann, als diese Maßnahmen nicht recht greifen
wollen, auch physisch vernichtet werden soll. Das ist dann wieder Alteuropa:
hier wird, mit Hilfe der Überwachungsbilder, die so zu Verfolgungsbildern
werden, nach dem Leben getrachtet.
Ein ums andere Mal wird der Satellit dabei zum (archimedischen)
Beobachtungspunkt, dem nicht zu entgehen ist, an dem die Fäden der
Vernetzung, Bild- wie Symbolstränge, in diesem Film zusammenlaufen.
Der Satellit und die Bilder, die er gibt, die dem Zuschauer gegeben werden,
von den Satellitenbildern wie dem Satelliten, sagen - gänzlich anders
als die Bilder der "Truman Show" - mit allem Nachdruck nur das eine: Es gibt
kein Entkommen aus der Kontrollgesellschaft. Totale Überwachung,
Dauerproduktion infamer Bilder ist die Metapher dafür, nicht schon die
Wahrheit selbst. "Das Empire hat kein Rom", denn sein Rom ist überall:
Nichts anderes sagt der Überwachungssatellit. Es gibt kein Jenseits
mehr, kein Dahinter, keine Utopie, keinen Ausbruch, vielleicht noch den einen
oder anderen temporären Schlupfwinkel (aber den sichersten Schlupfwinkel
muss dann Gene Hackman, wegen eines Telefonanrufs am falschen Ort, zur falschen
Zeit, selbst in die Luft sprengen. Allerdings gilt: Es gibt nur noch falsche
Orte, falsche Zeiten für Telefonanrufe.) Hier der Moment vor der
Selbstdestruktion, an dem Gene Hackman den Status Quo der Überwachung
erläutert. Inszeniert ist das ganze, Hollywood kommt, zum Glück,
ohne Mythen nicht aus, als Luzifer- Geschichte: Hackman ist der von der
Institution hervorgebrachte, ihre Mittel gegen sie wendende Abtrünnling.
Einspiel: Hackman erklärt.
Es gibt keine Utopie, keine andere Welt. Was bleibt ist die Subversion, oder
auf die präzise rhetorische Figur gebracht: die ironische Verwendung
der Mittel. Mit Gene Hackmans Hilfe schreitet Will Smith zur
Gegenüberwachung, zum Gegenangriff auf die Datenströme, zum Einsatz
des Gegenbildes. Das ist der wohl genialste Zug des Drehbuchs: Der McGuffin,
der den Thriller möglich macht, ist selbst schon ein Überwachungsbild,
ein Zufallsprodukt der vermeintlich harmlosen Dauerüberwachung. Statt
friedlicher Enten ist ein Mord zu sehen. Und ein zweites Überwachungsband
kommt ins Spiel, Bilder, die einem Mafia-Boss zwanzig Lebensjahre wert sind.
Im Finale werden diese Bilder und Bänder raffiniert gegeneinander und
gegen die totale Überwachungsmacht ausgespielt, die, könnte man
sagen, temporär verwirrt ist, mehr nicht. Eine Bilderverwirrung, eine
Datenverschiebung. Nichts ändert sich an der Totalität der
kontrollgesellschaftlichen Zugriffsmöglichkeiten. Rettung ist möglich
nur für den Moment, durch ironische Umverwendung der Mittel der anderen
Seite. Mit Ironie, viel mehr zeigt das Happy End von "Enemy of the State"
nicht und viel mehr verspricht es nicht, können Systeme nicht umgehen.
Eine andere als diese Hoffnung lässt diese Geschichte nicht - oder doch
nur im finalen Scherz, mit dem ich auch enden will. Gene Hackman, dessen
Beine Sie gleich sehen werden, scheint der Ausbruch aus der Gesellschaft
gelungen, durch freiwillige Selbstexklusion, den Rückzug auf die Insel.
Die Bilder aber, das ist der Ernst dieses Scherzes, sind schon da: und wer
würde glauben wollen, dass sie sich vom Renegaten noch kontrollieren
lassen. Das letzte Bild nämlich zeigt, wen wundert es, den Satelliten.
Ende des Films, die Übertragung geht weiter.
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