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Ich würd das mal auf den Begriff Obsession bringen. Liebe in Filmen von Oskar Roehler und Tom Tykwer

Von Ekkehard Knörer

 

Vorbemerkung: Dieser Text ist zuerst in der Zeitschrift Texte zur Kunst, Heft 52 (2003) mit dem Heftthema "Liebe" erschienen.

Wer die Hollywood-Romcoms und deutschen Bezieungskomödien der 90er Jahre kennt, wird sich über die jüngsten Ergebnisse soziologischer Forschung nicht wundern. So sieht Eva Illouz in ihrer soeben in deutscher Sprache veröffentlichten Studie Der Konsum der Romantik die romantische Liebe mit den Konsumversprechungen des Marktes unlösbar verquickt - und zwar aufs glücklichste. Alles Sehnen und Begehren, das nicht nur Lacan als komplexen Vorgang notwendiger Verkennungen beschrieben hat, findet den Ort seiner Erfüllbarkeit, wie Illouz zeigt, längst in jenen Formen der Überschreitung des Alltäglichen, die Luxus heißen. Die feinen Unterschiede auf Romantik verrechneter Produktdifferenzen, die den Sinn fürs Zweisame über Preis und Markenimage regulieren, treffen auf geschmackskritisch getunte und erst damit im Medium romantischer Liebe moderner und postmoderner Prägung operierende Konsumenten. Mit diesem beziehungskomödiantisch wohl dokumentierten Stand der Dinge haben die zwei in den letzten Jahren wohl meist ausgezeichneten deutschen Filmemacher, Oskar Roehler und Tom Tykwer, nichts mehr im Sinn - obwohl oder gerade weil die meisten ihrer Filme um die Themen Liebe und Beziehung kreisen. Der Bezug zum kapitalistischen Paradigma romantischer Liebe besteht in seiner Zurückweisung, denn den beiden geht es recht präzise gerade um die Unter- bzw. Überschreitung des von Illouz als Bedingung der Möglichkeit des Romantischen markierten semiotischen und sozialen Horizonts.

Julia zu Romeo: Ich liebe dich. Der Shakespeare-Rest der Liebenden unterm Unstern. Damit aber hat sich’s auch mit dem Verweis auf klassische ausformulierte Liebes-Semantiken, in Roehlers Silvester Countdown (1997). Der Countdown zum Ende einer Beziehung beginnt mit der Vertreibung aus dem Paradies, einer großen, leeren Wohnung in Berlin – im Grunde aber gänzlich ortlos - und Romeo und Julia sind glücklich, denn sie haben Sex ohne Ende. Perücken, Rollenspiele, Verkleidungen: all das soll auf nichts hinaus als nur das eine. Shut up and sleep with me, der Song dazu, das ist das perfekte Glück, Sex ohne Sprache, ohne Bewusstsein, ohne Reflexion. Die Vertreibung beginnt mit der Urlaubsfahrt nach Polen, Julia träumt von schönen Aussichten, Romeo hat die Brille vergessen, aber mehr als Sex will er ohnehin nicht. So ist, in Polen, bald alles zum Teufel und es fliegen einem die Fetzen und Fragmente der überkommenen Sprache der Liebe um die Ohren. Romeo: „Biste frigide oder was?“ Oder: „Ich hab auch keine Lust mehr, meinen Schwanz in dein ausgeleiertes Loch zu stecken“. Julia: „Ich dachte, wir hätten 'ne Basis.“ Schon im durch konsequente Vulgarisierung zur Strecke gebrachten Beziehungskomödien-Vokabular lauert die Überforderung durch Zivilisation. Während Julia Perfektion erhofft und Eifersuchtsspiele mit Romeo treibt, vergeht dem bei allem Denken und Erwarten als der über Sex hinausgehenden Konfrontation mit der Frau die Lust. Von der Welt, für die hier in kurioser Weise Polen steht, der Osten, die Fremde des Urlaubs mit einem anderen Pärchen, bleibt dann nur Langeweile. Oder der Besuch in der Striptease-Show. Doch Julia, die sich unterm Blick eines andern auszieht, lässt Romeo kalt. Es führt kein Schritt vom Sex zum Sozialen, das Liebe wäre und von der Liebe zum Sex, der nur im Rückzug in leere, von allem sozialen Gebrauch gereinigte Wohnungen, Bordelle und Hotelzimmer stattfinden oder erträumt werden kann. Diese Leere ist durchaus emblematisch für Roehlers Zeichenwelten, denn was man sieht, bedeutet bei ihm niemals mehr oder anderes als genau das Offensichtlichste. Darin liegt jedoch genau die Triftigkeit von Roehlers narzisstischen Konstellierungen: der Zusammenhang von Selbst- und Frauenhass bleibt stets durchsichtig, weil die so schonungs- wie kunstlose Direktheit konsequent jedweder Sublimierung vorgezogen wird. In Suck My Dick erwacht der Held mit Namen Mr. Jekyll und sein riesengroßer Schwanz ist weg. Am Ende von Silvester Countdown steht Romeo nackt vor dem Spiegel in der großen, leeren Wohnung, Julia hat ihn verlassen, er holt sich einen runter.

