Texte zu folgenden Ozu-Filmen:
An Autumn Afternoon (1962)
Im Film über Ozu berichtet die Witwe Kogo Nodas, des Drehbuchautors,
von der Zusammenarbeit der beiden: Sie standen auf und tranken Sake. Sie
gingen spazieren, sie arbeiteten eine Stunde am Buch. Dann aßen sie,
dann tranken sie, dann waren sie erheiterter Stimmung und saßen zusammen
von acht bis zwölf und schrieben. So ähnlich ist dieser Film
End of Summer (1961)
Die Neonreklamen von Osaka im Dunkeln: New Japan. Im Hinterland die Kimonos,
das Ankleiden, Umkleiden, hochhackige Schuhe und das Geklapper der Holzsandalen
auf der Straße. Die Schwestern am Fluss. Der Junge und der Großvater
beim Baseballspiel, du wirfst schlecht, schimpft er. Und der Tod.
Floating Weeds (1959)
Nicht derselbe Fluss, in den man steigt, aber ein ähnlicher. Sie stehen
sich wieder gegenüber, unterm Vordach der niedrigen Häuser, der
Theaterleiter und seine Geliebte, dazwischen prasselt der Regen. Und auch
das Ende: der fahrende Zug, der Abschied als Aufbruch, Wiederholung nahe
am Identischen.
Equinox Flower (1958)
Man ist versucht, diese erstaunlich optimistische Variante der höchst
vertrauten und andernorts sehr viel düsterer behandelten Problematik
nicht zuletzt der Farbe zuzuschreiben, mit der Ozu hier erstmals arbeitet.
Sie lenkt ab von der Strenge der Form, es tritt, um eines von Ozus
Lieblingsmotiven zu nennen, die Stange mit der im Wind wehenden Wäsche
nicht mehr nur als strukturiertes Bild auf: die einzelnen Kleidungsstücke
springen heraus und ins Auge als buntes Einzelding.
Early Spring (1956)
Die Weltanschauung, die in dieser Form steckt, diffundiert vielmehr hinein
in jede dieser Szenen, informiert die allerkleinste Bewegung ins letzte,
es gibt im Ozu-Film (jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt seines Werks)
kein Bild, keinen Schnitt, keinen inszenierten Raum und keine Kamerabewegung,
die nicht reiner Ozu wäre.
Tokyo Story (1953)
Das Sitzen, das Sprechen, das Wahrnehmen der Welt: das alles tut sich nicht
auf einmal. Das Schweigen und das leere Sprechen ist ein Kauen an der Welt,
nicht Reflexion, nicht Reaktion. Dem, was einem widerfährt - und es
sind die schlimmsten Bösartigkeiten darunter - gilt es mit aller
Höflichkeit zu begegnen, es ist, als würde ihm ein Recht
eingeräumt einfach, weil es ist.
Flavour of GreenTea Over Rice (1952)
Es ist, der Seltenheit wegen, jede Bewegung der Kamera in den späteren
Ozu-Filmen bewegend - nicht im Auto, nicht am Zug als Mitnahme diegetischer
Bewegung -, sondern als vorsichtige Stellung-Nahme zu den Figuren. Zumal
es die Bewegung des Blicks ist, metaphorisch gesprochen, der immer einer
der des Näherkommens ist - als Distanzreduktion, nicht, nie und nimmer,
als Aufdringlichkeit.
Early Summer (1951)
Die Großeltern sehen wir zweimal im Gespräch, wir haben ein
glückliches Leben geführt, sagt, beim ersten Mal, der Mann. Es
hätte glücklicher sein können, meint sie. Es folgt ein Blick
in den Himmel, in dem, weit oben, ein Luftballon schwebt. Lange verharrt
der Blick darauf. Irgendwo, sagt der Mann, ist ein Kind jetzt unglücklich.
Später, wieder die beiden. Sie: Wir haben ein glückliches Leben
geführt. Er: Es hätte glücklicher sein können.
Late Spring (1949)
Er kehrt zurück ins Haus, das nun seines ist. Er setzt sich hin und
schält einen Apfel, vielleicht die berühmteste Ozu-Einstellung.
Danach: Das Meer. Und Ende. (Übrigens nie die Schwarzblende, sondern
die Wiederkehr der Anfangstextur des Hintergrunds. Zum Verzicht aufs Abrupte
gehört auch das.)
A Hen in the Wind (1948)
Er stößt sie von sich, sie stürzt die Treppe - aus vielen
Einstellungen zuvor eines der visuellen Leitmotive des Films - hinunter,
liegt gekrümmt, bewusstlos da. Sie ist ein zweites Mal gefallen, rappelt
sich unter Schmerzen auf, quält sich wieder nach oben. In dieser nach
außen gewendeten, bei aller Brutalität symbolischen Wiederholung
ist der Schock überwunden.
Brothers and Sisters of the Toda Family
(1941)
Die Kamera ist in einer Position der Zeugenschaft, die weder Kommentar noch
Dokumentation ist: das elliptischen Voran des Erzählens ist Auswahl,
Zuspitzung, Konzentration. All das aber wird in der Inszenierung, in ihrer
Langsamkeit und der Reduktion der Gesten, der Bewegungen, beinahe wieder
unsichtbar.
