Nimmt man Kim Ki-duks Film "Bad Guy auf der schlichten Plot-Ebene,
wird allein die Erzählung jede aufrechte Feministin - zu Recht - auf
die Palme treiben. Han-ki, ein kleiner Gangster und Zuhälter, begegnet
auf der Straße der jungen Kunst-Studentin Son-hwa. Als er sie mit Blicken
bedrängt, wendet sie sich angeekelt ab. Er rächt sich durch einen
langen, brutalen Kuss; als ihn die herbeigeeilte Polizei von Son-hwa losgezerrt
hat, spuckt sie ihm ins Gesicht. Um Rache zu nehmen zwingt Han-ki die Studentin
(mit einer hinterhältigen Intrige, die der Film nur andeutet) in die
Prostitution. Das Bordellzimmer hat einen Spiegel, durch den er sie beobachtet,
nach und nach wird Son-hwa gefügiger, es entwickelt sich eine, wenngleich
seltsame Liebe zwischen den beiden.
Eine Liebesgeschichte mit Widerhaken hatte Kim Ki-duk bereits in seinem
derzeit durch die deutschen Programmkinos reisenden "The Isle erzählt
und auch da schon die Gemüter durch die politisch wenig korrekte Darstellung
einer gegenseitigen Abhängigkeit erregt. Beide Filme aber funktionieren
nicht, auf jeden Fall nicht primär, innerhalb der Konventionen des
Realismus. Die doppelte Demütigung des Beginns - der aufgezwungene Kuss,
das Angespuckt-Werden - schürzt den Knoten für alles weitere. Liebe
und Hass, Ekel und Zärtlichkeit sind im Verhältnis von Han-ki und
Son-hwa ganz unentwirrbar ineinander gemischt. In einer ihrer ersten gemeinsamen
Szenen im Bordell streichelt er sie, während sie schläft, sie erwacht
und kotzt ihm auf die Schulter.
Zumeist kommt es jedoch nicht zur direkten Begegnung der beiden: der
Spiegel trennt sie und wird zum Symbol der Asymmetrie der Beziehung, nach
und nach aber auch der Annäherung. Han-ki, der Voyeur, eilt zur Hilfe,
wenn die Kunden gewalttätig werden - und doch vergewaltigt er sie
später selbst -, er küsst sie (ohne dass sie es weiß), als
sie ihr Gesicht an den Spiegel presst. Er scheint zwischen Schuldbewusstsein
und dem Wunsch zur Forsetzung seiner Rache zu schwanken. Was wirklich in
ihm vorgeht, erfahren wir nicht: Han-ki, der eine vernarbte Schnittwunde
am Hals hat, ist, mit der Ausnahme einer einzigen, mit eunuchenhafter Stimme
gesprochenen Dialogzeile am Ende, sprachlos. Und diese Sprachlosigkeit ist
ihm wie dem Zuschauer eine Qual, ausdrucksvolles Mittel der Ambivalenz der
Figur, deren Motive und Gefühle bis zuletzt rätselhaft
bleiben.
Das Milieu Han-kis, in das Son-hwa verschleppt wurde, ist von barbarischen
Gewaltausbrüchen geprägt. Mehrfach werden den Charakteren zugespitzte
Gegenstände in den Leib gerammt, es gibt Schlägereien und Morde.
Andererseits insistiert der Film auf Momenten der Zärtlichkeit. Den
Wunsch, das Phantasma der möglichen Aufhebung der Trennung wird
hinübergespiegelt auf eine surreale Ebene. Bei einem gemeinsamen Ausflug
an den Strand findet Son-hwa Fragmente einer Fotografie im Sand, ein Paar,
nur die Köpfe fehlen. Diese Fotografie ist nichts als Wunsch oder Alptraum,
Son-hwa klebt die Bilder auf den Spiegel, Kim Ki-duk montiert durch die Wahl
der Kameraperspektive ihren und Han-kis Kopf hinein.
Tatsächlich werden die beiden am Ende zueinanderfinden, die
Fotografie scheint Wahrheit zu werden. Der Film spielt mehrere Versionen
durch, vom Verzicht über die glückliche Beziehung - bis dann zur
Zweisamkeit, die die ursprüngliche Struktur perpetuiert. Die beiden
fahren mit einem zum Bordell umgebauten Kleinlaster durch die Gegend, Han-ki
fungiert weiterhin als Zuhälter. Man sollte freilich dieser Auflösung
ebenso misstrauen wie allen eindeutigen Interpretationen der Geschichte.
Kim Ki-duk ist ein Regisseur, der stets der tiefen Ambivalenz den Vorzug
gibt - und diese vor allem in Bilder von rätselhafter Kraft einzutragen
versteht. Es ist nicht schwer, mit den besten moralischen Gründen die
Auseinandersetzung mit "Bad Guy" zu verweigern. Wer das tut bringt sich aber
um eine Verstörung, die sich lohnt. Kim Ki-duks neuer Film besitzt nicht
die Geschlossenheit des Entwurfs, die "The Isle" zum Meisterwerk gemacht
hat. Eine Herausforderung ist er allemal.
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