Zuvor übrigens sitzt auf dem Rückweg von der verunglückten Reise in den Osten Christoph Schlingensief im Zugabteil, als Pole, und sagt kein Wort. Im Interview dagegen reproduziert er emphatisch Roehlers Reproduktionen des Klischees vom romantischen als leidenden Künstler: „Selbst wenn der Oskar Liebesfilme dreht, kommt Mord und Totschlag raus. Der Oskar ist ein Regisseur, der seine Filme aus der tiefsten Tiefe seiner selbst hervorholt, weil der gar nicht anders kann. Er artikuliert die Dinge, die ihn treiben, die an die Oberfläche müssen. All diesen Schmerz, der dahinter steckt, all diese Erfahrung, ich würd das mal auf den Begriff Obsession bringen.“ii Roehlers semiotisches Verfahren, als eines der Produktion offensichtlicher Zeichen, korrespondiert exakt seiner Unterschreitung der von Illouz markierten kapitalistischen Romantik ins Asoziale. Was Roehlers Männer von den Frauen fordern, ist, konsequenterweise, Eindeutigkeit. Als Hure halten sie seine Lust am Leben, an der Heiligen, als die er sie imaginiert, kollabiert das Begehren. Es wird für ihn, katastrophales double bind, jedoch nur dann – das zeigt Der alte Affe Angst (2003) - von Liebe die Rede sein können.