The Only Son (1936)
Die Mutter, die nun als Putzfrau arbeitet in ihrer alten Fabrik - und ihr
Haus verkauft hat, im Schlafsaal übernachtet -, erzählt der Freundin:
Mein Sohn ist ein großer Mann geworden in Tokio. Sie setzt sich
draußen hin. Drei, vier Einstellungen ihrer Umgebung, eine langsame
Entfernung von den Menschen, dann nichts mehr. Eine Schrifttafel vor Beginn
des Films, das Motto: Das größte Unglück liegt in der Beziehung
von Eltern und Kindern.
A Story of Floating Weeds (1934)
Drei Akte hat der Film, im dritten schließt sich der Kreis zum Neuanfang
im Alten. Auf die Rückkehr und die Gegenwart in der Familie, den Moment
einer möglichen kleinfamilialen Gemeinschaft, folgt der erneute Aufbruch.
In diesem Kreis fließen, in den Möglichkeiten, die sich auftun,
im Dulden, im Hass, in der Eifersucht, in der Freundschaft und in der Liebe,
die in ständigen Verschiebungen die Beziehungen bestimmen, intensive
Gefühle.
A Mother Should be Loved
(1934)
Im letzten (erhaltenen) Drittel kommt es auch zum formalen Bruch: Bis dahin
verzichtet der Film vollständig auf Bewegungen der Kamera, nun häufen
sie sich, ohne nachvollziehbaren Anlass. Abrupt, natürlich, das Ende:
es kommt, sagt die Schrifttafel, zur Versöhnung der Familie. Das hätte
man gerne gesehen.
The Woman of Tokyo (1933)
Der Film ist, anders als die bisherigen, weder Komödie noch Melodram
noch Tragikomödie, sondern: eine meisterhafte Tragödie. Eine abrupte
Senkung der Temperatur im Vergleich zum bisherigen Werk. Distanziert beobachtet
Ozu seine Figuren, Großaufnahmen der Gesichter wechseln mit Einstellungen
aus Nebenräumen, in denen die Darsteller im sie umgebenden Raum beinahe
verschmelzen.
Dragnet Girl (1932)
Eine Gangstergeschichte, ja. Die Genreelemente - das Milieu, die Waffen,
der Überfall - sind aber nichts als die Schlacke falscher Vorbilder,
die Ozu in eine auf sie gar nicht angewiesene Geschichte schleppt. Die
eigentliche Logik dieser Geschichte hat, der beträchtlichen Spannung,
die der Film entwickelt, zum Trotz, wenig mit diesen Oberflächenmerkmalen
zu tun.
Where Now Are My Dreams of Youth?
(1932)
Es geht jetzt, hier, plötzlich um nichts anderes mehr als die Asymmetrie,
die in die Freundschaft hineinfährt, um das zerstörerische Werk
der Abhängigkeit. Die Darstellung des Dilemmas kulminiert in einem
grandiosen Höhepunkt. Tetsuo such Saiki auf, möchte ihn zur Rede
stellen, ja, Widerstandsgeist in ihn hineinprügeln.
Ich wurde geboren, aber...
(1932)
Eine Familie - zwei Welten. Der Angestellte Yoshii ist in einen Vorort von
Tokio gezogen, um näher an seiner Arbeitsstätte, aber auch an seinem
Chef zu sein. Seinen Söhnen gegenüber tritt er als Autorität
auf (nicht immer ganz glücklich: etwa in Unterhosen), dem Chef
gegenüber ist er devot.
That Night's Wife (1930)
Diese Verdichtung nun ist in "That Night's Wife" von ungeheurer Kraft. Nach
dem rasanten Auftakt kommt es zur abrupten Entschleunigung, in dem einen
Zimmer, in der einen Nacht versammeln sich Mann und Frau und Kind. Und, als
Eindringling, der Polizist, der durch Gewalt erst (die Frau entwaffnet ihn
und richtet zwei Pistolen auf ihn), dann durch Mitgefühl (er entwaffnet
die eingeschlafene Frau und unternimmt erst einmal nichts gegen die beiden)
zum Zuschauer wird, hineingezogen in eine Dynamik, die eine der Bilder
verängstigter, verzweifelter, todmüder Gesichter ist, zwischen
denen Ozu hin- und herschneidet.
I flunked, but... (1930)
Am Ende lässt Ozu in diesem im Mittelteil mit gutem Grund eher wenig
strukturierten Film den Kreis sich schließen. Die nächste Generation
im Schulzimmer, der Lehrer lehrt - bezeichnenderweise - Ökonomie, die
Flucht ins Freie, spielerisch hier, das ganze farcenhaft, misslingt.
Walk Cheerfully (1930)
All das ist nett, aber kaum mehr als generisch, Filme mit Plots dieser Art
waren zur Entstehungszeit in Japan wohl nicht selten. Ozu aber macht daraus
etwas ganz und gar Einzigartiges: einen Film über Gegenstände,
über Bewegung und über Gegenstände in Bewegung.
Days of Youth (1929)
Die Szenen laufen oft auf Gags hinaus, die sich der Typisierung verdanken.
Yamamoto ist der etwas hilflose Unglücksrabe, dem Watanabe im Ringen
um die schöne Frau einen Streich nach dem anderen spielt. Am Ende bekommen
die zwei, die sich streiten, sie beide nicht.
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