Das Paradies hat einen Körper in geschwindester Bewegung. Der
Körper ist die Insel, auf der, zu Lande und zu Wasser wie ungeschieden
die Männer und die Frauen zuhause sind. Aus dem Körper lösen
sich exemplarische Einzelkörper, die eins sind miteinander und viele,
Matahi, der strahlend auf dem Fels steht im Meer oder im Wasser schwimmt
auf der Insel. Und Reri, hinter den Blättern einer Pflanze verborgen
und verschmolzen mit ihr, die Liebe, das Begehren sind das natürlichste
von der Welt für diesen zeitlosen, gesetzlosen Körper im paradiesischen
Zustand. Reri und Matahi, Mann und Frau, sind Adam und Eva, verführt
aber nicht von einem Willen zum Wissen, sondern konfrontiert mit dem sinnlosesten
Gesetz, einer Untersagung, die aus dem Nichts kommt. Murnau inszeniert das
Eintreffen des Gesetzes, des Worts, als Opposition aus Bewegung und Starre.
Ins Spiel im Wasser, in dem Natur und Körper ein bis zur Abstraktion
gemischtes Miteinander von Licht und Schatten sind, dringt zunächst
das Gegenbild des Rufers, verdoppelt vom Ton, der hier nicht Musik ist, sondern
lautmalerische Unterstreichung. Der Körper, die vielen Körper als
einer, geraten in Bewegung, aufs Meer hinaus, die Kamera eilt, bewegt, hinterher
- punktiert nun immer wieder vom Schiff, das, wie unbewegt, sich nähert.
Das Flirren der Boote, der Ruder, der rudernden Männer, die Boote auf
dem Meer, das fast reines Licht zu sein scheint. Dagegen, drohend und
unerklärt: das menschenleer, scheint es, dahintreibende Schiff. Der
paradiesische Körper reißt auf, noch ehe die ersten Inselbewohner
anlegen: der Junge, ein einzelner, der zurückgeblieben ist, Matahi kehrt
um, gegen den Strom, auch ihn noch hineinzuholen in diese eine Bewegung.
Als er das Schiff erreicht, ist das Wort bereits gesprochen. Das Wort, das
als Schrift auftritt, als Vertreter eines abwesend bleibenden Gesetzes, das
eine Verkörperung findet im greisen Priester, das Wort, das der Titel
des Films ist und sein letztes Bild sein wird: Tabu.
Mit der Untersagung, die ausgesprochen wird, ist das Paradies verloren
(bzw.: es wird klar, auf welcher Grundlage der Schein des
Paradiesischen beruhte). Von der Gemeinschaft in der Natur fallen Reri
und Matahi in die Gesellschaft: der Tanz, die Bewegung, sind nun nicht mehr
Natur (immer, versteht sich, als schiere, in den Bildern Murnaus aber evidente
Imagination einer Einheit), sondern Ritual, in das hinein, für kurze
Zeit, abrupt beendet, noch einmal (wirkungsloser) Widerstand geschrieben
werden kann: das Lachen Reris, der ekstatische Tanz der beiden, ein Aufschub
des Gesetzeswortes. Reri, nichts als liebend, wird nicht schuldig wie Eva.
Gewaltsam wird sie gepackt von dem Gesetz, das sie nicht zum Sündenbock
und nicht zum Opfer macht, sondern zum Exempel eines Symbolischen, das im
Gewaltakt nur die schiere Bekräftigung seiner normativen Kraft sucht.
Das Gesetz kommt zwar von außen, ist aber fremd nur insofern, als am
Nicht-Anrührbaren dieser Fremdheit die Gesellschaft als Körper
einer Gemeinschaft sich wieder zusammenschließen soll.
Es folgt das zweite Kapitel, Paradise Lost überschrieben, dieser
Verlust nun im sehr groben Verstande eines orientalistischen Blicks, der
am imaginierten Naturzustand Kritik an den eigenen Verhältnissen, der
Zivilisation formuliert. Auf der Flucht aus ihrem verlorenen Paradies sind
die Liebenden in der Vorhölle gelandet: sie trinken Alkohol, sie machen
Schulden. Das Gegenbild zum Anfang: Matahi in seinem Element, dem Meer, nach
Muscheln tauchend, aber nun im nicht durchschauten Kontext kapitalistischer
Ausbeutung. Auch hier ein Tabu, diesmal aber in der aufklärbaren Variante;
nicht Geister sind es, die am Muschelgrund ihr Unwesen treiben, sondern ein
Hai. Zutritt verboten, aus reinem Geschäftsinteresse: Entleerung des
Begriffs. Kurz gesagt: ein Raum anderer Gesetze, die im Grunde nicht viel
anderes sind als Anomie. Der Polizist, hier der Herr der Schrift - ganz parallel
in Szene gesetzt - ist bereit zur Auslieferung nicht aus Gründen der
Aufrechterhaltung symbolischer Ordnung, sondern aus reiner Gier. Gespensterhaft
in dieser Fremde daher der Auftritt Hitus, des anderen Gesetzes - und dennoch
nicht weniger verpflichtend. Es ist die Unterordnung unters eigene Gesetz
noch im Fremden, die Reri zur Aufgabe treibt. Matahis Versuch, den Bruch
des einen Tabus durch den Bruch des anderen zu heilen, muss scheitern. Es
ist das ein Akt totaler Verkennung der Ordnungen. Und längst ist das
Meer, Ort zunächst der Symbiose, als solcher in den ersten Bildern
inszeniert, tödlich geworden. Murnau findet dafür das Bild vom
endlos ablaufenden Seil auf einem Muscheltaucherboot, kündigt damit
das Ende Matahis an, der über Riff und Meer und Meer und Riff der auf
Hitus Schiff entschwindenden Reri hinterhereilt - eine Flucht, die an die
Flüssigkeit der Bewegungen des Beginns anzuschließen scheint -,
das Seil zu fassen bekommt. Mit Hitus Schnitt erfüllt sich das Gesetz.
Von allen Ordnungen verlassen, stirbt Matahi im Meer, das nun auch noch gegen
ihn sich wendet. Nicht "The End" erscheint auf der Leinwand, es erfüllt
sich am Ende die Schrift: "Tabu". |