Tom Tykwers Heldinnen dagegen sind Heilige, die die meist schwachen Helden erlösen. So erzählt Lola rennt (1995) von nichts anderem als einer Wette auf die Macht der Liebe. Es geht ums Geld, gewiss, 100.000 Mark, das Unmögliche, das Liebe leisten soll, ist bezifferbar und Lola rennt. Sie rennt und bezwingt Fortuna mit einem ins Casino verschobenen orgasmischen Schrei, sie erlöst Manni, der sich dann allerdings zufällig schon selbst erlöst hat. Das Geld aber ist Markierung nur einer Dringlichkeit, die eben eine Wette auf die Liebe ist, die alles vermag. Auch Bodo rennt, in Der Krieger und die Kaiserin (2000), und rettet Sissy, die unterm Auto liegt. Schwer erlösungsbedürftig sind beide und von den alltäglichsten Distinktionen der sozialen Umwelt ganz unbeleckt. Sie hat ihr Leben als Pflegerin in der Irrenanstalt verbracht, er ist durch den Tod seiner Frau traumatisiert. Bodo rettet Sissy per Schnitt in die Luftröhre, danach schreitet Sissy, somnambul und im Regenmantel, zur Gegenerlösung. Ich hab geträumt, sagt sie ihm: „Wir waren Bruder und Schwester, Mutter und Vater, Frau und Mann. Wir beide waren beides.“ Liebe als unio mystica, händchenhaltend springen die beiden in die Tiefe, mitten hinein in Bilder eines Glücks unter Wasser. So sehen sonst die Enden von Tykwers Filmen aus: das Paar fällt aus der Welt, errettet. Tatsächlich arbeiten Tykwers Filme nicht weniger als die Roehlers an der Auflösung sämtlicher als sozial markierter Innen-Außen-Differenzen, aber am anderen Ende des Spektrums, in Richtung Transzendenz, in Richtung einer verwunschenen Weltlosigkeit, die eher jenseits als diesseits der Sprache und einer als sozial reformulierbaren Beziehung läge. Das Präsoziale und das Postsoziale von beider Konstruktionen unmöglicher Liebe lassen genau jene semiotische und soziale Lücke, in die der kapitalistische Konsum der Romantik fiele und in der in den 90ern so beliebten deutschen Beziehungskomödie auch fällt. Was bei Roehler „Sex“ heißt und in seiner Absolutheit mit einer Welt aus Alltagszeichen nicht versöhnbar scheint, ist für Tykwer die Liebe als „Numinosum“iii. Am Ende trennt sich in Der Krieger und die Kaiserin Bodo als Jekyll von seinem traumatisierten Hyde und wird ein neuer Mensch. Der alte Adam steigt aus dem Auto und in den Bus, den Joachim Król übern Feldweg ins Jenseits chauffiert. Sissy und Bodo aber machen sich auf ans meerumtoste Ende der Welt.

In den jüngsten Filmen finden sich die Konstellationen des bisherigen Werks noch einmal klarer ausformuliert als zuvor. In Der alte Affe Angst (2003) von Roehler sind Sex und Liebe nun kategorisch geschieden: Robert, der Regisseur, liebt Marie, seine Freundin als Frau im Register der „Heiligen“ mit der Verzweiflung des Mannes, der sie nicht mehr begehrt. Sex hat er, ganz buchstäblich, mit einer Prostituierten, an seinem Schwanz klebt ihr Blut bei der Konfrontation mit Marie in der großen, leeren Roehler-Wohnung, die nun, ohne Sex, nicht länger das Paradies sein kann. Und doch soll die Rückkehr möglich sein, zur Liebe, falls Roehler ernst meint, was er als Happy End inszeniert. Robert holt Marie aus der Irrenanstalt, sie umarmen sich im – wiederum: gesellschaftsfreien – hortus conclusus, die Kamera kreiselt um die beiden, sie tollen durchs Gras, sie flicht ihm Gänseblümchen ins Haar. Tykwer hat für Heaven (2002) ein nachgelassenes Drehbuch des Katholiken Krysztof Kieslowski verfilmt, und er wusste warum. Wieder ein Trauma, eine Terroristin lädt sich den Tod Unschuldiger aufs Gewissen, befreit wird sie vom unscheinbaren, aus seinem Alltag zu erlösenden Übersetzer. Durch einen Tunnel hindurch gelangen die beiden zur spirituellen Wiedergeburt durch Liebe. Als Schattenriss unterm Paradiesesbaum inszeniert Tykwer die geschlechtliche Vereinigung der nun nur noch eines folgen kann: die Himmelfahrt per Helikopter, die Kamera in Demutshaltung nach oben. Die romantische Liebe als numinose kann ihren eigentlichen Ort nur im Jenseits haben, als letzte, welt- und gesellschaftslose Überschreitung. Mit den Bildern vom Paradies wie von der Himmelfahrt fällt Tykwer freilich endgültig ins Klischee-Repertoire christlicher Imagination zurück. Im Schlussbild, das den Entzug des Bildes als utopisches Ende inszeniert, findet sich das noch einmal radikalisiert. Statt Konsum der Romantik der Rückgriff auf eine Theologie, die der Liebe auf Erden keinen Ort mehr findet und sich von ihr kein Bild mehr machen kann: fürs Kino – und nicht nur fürs Kino - allemal eine prekäre Option.

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