Theo Anglopoulos' Film ist erzählte Geschichte, die die Theorie
ihres Erzählens gleich mitliefert. Die Geschichte und Theater eindrucksvoll
zusammenzudenken sucht. Im Zentrum steht eine Truppe von Wanderschauspielern,
die das immerselbe Stück und nie zu Ende aufführen. Sie sind nicht
Subjekte von Geschichte, auch nicht einfach Darsteller, an denen das Historische
individualisiert würde. Sie sind ein Kollektivsubjekt und als solches
eigentlich gar keines. O Thiassos ist episches Kino, aber nicht so wie Hollywood
es versteht, eher so, wie Bert Brecht es verstanden hätte. Ein einziger
eklatanter Moment der Verfremdung. Am konventionellsten noch, wenn die Darsteller
in der ersten Person in die Kamera sprechen, Schicksale referieren, die man
kaum noch als ihre eigenen bezeichnen kann, weil es dieses aufs private Ich
konzentrierte Eigene hier nicht gibt. Weniger konventionell, wenn Angelopoulos
historische Ereignisse nachstellt, Demonstrationen, die blutig enden,
Straßenkämpfe. Das bleibt ganz anti-illusionistisch theatral (ganz
ähnlich wie in Rohmers "Die
Lady und der Herzog"), Aufmarsch von Theatertruppen.
Ein zentrales Darstellungsprinzip des Films jedoch ist ganz und gar
filmisch. Höchst vertrackte Kamerafahrten und -schwenks, die nahtlos,
im so eklatanten wie eleganten Bruch mit den Regeln, die fürs Travelling
gelten, durch die Zeiten reisen. Die Kamerafahrt endet Jahre, bevor sie begonnen
hat. Atemberaubend als Kunststück in sich auch eine Fahrt durch ein
nächtliches Haus, die, ganz ohne Worte, von der Einsamkeit einer betrogenen
Frau erzählt, einer der Momente, in denen der Blick des Films aufs
Individuum zoomt, als exemplarisches. Sonst aber gerät im sanften Gleiten
der Kamera alles durcheinander: weder weiß man, an welchem Ort man
ist oder landet, noch in welcher Zeit. Unvermerkt ist man in der Vergangenheit.
Unvermerkt ist man sogar darin desorientiert: Was ist überhaupt die
Gegenwart dieses Erzählens? Das Jahr 1952, das einem eine
Erzählerstimme am Beginn als Handreichung präsentiert, in dem der
Film am Ende, und immer wieder zwischendurch, wieder ankommt? Und auf welche
Weise kreuzen sich hier historische Fakten und Atriden-Mythen? Angelopoulos
spielt alles ineinander, ohne es zu erklären, ohne es dem Betrachter
zu entwirren.
Es fallen wenig Worte. Rhythmisiert wird der Vier-Stunden-Film durch
eine Art musikalische Zwischenspiele, die kaum diegetisch zu verstehen sind,
halb Parodie, halb Ernst eines Chorgesangs. Das ist die Logik der Darstellung:
Die Schauspieler als Chor, der sich in sich zurückziehen kann, aus dem
einzelne heraustreten und individuelle Schicksale andeuten. Angelopoulos
wagt Verstöße gegen das Gewohnte, die schnell im Niemandsland
des halbgaren Experiments landen könnten. Sie tun es nicht. O
Thiassos findet zur ganz eigenen, in sich geschlossenen offenen Form,
mutet dem Betrachter viele Anstrengungen zu, viel
Nicht-auf-den-ersten-Blick-Verstehen, verlangt ihm viel Geduld ab, aber das
ist gerechtfertigt und sei es nur, weil das einer der Filme ist, die einmal
gemacht werden mussten, ein Film, der gegen die Konvention, der man sich
vielleicht dennoch lieber anheim gibt, ideologisch Recht behält. |